Archive for the ‘Sprechblasen’ Category

Ort(h)ografie? Ort(h)ographie?

Tuesday, 03. May 2011

Die Verführungskraft der Patzer in der Süddeutschen ist in letzter Zeit wieder besonders groß. Erneut gelingt es einem ihrer Redakteure, in einem Artikel zum Thema richtiges Deutsch einen bösen Fehler unterzubringen. Ja, es kommt sogar noch dicker. SZ-Mitarbeiter alex macht seinen Schnitzer ausgerechnet in einem Satz über die (nach der neuen Rechtschreibung) korrekte Schreibweise des (aus dem Altgriechischen hergeleiteten) Fachworts für Rechtschreibung: Orthographie; und zwar, peinlicher geht ‘s nimmer, in diesem Wort selbst!

Worum geht es in dem Feuilleton-Beitrag? Seit gestern ist die neue Website des Duden online: „Endlich auch in Digitalien ein orthographischer Stecken und Stab für ahnungslose Sprach-User.“ So locker-flockig, mit gleich zwei kreativen Neologismen, die man auch in der aktuellsten Print-Version des Duden vergeblich suchen würde, führt uns alex ans Thema heran, um dann fortzufahren: „Apropos: Ist Orthographie überhaupt korrekt? Oder heißt es mittlerweile Ortografie? Gleich mal nachschauen auf www.duden.de/suchen/dudenonline: ,Orthografie, Orthographie, die. Wortart: Substantiv, feminin‘. Geht also beides.“ (alex: Aus Sprechern sollen User werden; in: SZ Nr. 101, S. 11. – Nebenbei: Auch der Titel dieser Glosse ist völlig danebengeraten. Nachschlagewerke zur Rechtschreibung, gleich ob traditionell als Buch oder digitalisiert und online, wurden und werden in erster Linie nicht von Sprechern, sondern von Schreibern genutzt. Und zudem sollen auch diese nicht ihr Verhalten als Schreibende ändern, sondern ihr Verhalten beim Nachschlagen. Allenfalls könnte die Headline also lauten: Aus nachschlagenden Schreibern sollen tippende und klickende User werden. Das wäre wohl als Überschrift viel zu lang, aber vermutlich die kürzeste korrekte Formulierung für den gemeinten Sinn. Was dort nun stattdessen als Titel steht, ist jedenfalls kompletter Blödsinn!)

Es geht also beides? Offenbar kann der Verfasser nicht einmal bis drei zählen, denn so viele Varianten des Wortes hat er doch selbst soeben gebracht: [1] Orthographie; [2] Ortografie; [3] Orthografie. Und wenn wir schon mal dabei sind, dann sollten wir auch die letzte nicht unterschlagen: [4] Ortographie. Um es vorwegzunehmen: [1] und [3] gehen, [2] und [4] nicht, aber nach [1] und [2] hatte alex gefragt, [1] und [3] gefunden – und geantwortet: „Geht also beides.“

Und sonst? Ansonsten verfehlt der flapsige Artikel sein Thema. Denn worum es bei der Kurzvorstellung eines neuen Online-Werkzeugs zuallererst gehen müsste, wäre doch dessen Funktionsweise. Was passiert, wenn ich ein Wort, dessen korrekte Schreibweise ich nicht kenne, ins Suchfeld eingebe? Dabei wäre besonders interessant zu erfahren, wie das Verzeichnis reagiert, wenn ich ein falsch geschriebenes Wort eingebe. Im konkreten Beispiel hätte alex vielleicht mal seine für möglich gehaltene Variante [2] Ortografie prüfen können. Ich habe genau das getan und erhielt unter der Überschrift Suchergebnisse folgende Antwort: „Die Suche nach ,ortografie‘ lieferte 0 Treffer | Oder meinten Sie: Kartografie, Fotografie, Areografie“.

Hier könnte nun ein Kritiker, der diesen Namen verdient, berechtigte Bedenken anmelden. Wenn ich als „User“ des neuen Duden-Onlinewörterbuchs den Begriff nur vom Hörensagen kenne, dann wüsste ich doch gern, wie das Wort sich richtig schreibt. Vielleicht würde ich in einem nächsten Versuch [4] Ortographie eingeben. Ich erhielte dann exakt das gleiche Ergebnis, wieder mit den kaum hilfreichen, geradezu unsinnigen Verweisen auf die Wörter Kartografie, Fotografie und Areografie. Außerdem würde mich gewiss interessieren, warum man den Wortteil „Ortho-“ nicht ohne „h“ schreiben darf, den Wortteil „-graphie“ hingegen sehr wohl mit „f“ statt „ph“. Richtige Schreibweisen von falschen zu unterscheiden fällt ja schließlich viel leichter, wenn man die Regeln kennt, die dem zugrunde liegen. Hier versagt Dudenonline völlig – und sein „Kritiker“ ebenfalls.

Einband des Umschlages?

Thursday, 28. April 2011

Sollte sich trotz meines längeren Schweigens gelegentlich noch der eine oder andere Leser auf dieses Blog verirren, und sollte sich unter diesen paar Versprengten gar einer tummeln, der mit langem Atem mein treuer Gast ist, dann könnte ihm aufgefallen sein, dass unter anderen Rubriken auch diese, Sprechblasen genannte, sanft entschlummerte, vor ziemlich genau zwei Monaten. Mir schien es nämlich nach nur 13 Folgen nicht mehr der Mühe wert, mich auf die alltägliche „Schnitzerjagd“ zu begeben. Das war zu leicht, das wurde bald fad! Zudem verspürte ich bei meiner hämischen Kritikasterei stets ein leichtes Unbehagen, da ich doch hier ausgerechnet eine jener wenigen Tageszeitungen deutscher Sprache aufs Korn nahm, die bei allen angekreideten Fehlern immer noch den Anspruch zu haben scheint, richtig und gut zu schreiben.

So ließ ich ’s also bleiben. Und wenn ich jetzt einmal rückfällig werde, dann nur deshalb, weil der Süddeutschen in ihrer heutigen Ausgabe ein Patzer unterlaufen ist, der mir gleich in zweifacher Hinsicht bemerkenswert erscheint, handelt es sich hier doch um einen Fall von Steinewerfen im Glashaus und zugleich um einen Fall von kulturellem Banausentum.

Erstens geht es in dem fraglichen Artikel gerade um „peinliche Fehler“, nämlich im Begleitheft zum Finale des Eurovision Song Contest, das am 14. Mai 2011 in Düsseldorf ausgetragen wird. Das in einer Auflage von 65.000 Exemplaren gedruckte Heft kündigt einen gleichtags stattfindenden „Aktionstag der Schwulen“ an. Und in den 35.000 Exemplaren der Broschüre in englischer Sprache ist analog von einem „Gay’s Day of Action“ die Rede. Dumm nur, dass es sich um einen „Aktionstag der Schulen“ handelt. Das ist verständlicherweise ein Fall für die Panorama-Seite der SZ, denn dort will sich der gebildete Leser dieses Blattes schließlich für alles entschädigen, was ihm durch seinen BILD-Boykott entgeht.

Was aber dem Fass den Boden ausschlägt: dass nun just in diesem Oberlehrer-Artikel dem anonymen Autor ebenfalls ein Lapsus widerfährt, und zwar einer, der nicht bloß auf Flüchtigkeit beruht wie in den von ihm monierten Fällen, sondern noch ganz andere Defizite offenbart. Er schreibt: „Ein weiterer Fehler findet sich auf dem Einband des Umschlages.“ (SZ Nr. 97 v. 28. April 2011, S. 9.) So etwas gibt es nicht und kann es nicht geben! Vielleicht hat der Leser dieser Zeilen im Unterschied zu dem zitierten SZ-Redakteur einmal ein Buch in der Hand gehalten und erinnert sich von daher, dass das viele Papier im Inneren äußerlich von zwei meist etwas stabileren Deckeln eingefasst war, einer vorn und einer hinten. Dies nennt man „Einband“. Viele Bücher hüllen sich nun zusätzlich noch in eine Schutzschicht, damit die Einbanddeckel beim Lesen am Früstücks- oder Abendbrottisch nicht so leicht bekleckert werden können. Diese Schicht nennt man „Umschlag“.

