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Ecce Dodo

Wednesday, 23. April 2008

dodo

Die verstoßenen Außenseiter waren mir schon immer sympathischer als die erfolgreichen Durchschnittsmenschen, die hungrigen Bohemiens standen mir jederzeit näher als die satten Spießer, die eingesperrten Verrückten schienen mir jedenfalls lebendiger als die frei herumlaufenden Geistgesunden, der exaltierte Veitstanz weckte weit eher meine Zuneigung als die ruhige Abfahrt auf dem Mainstream.

Lieber wollte ich ein seltener Vogel sein, als ein häufiger Biedermann, der seinen im Käfig ratlos hin und her hüpfenden Wellensittich füttert.

Eher als der großartige Geheimrat Goethe war mir sein mickriger Adlatus Eckermann eine merkwürdige, bemerkenswerte Erscheinung: ein Vogelnarr erster Güte. Durch dessen sehr verschiedene, von der Nachwelt verkannte Augen war sein saturierter Herr und Meister vielleicht nur ein Vogel neben anderen, ein schräger unbedingt, wenngleich mit weiten Schwingen versehen, ein überaus gesprächiges Federvieh zwar.

Was sich in dieser verkommenen Menschenwelt zu Lebzeiten als Genie aufplustert und posthum zum Klassiker mausert, kann ja bloß minderen Wertes sein sub specie aeternitatis.

Vielleicht hat das edelste Wesen, das je auf dieser Erde gelebt hat, die wahre Krönung der Schöpfung, längst schon das Zeitliche gesegnet. Vielleicht leben wir, diese durch nichts als ihre massenhafte Verbreitung ausgezeichnete Art, bloß noch für ein knappes Weilchen als epidemische Seuche in der Nach-Dodo-Ära. Dann möchte ich in diesem endzeitlichen Geflügelschwarm jedenfalls lieber eine übersehene Dronte sein als ein erhabener Wappenadler.