So wird auch dem Buchunkundigen hoffentlich klar, dass man notfalls von einem „Umschlag des Einbandes“ sprechen kann, mitnichten jedoch, wie in dem Artikel geschehen, von einem „Einband des Umschlages“. (Der lässliche Flüchtigkeitsfehler auf dem Umschlag des Einbands sei immerhin noch nachgetragen: „Statt ,Welcome to Duesseldorf‘ steht da ‚Wielcome‘.“ Geschenkt!)

Fehler?

Thursday, 24. February 2011

Ich komme einfach nicht hinweg über diese „Causa Guttenberg“. Eigentlich widerstrebt es mir ja, mich an Mainstream-Diskussionen der Bundespolitik zu beteiligen, weil die jeweils aktuellen Aufregungen bloß von den tatsächlichen, viel grundsätzlicheren Problemen und Skandalen ablenken. Das Dioxin in den Eiern ist mir egal. Dass die Konsumenten mal für ein paar Wochen die Regale mit den Bioeiern leerkaufen, um dann wieder zu den billigeren Varianten zurückzukehren, und dass sich dieses Spielchen nun alle Jahre wiederholt, worauf jedesmal wieder ein großes Geschrei anhebt, das ist eigentlich nur noch komisch. Da lachen ja die Hühner! Und ob ein Minister seine Doktorarbeit selbst geschrieben hat oder hat schreiben lassen, ist mir insofern völlig egal, weil ich längst begriffen habe, dass prinzipiell alle Ehrentitel und Würdezeichen in unserer Welt käuflich sind. Nun hat er sich erwischen lassen, weil er so dermaßen plump zu Werke gegangen ist bei seiner Fälschung, dass man es fast nicht glauben möchte. Das ist peinlich für ihn, aber im Grunde noch peinlicher für jene, die es nicht gemerkt haben, weil sie sich vermutlich von seinem politischen Amt haben blenden lassen. Und um dem Fass den Boden auszuschlagen, haben sie noch summa cum laude druntergeschrieben. Ist das nun ein Thema für mich? Nein, es ist doch nur der uralte Klassiker vom tragischen Höllensturz des vermeintlich engelsgleichen Lieblings der Massen, der sich nun als Übeltäter entpuppt. Ich weiß noch, ich wurde gerade elf Jahre alt, wie meine Oma sich ein Tränchen verdrückte, als ihr Traummann aus der Glotze, Lou van Burg, sich als Seitenspringer entpuppte. Über solche Schmierenkomödien muss ich doch hier nicht schreiben.

Und doch gibt es etwas an diesem speziellen Fall von ,Fall eines Helden‘, das ihn wertvoll macht. Ich will versuchen, genau das herauszustellen.

Heute berichtet die Süddeutsche auf ihrer Titelseite über den Auftritt Guttenbergs vor dem Bundestag am gestrigen Mittwoch: „Nachdem er Fehler eingestanden und auf seinen Doktor-Titel verzichtet habe, sehe er keine Veranlassung, von seinem Ministeramt zurückzutreten. Von einem Plagiat könne keine Rede sein, weil dies bewusste Täuschung voraussetze. Die Fehler in der Arbeit erklärte der Minister mit der Mehrfachbelastung als Abgeordneter, Doktorand und Familienvater.“ (Der Doktor-Titel ist weg; in: SZ Nr. 45 v. 24. Februar 2011, S. 1.) Hier bleibt die Zeitung, die doch ursprünglich den Stein ins Rollen gebracht hat, hinter ihren eigenen Erkenntnissen zurück, indem sie das Wort „Fehler“ zweimal nicht in Anführungszeichen setzt. Genau dies ist ja der Taschenspielertrick des Ministers, bei seinem groß angelegten Betrugsversuch als von „Fehlern“ zu sprechen, die ihm unterlaufen seien. Als wären das Flüchtigkeitsfehler, entschuldbar durch den großen Stress in diesen sieben Jahren, in denen er mit seinem Plagiat zugange war! Und Guttenberg hat gar die Kaltschnäuzigkeit, in der besagten Befragung im Bundestag jeden mit einer Anzeige wegen übler Nachrede zu bedrohen, der ihm etwa unterstellen wollte, er habe absichtsvoll getäuscht und die Regeln wissenschaftlichen Arbeitens schuldhaft verletzt. Wenn man den Verteidigungsminister hier ernst nehmen wollte, dann belegten die im GuttenPlag Wiki mittlerweile dokumentierten zahllosen Fälle von Abschreiberei, dass Guttenberg beim Verfassen seiner Arbeit, also während sieben langen Jahren, unter einer schweren Bewusstseinstrübung gelitten haben muss. So etwas mag ja tatsächlich vorkommen, wie etwa auch Kleptomanen sich fallweise an ihre Diebstähle gar nicht erinnern können, verwundert das Diebesgut in ihren Taschen vorfinden und nicht wissen, wie es dort hineingekommen ist.

Genau diesen Weg beschreitet Guttenberg in seiner Argumentation, um sein Amt zu retten. Bei einer Rede vor unverdrossen ihm treu ergebenen Anhängern am Montag im hessischen Kelkheim schüttete er gleich sackweise Asche über seinem Haupt aus, um sich zu exkulpieren: „Ich habe in der – wenn man so will – in der Affäre um ,Plagiat: ja oder nein?‘ an diesem […] Wochenende mir auch die Zeit nehmen dürfen, […] mich auch noch einmal mit meiner Doktorarbeit zu beschäftigen. Und ich glaube, das war auch geboten und richtig, das zu tun. Und nach dieser Beschäftigung […] habe ich auch festgestellt, wie richtig es war, dass ich am Freitag gesagt habe, dass ich den Doktortitel nicht führen werde. Ich sage das ganz bewusst, weil ich am Wochenende – auch, nachdem ich diese Arbeit mir intensiv noch einmal angesehen habe – feststellen musste, dass ich gravierende Fehler gemacht habe; gravierende Fehler, die den wissenschaftlichen Kodex, den man so ansetzt, nicht erfüllen. Ich habe diese Fehler nicht bewusst gemacht. Ich habe auch nicht bewusst oder absichtlich in irgendeiner Form getäuscht und musste mich natürlich auch selbst fragen […]: Wie konnte das geschehen,? Wie konnte das passieren? […] Und das sind selbstverständlich Fehler. Und ich bin selbst auch ein Mensch mit Fehlern und Schwächen. Und deshalb stehe ich auch zu diesen Fehlern. Und zwar öffentlich zu diesen Fehlern, meine Damen und Herren, und bin auch ganz gerne bereit, dies in die hier stehenden Kameras zu sagen, […].“ (Zit. nach Hans Hütt: Guttenbergs Wettertannenrede; auf CARTA.) Die Professionalität, mit der Guttenberg vorgeht, wäre bewundernswert, wenn der Schaden, den er seinem Amt und dem Ansehen der Demokratie damit zufügt, nicht so beklagenswert wäre. All diese nachweisbaren wörtlichen oder – noch schlimmer! – geringfügig abgewandelten Textstellen, von denen mindestens eine auf drei Vierteln aller Seiten seiner über 400 Seiten umfassenden Schrift vorkommt, sind also von ihm unbemerkt dorthin geraten? Und das müssen wir ihm glauben, andernfalls er uns mit einer Anzeige wegen übler Nachrede bedroht? Vielleicht gar – Majestätsbeleidigung?

Ach, was schreibe ich mich hier in Rage? Was ich nur festhalten wollte, ist dies: Wenn der Noch-Verteidigungsminister und Ex-Dr. Karl Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Freiherr von und zu Guttenberg einen Fehler gemacht hat, dann war es der darauf zu vertrauen, der Glanz seiner Herkunft und seiner Stellung könnte ausreichen, jegliche Zweifel an seiner Rechtschaffenheit dauerhaft zu überblenden und so seine plumpe Fälschung dem Zugriff kritischer Nachprüfung zu entziehen.

Baedecker?

Tuesday, 22. February 2011

In einem großen Artikel auf der Literatur-Seite stellt Thomas Senne heute in der Süddeutschen ein neues Büchlein über Samuel Becketts Deutschlandreisen der Jahre 1936 und 1937 vor. Natürlich schreibt der Rezensent den Namen des Nobelpreisträgers richtig, mit „ck“ und einem doppelten „t“ am Ende. (Thomas Senne: Unspeakable Eintopf; in: SZ Nr. 43 v. 22. Februar 2011, S. 14.)

Beckett hat während seiner Exkursion ins Reich der Finsternis Tagebuch geführt. Sein Neffe Edward Beckett untersagte „unverständlicherweise“, wie Senne findet, die Veröffentlichung dieser German Diaries seines 1989 verstorbenen Onkels. Nun hat der Musikkritiker Steffen Radlmaier, Feuilletonchef der Nürnberger Nachrichten, dieses Verbot immerhin teilweise unterlaufen, indem er in seiner jüngst erschienenen Studie Beckett in Bayern ausgiebig aus den Tagebüchern zitiert. (Bamberg: Kleebaum Verlag, 2011.) Auch den Namen Radlmaier schreibt Thomas Senne richtig.

Warum aber bringt er es nicht fertig, den Namen des vielleicht berühmtesten Reiseführers der Welt, der sich seit Jahrzehnten auch international als Eponym für diese spezielle Art von Nachschlegewerken durchgesetzt hat, korrekt mit einfachem „k“ zu schreiben?

Allerdings kann ich den Rezensenten damit trösten, dass er sich mit diesem Schreibfehler zwar nicht in gute, aber doch in große Gesellschaft begeben hat. Ich habe 17 Jahre lang in der gleichnamigen Buchhandlung in meiner Vaterstadt gearbeitet, deren Gründer Gottschalk Diederich Baedeker ein Vorfahre des Reiseführer-Verfassers Karl Baedeker war. Damals habe ich hunderte von Dokumenten aller Art gesammelt, vom Brief über den Zeitungsartikel bis hin zum Buchzitat, in denen mit sturer Ignoranz immer wieder „Baedecker“ geschrieben wurde.

Übrigens wissen wir ja nicht, ob Senne für den Fehler selbst verantwortlich ist, oder ob er ihn bei Radlmaier vorgefunden und bloß unhinterfragt abgeschrieben hat. Und selbst die schlimmste Befürchtung, dass der Patzer auf Samuel Beckett höchstpersönlich zurückgehen könnte, darf ich nach meinen traurigen Erfahrungen nicht mit letzter Gewissheit ausschließen, solange ich mich nicht vom Gegenteil überzeugt habe. Es ist doch ein rechtes Elend mit der Hudelei der Schreiber in unserer Zeit!

Wurzeln in Nachwehen?

Monday, 07. February 2011

blase9

Die unbeschränkte Kreativität der Zeitungstexter treibt erst recht auf dem unschuldigen Felde der Programmankündigung ihre Blüten, denn dort müssen sie ja nicht mal mit ihrem Namen dafür geradestehen.

Heute zum Beispiel widerfährt uns folgende atemlose Hatz: „Über mehrere Wochen jagt ein Trupp Männer den Trapper Gideon […] durch die Wildnis Nevadas. Ihr Anführer wird vom Wunsch nach Rache getrieben, dessen Wurzeln in die Nachwehen des amerikanischen Bürgerkrieges zurückreichen.“ (SZ Nr. 30 v. 7. Februar 2011).

Was Wehen sind, weiß jede Mutter. Wurzeln kennen Pflanzer und Dentisten. Dass ein Wunsch Wurzeln haben kann, mutet schon etwas sonderbar an. Dass diese aber in Nachwehen wurzeln können, muss bestritten werden. Und auch über die Nachwehen eines Bürgerkrieges würde man gern mal aufgeklärt. Wie nämlich heißt dann, wenn wir im Bilde bleiben, das Baby, das von den Wehen in die Welt getrieben wurde?

Andererseits ermuntert ein solcher Mumpitzsatz zur artifiziellen Nachahmung. Etwa so: „Etliche Monate hetzt eine Horde wilder Weiber den anämischen Nerd Tobias durch den Dschungel der nächtlichen Metropole. Ihre Anführerin wird von der Gier nach brutalem Sex aufgepeitscht, die in den Flashbacks morbider Drogennächte der Prohibitionszeit ankert.“

Auf eine solche Programmankündigung hin würde ich mich glattzu einem Fernsehabend bei meiner schwerhörigen Tante Lotte einladen.

Gespenstische Nachricht?

Wednesday, 26. January 2011

blase8

Aus kaum einem anderen Anlass wird in unseren Zeitungen so viel heiße Luft in die Sprechblasen gepumpt wie im Todesfall prominenter Zeitgenossen. Wenn es einen jungen Menschen trifft oder wenn die Todesart ungewöhnlich ist, wird in den Redaktionsstuben fieberhaft nach dem passenden Adjektiv gesucht, das den Schmerz und die Verstörung der Menschen draußen im Lande angemessen auf den Begriff bringt.

Wenn uns im wahren Leben ein Verlust mitten ins Herz trifft, wenn wir fassungslos nach Atem ringen und uns die Tränen in die Augen steigen – dann verschlägt es uns die Worte und wir sind jeder Verbalisierungsnot gnädig enthoben. Diese Zurückhaltung im sprachlichen Umgang mit dem Werk des erbarmungslosen Schnitters können sich die bedauernswerten Presseschreiber naturgemäß nicht leisten.

Dass der Tod alle gleich macht, war schon das Thema der barocken Totentänze. Bevor diese totale Nivellierung durch Fäulnis und Vergessen eintritt, müssen aber die Unterschiede im aktiven Leben noch einmal abschließend in Erinnerung gerufen werden. Die traditionellen Schaubühnen dieser Abschiedsprozedur in der Zeitung sind die (bezahlte) Todesanzeige und der (kostenlose) Nachruf.

Hat eine Person des öffentlichen Lebens ihren eigenen Nachruhm überlebt, dann erreicht die Nachricht ihres Todes gelegentlich die Öffentlichkeit mit unziemlicher Verzögerung; so im Falle des am 13 Januar im Alter von 87 Jahren verstorbenen Lederstrumpf-Darstellers Hellmut Lange, dessen Tod die Süddeutsche erst gestern meldete. Um Lange war es schon lange still geworden, er war ohnehin ein ,eher zurückhaltender Typ‘, der ,kein großes Wesen um sich machte‘. Und als bekannt wurde, dass er an Altzheimer erkrankt war, verzichteten die Medien gnädig darauf, ihn und seine Angehörigen weiter zu belästigen. – Anders verhält es sich mit dem vorgestern bei einem Abendessen mit Freunden im Kreise seiner Familie ,plötzlich und unerwartet‘ verstorbenen Filmproduzenten Bernd Eichinger. Der war erst 61, stand ,mitten im Leben‘, hatte noch viele Pläne, ein Mann ,in den besten Jahren‘ und, nach allem was man so wusste, ,gesund und munter‘. Und dann, sozusagen ,aus heiterm Himmel‘, aus und vorbei! Herzinfarkt!

Das ist dann schon ein Fall für Die Seite drei. Natürlich liegt der Nachruf längst parat, wurde in regelmäßigen Intervallen auf den neuesten Stand gebracht. Und der Text geht auch angemessen ins Detail, das versteht sich ja bei einer in München, am Hauptwirkungsort des Verstorbenen erscheinenden Zeitung. Bloß der Titel fehlt noch: „Ich hatte einen Traum“ – das passt doch gut zu einem Manager der Traumfabrik Film. Der letzte Absatz, knapp und knackig, ist schnell daruntergesetzt: „,Der Bernd‘, wie sie ihn hier in München nennen, starb im Freundes- und Familienkreis. Er wurde 61 Jahre alt.“ Und nun noch der leidig-längliche Untertitel. Dass das noch sein muss! (Ich höre das Stöhnen des Schlussredakteurs, als säße ich neben ihm.) Aber es wäre doch gelacht, wenn einem dazu nicht auch noch was einfiele: „Am Dienstag erreicht eine schreckliche Nachricht München: Bernd Eichinger ist bei einem Essen in Los Angeles einem Herzinfark erlegen. Der deutsche Film verliert einen Mann, an dem man sich reiben konnte. Und den einzigen Produzenten von Weltrang. Er wurde nur 61 Jahre alt.“ Kann man das so stehen lassen? Ist doch ganz gut, oder? Bis auf die ,schreckliche Nachricht‘. Das klingt vielleicht doch etwas zu alarmistisch. Was soll man stattdessen schreiben? ,Bittere Nachricht‘? ,Traurige Nachricht‘? ,Verstörende Nachricht‘? Nee, das ist alles nichts. Und dann hat der einsame Mann diesen Geistesblitz: „Am Dienstag erreicht eine gespenstische [!] Nachricht München.“ (Tobias Kniebe: Ich hatte einen Traum; in: SZ Nr. 20 v. 26. Januar 2011, S. 3.) – Ein bitteres, trauriges, verstörendes Beispiel, zu welchen Entgleisungen die krampfhafte Suche nach Wirkungssteigerung in der Tagespresse führen kann.

Mond? Planet?

Monday, 17. January 2011

blase7

Im modernen Berufsleben unserer hochdifferenzierten Arbeitswelt ist Spezialisierung der Fachkräfte in jedem Bereich die erste Voraussetzung für deren Erfolg. So auch in den Redaktionen unserer überregionalen Zeitungen. Wer in der Schule gut rechnen konnte und trotzdem lieber schreiben will, wird Wirtschaftsredakteur. Für jene Blindgänger, die überall nur Dreien und Vieren hatten, aber in Sport oder Kunst eine Eins, haben kluge Blattmacher eigens den Sportteil und das Feuilleton eingerichtet. Klassensprecher bekommen die Landespolitik, Schulsprecher was Internationales.

Dann gibt es noch jene immer gut gelaunten Sonnenscheinchen, denen man nicht böse sein kann, obwohl sie eigentlich von nichts eine richtige Ahnung haben, aber wenigstens so tun als ob. Ich nenne sie hier mal die Merkt-ja-doch-keiner-Redakteure. Bevor sie etwas nachschlagen, lassen sie sich lieber totschlagen. Meine Theorie war, dass sie das Alphabet nicht aufsagen können und ihnen darum der Gebrauch von Wörterbüchern und Lexika verwehrt ist. Mit der Erfindung von Online-Enzyklopädien wurde diese Erklärung aber hinfällig, weil man dazu das betreffende Suchwort ja nurmehr in ein Fensterchen eingeben muss. Sollten die für Skandälchen und Fait divers zuständigen Schreibkräfte schlicht und ergreifend faul sein? Natürlich nicht! Sie stehen vielmehr extrem unter Stress, weil hier wie überall radikal Personal abgebaut wurde.

Bei der Süddeutschen heißt die betreffende Seite „Panorama“. (Genau genommen sind es sogar zwei, nämlich die Seiten 9 und 10.) Dort erfahre ich bespielsweise in der täglichen Rubrik „Leute“, dass der 93-jährigen Filmdiva Zsa Zsa Gabor der rechte Unterschenkel oberhalb des Knies amputiert werden musste und dass dem Panikrocker Udo Lindenberg vor dreißig Jahren von einer eifersüchtigen Brasilianerin eine große Schnittwunde am Kopf zugefügt wurde, die er seither unter seinem Markenzeichenhut verbirgt. Oder ich wundere mich über den tagesaktuellen Fall von massenhaftem Vogelsterben, ein Phänomen, mit dem seit Neujahr regelmäßig die Lücken gestopft werden. Das „Panorama“ der SZ könnte man mit Fug und Recht als eine Alljahres-Sauregurken-Zuchtanstalt bezeichnen.

Weil nun aber, siehe oben, die Stammautoren dieses Ressorts die schöne bunte Welt der Abenteuer aus mancherlei Perspektive betrachten, aber durchaus nicht mit verkniffenem Blick, kommen gerade hier die spektakulärsten Fehlschüsse und Rohrkrepierer vor. Heute beispielsweise modelliert Martin Zips mal eben unser Sonnensystem um und lässt den Mond um die Sonne kreisen!

Es geht in seinem Artikel um ein Pin-up-Foto aus dem Playboy, das ein Techniker der Apollo-12-Mission 1969 an Bord des Raketenmoduls Yankee Clipper geschmuggelt hat, genau genommen in den Spind von Commander Richard Gordon, abgeheftet im dort deponierten Ordner „Himmlische Körper“. Und nun schreibt Zips wörtlich: „Dort wurde es von Grordon entdeckt, als dieser gerade dabei war, sehr einsam den Mond zu umrunden. Nur seine zwei Astronauten-Kollegen durften raus auf den Planeten, er nicht.“ (Martin Zips: Himmlische Körper. Wie das Nackt-Model DeDe Lind im November 1969 mit der Astronauten-Mission „Apollo 12“ mal kurz zum Mond flog; in: SZ Nr. 12 v. 17. Januar 2011, S. 10.) – Na ja, was soll man da sagen? Astronomie ist ja nicht mal ein Schulfach.

Warum geborgen?

Monday, 10. January 2011

blase6

Auf dem Bild, das das ZDF der Süddeutschen zur Verfügung gestellt hat, sehen wir heute einen ausgestreckt auf dem Deck eines Bootes liegenden Mann. Allerlei Treibgut ringsum, Seetang oder ähnlicher Schmock, lässt darauf schließen, dass dieser Körper unlängst aus dem Wasser geborgen wurde. Über ihn beugt sich ein Ermittler, wie wir aus der nebenstehenden Bilderläuterung erfahren: „Psychologisierende Vernehmung: Schauspieler Alexander Held versucht als Kommissar Hidde im CSI-Stil zu ermitteln, warum ein Mann tot aus der Ostsee geborgen wurde.“ (Frederik Obermaier: Viel Länge, wenig Tiefe. Ein ZDF-Reihenkrimi streckt sich sehr nach amerikanischen Vorbildern wie CSI, ohne sie auch nur annähernd zu erreichen; in: SZ Nr. 6 v. 10. Januar 2011, S. 15.)

Eins vorweg: Sehr wahrscheinlich kann Autor Obermaier nichts für diesen in vielerlei Hinsicht mangelhaften Text. Die Bildunterschriften werden gewöhnlich erst beim Layout kurz vor Drucklegung und deshalb unter argem Zeitdruck von anderen zurechtgeschustert. Deshalb drücke ich meist beide Augen zu, wenn mir wieder mal ein BU-Lapsus begegnet. Aber in diesem Fall kommt es schon dicke, wie wir sehen werden. Darum konnte ich der Versuchung heute nicht widerstehen.

Zunächst zur Aufklärung für fernsehferne Bevölkerungsschichten: Was haben wir uns unter „CSI-Stil“ vorzustellen? Die Abkürzung steht zunächst im Englischen für Crime Scene Investigation, zu deutsch etwa „Spurensicherung am Tatort“. Davon leiten sich mehrere US-amerikanische TV-Krimiserien ab, die seit Jahren auch im deutschen Fernsehprogramm einen festen Platz haben. In Obermaiers Kritik der deutschen Version von CSI – Serientitel hierzulande: Stralsund – lesen wir, dass hier die Vernehmung „bemüht psychologisiert“ wirke, was immer das heißen mag. Der BU-Texter hat diesen Nonsens dankbar aufgegriffen und sieht nun auf dem Bild prompt eine „psychologisierende Vernehmung“. Aber wie soll ich mir die Vernehmung eines Toten vorstellen? Denn dass der Hingestreckte auf dem Bild tot ist, erfahren wir ja wenige Zeilen später aus der selben Bildunterschrift.

Aber es kommt noch schöner. Zunächst überrascht uns der Texter mit der Nachricht, dass nicht Kommissar Hidde (dargestellt von Alexander Held) auf diesem Bild ermittelt. Diese Illusion wird uns geraubt, wenn wir sie denn jemals hatten. Ganz unverblümt wird uns mitgeteilt, dass hier Schauspieler Held selbst ermittelt, genauer: zu ermitteln versucht. Warum versucht er nur, was ein Kommissar berufsbedingt doch einfach können sollte? Gar deshalb, weil das ZDF ihm als Schauspieler keine professionelle Ausbildung zum Kriminalbeamten hat angedeihen lassen? Oder etwa deshalb, weil das Opfer mausetot ist und der Kriminalschauspieler es bloß noch nicht gemerkt hat?

Und nun die Krönung. Was genau versucht der Mann, egal ob schauspielernder Ermittler oder ermittelnder Schauspieler, der da an einem vermutlich doch ertrunkenen Verbrechensopfer herumfingert? Was versucht er zu ermitteln? Wenn wir unserem anonymen BU-Texter glauben sollen, dann versucht er zu ermitteln, „warum ein Mann tot aus der Ostsee geborgen wurde.“ Man lese und staune. Hier wird nicht etwa ermittelt, warum der Mann tot ist. Auch nicht, wie er in die Ostsee kam. Auch nicht, was zu seinem Tod geführt hat. Sondern? Warum er geborgen wurde. Genauer: Warum er tot geborgen wurde. Nachdem wir diese Bildunterschrift gelesen und verstanden haben, meinen wir geradezu die Frage zu vernehmen, die Alexander Held alias Karl Hidde seinen triefnassen Kollegen von der Wasserschutzpolizei (nicht im Bild) soeben stellt: „Warum habt ihr den denn geborgen? Der ist doch schon tot!“

Optimismus rational?

Monday, 03. January 2011

blase5

Zum Jahresauftakt begrüßt uns die Süddeutsche mit einem jener beliebten Pro-und-contra-Spielchen, die vermutlich gedacht sind, Ehepaare schon am Frühstückstisch für den Rest des Tages zu entzweien und einsame Menschen in die Persönlichkeitsspaltung zu treiben, im Alltag der Leser in aller Regel aber nicht mehr anrichten als ein lauwarmes Sowohl-als-auch-Gefühl, begleitet von jener etwas verspannt wirkenden Kopfbewegung, die sich nicht zwischen Nicken und Schütteln entscheiden mag.

Optimismus vs. Pessimismus, so lautet heute der streitbare Begriffsgegensatz; und die Kontrahenten, die diese gegensätzlichen Haltungen in den Ring schicken, sind der „Optimist“ Adrian Kreye, seit vier Jahren neben Thomas Steinfeld Feuilletonchef der SZ; und der „Pessimist“ Alain de Botton, in London lebender Schweizer, Verfasser einiger populärer Bücher über philosophische Lebensfragen, oder besser: die Philosophie der Lebenskunst. Warum nun gerade dieses Paar sich berufen fühlt, den uralten Menschheitswiderspruch zwischen Skepsis und Zuversicht zum Jahresbeginn einer aktuellen Betrachtung zu unterziehen? Ich weiß es nicht. Noch nicht einmal die Rollenverteilung erscheint mir plausibel, beschäftigt sich doch de Botton in seinen Büchern vorzugsweise mit so weltzugewandten, lebensfrohen Gegenständen wie Flugreisen, moderner Architektur, der Liebe und dem Shopping. So war ich zunächst hin- und hergerissen, welches der beiden Plädoyers ich aufs Korn nehmen sollte, scheinen sie mir doch beide gleich konfus und missglückt. Ich entschied mich dann doch für Kreyes Artikel Täglich eine Lösung, der uns ja schon im Titel den Optimismus wie eine ärztliche Zwangsverordnung in Pillenform andient und sich damit das Hintertürchen der Selbstironie offenhält. Zudem versteckt sich der Verfasser hinter Zitaten aus „Schlüsselwerken des rationalen Optimismus“ und macht dabei nicht recht deutlich, ob er mit den aus ihnen zitierten Kernthesen denn tatsächlich übereinstimmt.

Aus einem Vortrag des britischen Wissenschaftsjournalisten Matt Ridley zitiert Kreye eine bemerkenswerte Gegenüberstellung. Hier die vierzig Jahre alten Kassandrarufe europäischer Pessimisten, da die wunderbaren Realitäten unserer globalisierten Welt von heute: „Als ich in den siebziger Jahren hier in Oxford studierte, war es um die Zukunft der Welt nicht gut bestellt. Die Bevölkerungsexplosion war nicht aufzuhalten. Globale Hungersnot schien unvermeidlich. Eine Krebsepidemie durch Umweltgifte schien unsere Lebenserwartung zu reduzieren. Saurer Regen entlaubte unsere Wälder. Die Wüste breitete sich mit einer Geschwindigkeit von zwei Meilen pro Jahr aus. Das Öl wurde knapp. Ein nuklearer Winter würde uns den Garaus bereiten. Nichts davon trat ein. – Erstaunlicherweise haben sich die Dinge alleine während meines Lebens zum Besseren gewendet. Das globale Durchschnittseinkommen hat sich pro Kopf verdreifacht. Die Lebenserwartung ist um dreißig Prozent gestiegen. Die Kindersterblichkeit ist um zwei Drittel gesunken. Die Lebensmittelproduktion ist pro Kopf um ein Drittel gestiegen. Und all das, während sich die Weltbevölkerung verdoppelt hat.“ (Zit. nach Adrian Kreye: Täglich eine Lösung. Ein Plädoyer für rationalen Optimismus; in: SZ Nr. 1 v. 3. Januar 2011, S. 11. – Den vollständigen launigen Vortrag des Zoologen Ridley kann man sich hier ansehen und anhören.)

Der rhetorische Trick ist so leicht durchschaubar, dass es geradezu einer Beleidigung des Publikums gleichkommt, welches aber offenbar darauf reinfällt und sich köstlich amüsiert. Tatsächlich sind ja nahezu alle düsteren Prognosen aus den 1970er-Jahren, die Ridley eingangs aufzählt, eingetreten: Das exponentielle Wachstum der Weltbevölkerung schreitet weiter voran; die absolute Zahl der Hunger leidenden Menschen ist heute mit über einer Milliarde größer als je zuvor; dass Krebserkrankungen zu einem beträchtlichen Teil durch zivilisationsbedingte Faktoren ausgelöst oder gefördert werden, steht nach wie vor außer Zweifel; pro Jahr verliert die Erde durch Desertifikation zwölf Millionen Hektar fruchtbaren Bodens von der Größe der gesamten Ackerfläche Deutschlands, Tendenz steigend; dass die Ölvorräte auf der Erde begrenzt sind, kann niemand bezweifeln, dass sie beim jetzigen weltweiten Verbrauch in spätestens 50 Jahren aufgezehrt sein werden, gilt als realistische Einschätzung, dass der gefürchtete Oil-Peak unmittelbar bevorsteht, traut sich niemand laut zu sagen; dass uns ein nuklearer Winter den Garaus machen könnte, ist vielleicht eher eine Prognose aus schlechter Science Fiction, doch sollte dies nicht davon ablenken, dass die Gefahr eines Dritten Weltkriegs unter Einsatz von Nuklearwaffen auch nach dem Ende des Kalten Kriegs nicht gebannt ist; einzig das besonders in Deutschland in den 1980er-Jahren in den Medien überzeichnete Bedrohungsszenario eines „Waldsterbens“ hat sich als unbegründete Panikmache erwiesen, was aber keineswegs bedeutet, dass der Wald im globalen Maßstab keinen vom Menschen verursachten Existenzbedrohungen ausgesetzt sei. – Und nun kündigt der Redner an, „die Dinge“ hätten sich erstaunlicherweise zum Besseren gewendet. Aber dann spricht er gar nicht über die zuvor genannten „Dinge“, sondern zählt ganz andere auf: das gestiegene globale Durchschnittseinkommen, die höhere Lebenserwartung, die gesunkene Kindersterblichkeit, die gestiegene Lebensmittelproduktion. Jede dieser vier Positionen kann man einer genaueren Betrachtung unterziehen, um sehr bald zu erkennen, dass sie auf reine Augenwischerei hinauslaufen. (So ist es geradezu zynisch, das global gestiegene Durchschnittseinkommen als Beispiel für eine Verbesserung der sozialen Verhältnisse auf der Welt anzuführen, wenn man weiß, dass die soziale Ungleichkeit zwischen wenigen Reichen und vielen Armen weiter rasant zunimmt.)

Fazit: Dieser Matt Ridley ist offenkundig ein Scharlatan, vergleichbar den Hütchenspielern in unseren Fußgängerzonen; und dass ein angesehener und einflussreicher Journalist wie Adrian Kreye auf ihn hereinfällt, ist ein Armutszeugnis.

Nichts gefunden?

Wednesday, 22. December 2010

hohlblase

Doch, auch heute gäbe es Stoff genug für meine Zeitungsschelte. Allein, ich war nicht in der rechten Stimmung und muss überdies feststellen, dass ich mir mit meinem Alltäglichkeits-Versprechen für diese Rubrik ein etwas zu enges Korsett umgeschnallt habe. Heute blieb mir schlicht die Puste weg!

Es zeigte sich, dass ich mir selbst solch ein unscheinbares Kläpschen auf die Pfoten der Redakteure nicht mal eben so zwischen Frühstücksei und Stuhlgang abquetschen kann. (Ich weiß, das ist ein schiefes Bild!) Man denke nur an die gestrige Glosse über die Papst-Ansprache. Dazu ist schon einiges an Recherche und mühseligem Textvergleich nötig. Es kostet Zeit und auch Kraft. Zudem stehe ich bei diesen Kritiken an den Kolleginnen und Kollegen unter besonderem Druck, möchte ja um Himmels willen bloß selbst keinen noch so kleinen Fehler machen, denn die Blamage tu ja besonders weh, wenn man mit Steinen schmeißt und plötzlich feststellt, im Glashaus gesessen zu haben.

Darum korrigiere ich mich wieder einmal und modifiziere meine Selbstverpflichtung dahingehend, dass ich mindestens dann ein Zitat aus der Süddeutschen des Tages aufs Korn nehme, wenn ich sonst keinen Beitrag veröffentliche. Es soll ja nicht darauf hinauslaufen, dass ich nur noch „Sprechblasen“ ablasse, so wichtig ist mir das morgendliche Ärgernis der Zeitungslektüre auch wieder nicht. Genauer gesagt: bei Weitem nicht.

Dass ich mir selbst etwas Druck mache, ist ansonsten schon okay! Ich neige nämlich dazu, die Zügel gelegentlich schleifen zu lassen. Mir läuft aber die Zeit davon. Das ist nur scheinbar ein Widerspruch bei einem Autor, der die Verlangsamung zum Hauptziel seiner Fortbewegung deklariert hat, sowohl in seiner Arbeit als auch in seinem übrigen Leben.

Heute jedenfalls habe ich nicht nötig, mich über den folgenden Werbeslogan in einer Buchrezension zu echauffieren: „Wenn es ein Buch gibt, das die Wall Street beschreibt, wie sie wirklich ist, dann ist es dieses: […].“ (Alexander Mühlauer: Die großen Helden; in: SZ Nr. 296 v. 22. Dezember 2010, S. 26.) Meine treuen Leser werden sich vermutlich selbst denken können, was mich an diesem Satz auf die Palme bringt. Heute darf ich einmal faul sein. Und überhaupt habe ich ja schon einen Blogbeitrag geschrieben – nämlich diesen hier, in dem ich erkläre, warum ich heute blau machen darf [s. Titelbild].

Unvorstellbare Dimension?

Tuesday, 21. December 2010

blase4

Gestern stellte ich noch für die fernere Zukunft in Aussicht, die Unpäpstlichkeit der päpstlichen Rhetorik an einem Beispiel vorzuführen, will sagen: dass der Papst sich beileibe nicht so klar und deutlich ausdrückt, wie es von ihm als der maßgebenden Stimme der katholischen Kirche zu erwarten wäre. Heute nun scheint mir die Süddeutsche ein Kostpröbchen dieser Unklarheit auf dem Silbertablett zu liefern – vorausgesetzt, man traut ihrer redaktionellen Redlichkeit.

Anlass der Berichterstattung war die Ansprache des Papstes an die Römische Kurie mit den traditionellen Weihnachtsgrüßen. Den Inhalt der Botschaft fasst meine Tageszeitung so zusammen: „Die Kirche müsse überlegen, ,was falsch war an unserer Botschaft‘, und die ,Demütigung‘ als Aufruf zur Erneuerung begreifen. Das Ausmaß des Missbrauchs, wie es in diesem Jahr offenbar wurde, habe ,eine unvorstellbare Dimension‘ angenommen, sagte Benedikt vor den im Vatikan versammelten Kardinälen und Bischöfen. ,Wir wissen um die besondere Schwere dieser von Priestern begangenen Sünde und unsere entsprechende Verantwortung‘, sagte der Papst. Die Verbrechen müssten aber auch in einem breiteren gesellschaftlichen Kontext gesehen werden, etwa im Zusammenhang mit der Verbreitung von Kinderpornographie und Sextourismus. So sei Pädophilie noch in den siebziger Jahren nicht so verpönt gewesen wie heute.“ (Papst fordert Selbstkritik; in: SZ Nr. 295 v. 21. Dezember 2010, S. 6; gleichlautend im Internet bei www.sueddeutsche.de.) Nun sind nur wenige Worte dieser Nachricht, nämlich genau 25, als wörtliche Zitate durch Anführungszeichen kenntlich gemacht. Zudem beruft sich die Zeitung auf Nachrichtenagenturen (dpa und dadp). Somit ist Vorsicht geboten, denn wenn ich nun diese Worte auf die Goldwaage lege, dann will ich nicht später zerknirscht zugeben müssen, dass meine Kritik bloß auf Übersetzungsfehlern, Verdrehungen und Verkürzungen beruht.

Aber immerhin schien mir doch ein Ausdruck eindeutig genug, um mein Missfallen bekunden zu können. Dass das Außmaß des Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen durch katholische Geistliche „eine unvorstellbare Dimension“ angenommen habe, fand ich sprachlich unscharf und inhaltlich enttäuschend. Ist mit der Dimension der rein zahlenmäßige Umfang gemeint? Dann verstehe ich nicht, was daran unvorstellbar sein soll. Nichts kann man sich doch präziser vorstellen als eine Zahl oder einen Prozentsatz von Tätern. Eher schon kann ich mir denken, dass vielleicht die Vorstellungskraft eines katholischen Geistlichen damit überfordert ist, sich das Ausmaß der Verderbtheit seiner Glaubensbrüder, in jedem einzelnen Fall und in allen schrecklichen Einzelheiten, auszumalen. Aber wenn das so wäre, dann müsste man doch fragen, woher eine solche Weltfremdheit denn rührt – und ob sie nicht geradezu ,systemimmanent‘ ist in einer Kirche, die die Religion über das Leben stellt. Wenn nun aber der Papst selbst dem Ausmaß des Missbrauchs eine „unvorstellbare Dimension“ abliest, muss ich mir Sorgen machen, den eine für viele Millionen Anhänger vorbildliche Instanz sollte doch über genügend Vorstellungsvermögen verfügen, um nicht von den alltäglichen Lastern der übelsten Sünder überrascht zu werden.

So etwa gedachte ich, den in der SZ zitierten Passus – „unvorstellbare Dimension“ – zu demontieren. Sicherheitshalber suchte ich aber im Internet den vollständigen Text der päpstlichen Weihnachtsbotschaft an die Kurie und wurde auch sehr schnell fündig. In dieser Übersetzung – die Ansprache wurde vom Papst wie üblich in lateinischer Sprache verlesen – lauten die von den Presseagenturen zusammengefassten Passagen so: „Wir müssen fragen, was in unserer Verkündigung, in unserer ganzen Weise, das Christsein zu gestalten, falsch war, daß solches geschehen konnte. […] Wir müssen diese Demütigung als einen Anruf zur Wahrheit und als einen Ruf zur Erneuerung annehmen. […] [Wir waren] erschüttert, gerade in diesem Jahr in einem Umfang, den wir uns nicht hatten vorstellen können, Fälle von Mißbrauch Minderjähriger durch Priester kennenzulernen, die das Sakrament in sein Gegenteil verkehren, den Menschen in seiner Kindheit – unter dem Deckmantel des Heiligen – zuinnerst verletzen und Schaden für das ganze Leben zufügen. […] Der besonderen Schwere dieser Sünde von Priestern und unserer entsprechenden Verantwortung sind wir uns bewußt. Aber wir können auch nicht schweigen über den Kontext unserer Zeit, in dem diese Vorgänge zu sehen sind. Es gibt einen Markt der Kinderpornographie […]. Von Bischöfen aus den Ländern der Dritten Welt höre ich immer wieder, wie der Sextourismus eine ganze Generation bedroht und sie in ihrer Freiheit und Menschenwürde beschädigt. […] In den 70er Jahren wurde Pädophilie als etwas durchaus dem Menschen und auch dem Kind Gemäßes theoretisiert.“ (Monumentale Ansprache Benedikts XVI. an die Römische Kurie; zit. nach www.kath.net, 20. Dezember 2010, 14:00 Uhr.) Es geht also nicht um eine Dimension, sondern um den Umfang des Missbrauchs. Und der ist nicht dem Papst nach wie vor unvorstellbar, sondern die Gemeinschaft der Gläubigen – die meint wohl das „wir“ – hatte es sich nicht vorstellen können, dass so viele Priester auf diesen Abweg gerieten. Daran ist nun tatsächlich nichts auszusetzen. Ich hätte dem Papst Unrecht getan, wenn ich mich auf die „Zitate“ in der Süddeutschen verlassen hätte.

Übrigens bedarf es nur eines kurzen Gegoogels, um an diesem Beispiel wieder einmal zu sehen, dass die Pressevielfalt in den deutschsprachigen Ländern wie so oft nur noch eine vermeintliche ist. In allen Artikeln, die über die päpstliche Ansprache berichten, tauchen die gleichen Versatzstücke der Agenturen auf. Nicht eine der großen Zeitungen macht sich die Mühe, die ja wohl offizielle und vollständige Veröffentlichung des österreichischen Online-Magazins kath.net zu lesen und auf dieser Textgrundlage einen „gerechteren“ Artikel zu verfassen. Erbärmlich!

Trümmerfrau?

Monday, 20. December 2010

blase3

Heute ist die SZ nur ganz indirekt dafür verantwortlich zu machen, wenn ich mit der Faust vor Zorn dermaßen heftig auf den Frühstücktisch schlagen musste, dass die Kaffeetassen bis zur Zimmerdecke sprangen. Übertrieben? Ja, es geht heute um maßlose Übertreibung.

Urheber der Entgleisung des Tages ist diesmal Hilmar Kopper (75), berühmt-berüchtigt für unangebrachte Wortwahl seit seinem „Peanuts“-Ausrutscher von 1994. Auf seine alten Tage ist der Banker nun damit befasst, die HSH Nordbank aus der Krise zu führen, deren Aufsichtsrats-Vorsitzender er seit Juli 2009 ist.

Das mag ein Job sein, der einige Anstrengungen erfordert. Im übetragenen Sinne könnte man vielleicht sagen, dass Kopper die Ärmel aufkrempeln muss, um in dem Laden für Ordnung zu sorgen. Immerhin verstärkte sich bei Kristina Lasker und Klaus Ott, die heute in der Süddeutschen über den aktuellen Stand der Dinge berichten und den 30-seitigen Prüfbericht über die neueste HSH-Affäre eingesehen haben, „der Eindruck, dass es sich bei der Staatsbank aus dem hohen Norden um ein Tollhaus handelt.“ (Projekt Wasserpfeife; in: SZ Nr. 294 v. 30. Dezember 2010, S. 23; vgl. auch den Kommentar v. Caspar Busse auf S. 17.)

Desto schlimmer, dass nun der Aufsichtsratschef, der aus dem Tollhaus wieder ein nach rationalen Regeln geordnetes Kreditinstitut machen soll, selbst närrisch geworden zu sein scheint. Diesen Eindruck gewinne ich nämlich, wenn ich lesen muss, Kopper fühle sich in all den Affären „wie die Trümmerfrau, die nun saubermacht“. Dieser Vergleich ist schamlos! Als die hungernden, frierenden, meist ganz auf sich gestellten Frauen nach dem verlorenen Weltkrieg in den zerbombten deutschen Städten begannen, oft mit bloßen Händen den Schutt beiseite zu räumen und in den Kellern behelfsmäßige Behausungen für sich und ihre Kinder zu schaffen, da war der kleine Hilmar zehn Jahre alt – eigentlich alt genug, um den himmelweiten Unterschied zwischen dieser Plackerei und seinem heutigen Geschäft empfinden zu müssen. Übrigens soll Kopper für seinen Job dem Vernehmen nach, ganz anders als die Trümmerfrauen, mit denen er sich vergleicht, Geld bekommen. Auch insofern ist keinerlei Ähnlichkeit erkennbar. Und wenn ich gedanklich bis an die Wurzeln dieser Geschmacklosigkeit dringe, muss ich gar erkennen, dass Kopper sich den Trümmerfrauen ja nicht etwa als aller Ehren werte Vorbilder zur Seite stellt, sondern sie im Gegenteil als despektierliche Beispiele für eine Arbeit von sich weist, die völlig unter seiner Würde ist.

Und was nun kann meine arme SZ dafür? Auf den ersten Blick nicht viel, da sie ja bloß zitiert, gar aus zweiter Hand, denn Hilmar Kopper hat diesen dummen Vergleich ursprünglich in einem Interview angestellt, das der heutige Spiegel veröffentlicht. Auf den zweiten Blick hätte ich aber doch erwartet, dass die SZ diese neuerliche Entgleisung des Top-Bankmanagers wenigstens als solche benennt. (Ich bin mal gespannt, ob außer mir überhaupt noch jemand daran Anstoß nimmt.)

Heimspiel?

Saturday, 18. December 2010

blase2

Heute berichten S. Braun und C. von Bullion vom Heckmeck um den für September 2011 bevorstehenden Berlin-Besuch des Papstes: Heikler Auftritt im Reichstag (in: SZ Nr. 293 v. 18./19. Dezember 2010, S. 10). Schon der erste Satz lässt nichts Gutes erwarten: „Die Materie ist sensibel, das Terrain unwegsam, die Einhaltung des Protokolls von größter Bedeutung.“

Über Materie, Terrain und Protokoll erfahren wir anschließend: dass der Besuchstermin ursprünglich auf eine Einladung des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert (CDU) zurückgeht; dass der diese Einladung 2006 spontan ausgesprochen hat, ohne sich mit den Fraktionen abzustimmen, was diese verstimmt habe; dass einige Berliner Grüne (Ströbele), Schwule und Lesben Benedikt XVI. nicht mögen, andere (Künast) aber doch; dass eine Rede unter freiem Himmel vielleicht im Pfeifkonzert dieser Szene untergehen könnte; dass viele deswegen eine Rede im Reichstag sicherer fänden; dass auch der Berliner Erzbischof Georg Sterzinsky froh wäre, wenn der Papst vor dem Bundestag reden dürfte; dass daraufhin ein Sprecher des Bundestagspräsidenten den Erzbischof kühl darüber belehrt habe, allein Herrn Lammert stehe es zu, den Papst ins Hohe Haus einzuladen, und keineswegs Herrn Sterzinsky.

Wenn mich ein Blick auf die Schneeberge vor meinem Fenster nicht eines Besseren belehrte, würde ich annehmen, die Pressetexter steckten im tiefsten Sommerloch. Unwegsam ist allenfalls das Terrain für die Autoren, die blindlings nach einer Materie tasten, aus der sich ein Artikelchen machen ließe, aber sie partout nicht finden – sensibel oder nicht. Ein Sturm im Wasserglas!

Als mir noch Menschen zum Geburtstag gratulieren mussten, die vorgezogen hätten, wenn ich erst gar nicht geboren worden wäre, überreichten sie mir Geschenke, deren einziger Zweck für sie wohl darin bestand, das schreckliche Altpapier nicht zum Container tragen zu müssen, in das sie sie eingewickelt hatten. Ganz ähnlich verfahren heute manche Auftragsschreiber. Wenn sie schon nichts mitzuteilen haben, dann wollen sie bei dieser Gelegenheit wenigstens die eine oder andere sprachliche Schlamperei loswerden. Das Paar Braun / von Bullion (Praktikanten?) musste dringend folgenden Satz entsorgen: „Berlin mit seiner schwul-lesbischen und kirchenkritischen Szene ist, vorsichtig ausgedrückt, kein Heimspiel für Katholiken.“ Einmal kurz durchatmen, bitte! Vorsichtig ausgedrückt? Nicht vorsichtig genug, denn sonst hätte den Autoren dämmern müssen, dass Berlin mitnichten ein Spiel ist, kein Heim-, kein Auswärts- und auch kein Kinderspiel, sondern eine Stadt. Und wenn die beiden gemeint haben, dass der öffentliche Auftritt eines hohen katholischen Würdenträgers in Berlin kein Heimspiel sei, dann sollen sie das doch bitte sagen, diese Umständlichkeit um der sprachlichen Richtigkeit willen können und wollen wir ihnen nicht ersparen.

Mancher gnädigere Leser wird mir nun vorhalten, ich sei päpstlicher als der Papst. Ach was, in Fragen sprachlicher Präzision ist mir der jetzige Papst, obgleich er allenthalben für seine Bildung, gar Intellektualität gerühmt wird, längst nicht päpstlich genug. (Gewiss wird sich beizeiten die Gelegenheit bieten, auch einen Lapsus des Josef Ratzinger aufzuspießen.)

Problemlos?

Friday, 17. December 2010

blase1

Für den allerersten „Schenkelklatscher“ dieser neuen Serie können die Redakteure von der Süddeutschen nichts. Sie zitieren ja nur. Aber dass sie einen solchen Satz wortwörtlich zitieren, ist doch auch wieder ein starkes Stück, denn es lässt nur zwei mögliche Erklärungen zu. Entweder, sie wollen auf diese Weise die Bundesjustizministerin in die Pfanne hauen, deren Mangel an logischem Denkvermögen damit vorgeführt wird; oder aber sie finden nichts dabei, wenn eine Person in dieser Stellung einen solchen Un-Satz zu Protokoll gibt.

Der Hintergrund: Guido Westerwelle, noch amtierender FDP-Bundesvorsitzender und Bundesminister des Auswärtigen, gerät auch aus den Reihen der eigenen Partei zunehmend unter Beschuss, weil laut aktuellen Meinungsumfragen nur noch knapp fünf Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme für die Liberalen abgeben würden. Aus den Landesverbänden wird scharf auf den Vorsitzenden geschossen, da fordern führende Bundespolitiker der FDP ein Ende der internen, aber öffentlich geführten Personaldebatte.

In diesem Zusammenhang meldet sich nun Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zu Wort. Sie räumt ein, dass viele Wähler ihrer Partei enttäuscht seien, weil sie sich in der jetzigen Regierungspolitik nicht wiederfänden. Und dann verbricht sie den folgenden Satz: „Das ist unser Problem und nicht, dass wir die Bürgerinnen und Bürger [jetzt] auch noch mit großen Personaldiskussionen öffentlich behelligen.“ (FDP-Chef in Bedrängnis; in: SZ Nr. 292 v. 17. Dezember 2010, S. 1.)

Die Ministerin sagt hier wörtlich, es sei nicht das Problem der FDP, dass sie die Bürgerinnen und Bürger mit Personaldiskussionen behelligt. Aber das meint sie natürlich nicht, und tatsächlich ist ja nahezu das Gegenteil wahr. Es ist doch eben gerade ein Problem für die FDP, dass einige ihrer führenden Mitglieder in den Landesverbänden, wie Wolfgang Kubicki und Herbert Mertin, eine Personaldiskussion angestoßen haben, denn sonst hätte schließlich die Justizministerin zu diesem Thema überhaupt nicht das Wort ergreifen müssen. Richtig hätte sie etwa so formulieren können: ,Das ist unser Problem, um das wir uns kümmern sollten, und wir machen alles nur noch schlimmer, wenn wir nun öffentlich eine große Personaldiskussion führen und die Bürgerinnen und Bürger mit unseren internen Zwistigkeiten behelligen.‘ Es ist doch so einfach, einen Gedanken klar zum Ausdruck zu bringen – wenn man denn einen klaren Gedanken hat.

Aber wozu soll man sich heute als Politiker anstrengen, klar zu denken, gar zu sprechen? Solche Unschärfen gehen ohnehin unbemerkt im allgemeinen Durcheinander unter oder werden vom medialen Grundrauschen neutralisiert. Diese Gleichgültigkeit geht so weit, dass Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sich nicht scheut, das Interview mit dem geistesschwachen Satz, das sie übrigens Thomas Mayerhöfer vom Rundfunksender Bayern 2 gegeben hat, im O-Ton auf ihre Web-Seite zu setzen. (Daher weiß ich, dass die SZ-Redaktion, die übrigens Quellenangaben für Zitate aus anderen Medien selten für nötig hält, ein „jetzt“ im Satz der Ministerin geschlabbert hat, und konnte es der Richtigkeit zuliebe in eckigen Klammern hinzufügen.)

Der allmorgendliche Schenkelklopfer

Friday, 17. December 2010

blase0

Seit ich mein Interview-Vorhaben mit Oskar Lerbs notgedrungen zu Grabe habe tragen müssen, fehlt mir was. Und jetzt, wo mein Gesprächspartner sich aus dem Staub gemacht hat, kann ich ja freimütig gestehen, dass dieses Projekt eigentlich von Anfang an nicht so lief, wie ich ’s mir ursprünglich gedacht hatte. Die Pausen zwischen den Terminen waren viel zu lang, schon deshalb kam unser Dialog nie richtig in Fluss. Und auch die sture Begrenzung auf fünf Fragen – die allerdings Lerbs zur Bedingung gemacht hatte – war nicht eben förderlich.

Um es rundheraus zu sagen: Was mir eigentlich fehlt, ist die alltägliche Rubrik, mit einem festen Bezugspunkt, der mir gleich in den frühen Morgenstunden zuverlässig einen Anlass bietet, federleicht in Schwung zu kommen und dem Rest des Tages mit dem ruhigen Gewissen entgegensehen zu können, immerhin etwas schon geleistet zu haben.

Jetzt hab ich – Heureka! – genau dieses missing link zwischen meinem äffischen Traumgeschehen in meinen dschungelschwarzen Nächten und den sonnengrellen Geistesblitzen meiner besseren Tage gefunden, das mir an den unvermeidlichen schlechten immerhin doch den kleinen Trost gewährt, mein vegetatives Nervensystem mit allen sonst so überflüssigen Vitalfunktionen nicht ganz umsonst am Laufen gehalten zu haben.

Und dieser Einfall birgt sogar noch einen Zusatznutzen! Seit etlichen Wochen quäle ich mich nämlich mit dem Gedanken, ob ich mich nicht angesichts der angespannten Haushaltslage unserer Familie von dem einzigen klassischen Massenmedium, das mich noch über den aktuellen Verfallszustand unserer Welt unterrichtet, verabschieden soll. Das Abonnement der Süddeutschen Zeitung kostet immerhin monatlich 43,90 Euro. Rechnet man die Sonn- und Feiertage heraus, dann wende ich für meine tägliche Zeitungslektüre am Frühstückstisch rund 1,75 Euro auf. Lohnt sich das? Schließlich bekomme ich die allerschlimmsten Dinge ja unweigerlich aus dem Rundfunk mit (GEZ-Gebühr mtl. 5,76 Euro). Und wo mich „Hintergründe“ und „Meinungen“ interessieren, bin ich im Internet besser bedient, weil vielseitiger orientiert, im weiten Spektrum zwischen Weltwoche und jungle world.

Also stellte sich die unabweisliche Frage: Was würde ich am meisten vermissen, wenn ab Januar 2011 neben meinem Frühstücksteller nicht mehr die SZ läge, sondern – nichts? Die Antwort war schnell gefunden und fiel eindeutig aus. Was ich wirklich entbehren würde, das wären jene sprachlichen und gedanklichen Mängel, Versehen, Unschärfen, Verwechslungen und Fehler, ohne die heute keine einzige Seite einer Tageszeitung mehr auszukommen scheint, selbst jener überregionalen Blätter nicht, ob Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurter Rundschau, Welt, tageszeitung oder eben meine Süddeutsche. Mich über die täglich aktuellen „Fundstücke“ aus deren Redaktionsstuben zu echauffieren, ist zwischen Traum und Tag mein liebstes Mittel, in Fahrt zu kommen. Dabei bin ich nicht wählerisch. Mal ist es eine grammatische Unmöglichkeit, mal ein Schnitzer bei der Wortwahl, was mich auf die Schenkel klopfen lässt, mal stammt der alltägliche Lapsus vom Leitartikler, mal springt mich der satzgewordene Nonsens aus dem wörtlichen Zitat eines Politikers an. Diese Frühstücksfreuden werde ich ab sofort alltäglich hier unter der neuen Überschrift Sprechblasen rubrizieren und dokumentieren. Und mit dem Titelbild mache ich es mir ganz einfach, wie man sehen wird. (Vielleicht gewährt mir ja die SZ-Redaktion, wenn sie souverän genug ist, meine leidenschaftliche Anteilnahme an ihren Schwächen als Liebeskummer zu verstehen, demnächst ein Gratis-Abo, wer weiß?)