Archive for April 20th, 2008

Verletzung

Sunday, 20. April 2008

Das wäre also auch überstanden: der Papst-Besuch in den USA. Wenn man sich dafür interessierte, was Ratzinger denn nun wortwörtlich gesagt hat vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen, beim viel beschworenen Höhepunkt seines ersten Auftritts im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, dann musste man schon zur New York Times greifen, per Mausklick. Andernorts fand man bloß mickerige Inhaltszusammenfassungen.

Und selbst die „alte Tante“ NYT (Uwe Johnson) machte es dem Aufklärungswilligen nicht eben leicht. Sie brachte den kompletten Redetext zwar per Videostream auf den Bildschirm, aber das nebenher laufende Manuskript der englischen Übersetzung musste ich mir schon mühsam Wort für Wort abschreiben. Benedikt XVI. setzte seine programmatische UN-Rede portionsweise gleich zweisprachig in Szene und bewies damit seine Vielsprachigkeit medienwirksam in Französisch und Englisch.

Mich beschäftigt hier allein ein einziger Satz des Papstes, als warnendes Wort zum wissenschaftlichen Fortschritt gemeint. „Notwithstanding the enormous benefits that humanity can gain, some instances of this represent a clear violation of the order of creation, to the point where not only is the character of life contradicted, but the human person and the familiy are robbed of their natural identity.“ (So die Übersetzung der NYT aus dem französischen Original; kursive Hervorhebung von mir.)

Wir haben es also nach den Worten des Papstes in einigen Fällen wissenschaftlicher Forschung – Benedikt XVI. spielt damit auf die embryonale Stammzellenforschung an – mit einer „eindeutigen Verletzung der Schöpfungsordnung“ zu tun? Da tritt also ein Homo sapiens, als Stellvertreter Christi auf Erden, mithin als Repräsentant einer der herrschenden Weltreligionen, vor den höchsten weltlichen Rat dieser missglückten Art, mit einer solchen mickerigen Sorge?

Ach, lass Dir doch von einem jugendfrischen, klarsichtigen und respektlosen Revierflaneur sagen, wie es sich tatsächlich verhält, lieber Joseph Ratzinger: Wir Menschen, einerlei ob religiös oder nicht, ob Muslime, Christen, Buddhisten, Juden, Hinduisten oder Atheisten, sind allesamt, wie wir (noch) da sind, „eine eindeutige Verletzung der Schöpfungsordnung“. Und wenn Du das immer noch nicht begriffen hast, dann kann Dir kein Gott mehr helfen.

Kommentare

Sunday, 20. April 2008

Was ich an meinem Weblog und an Blogs ganz allgemein so reizvoll finde: Erstens die Leichtigkeit und Geschwindigkeit, mit der ich in wenigen Stunden einen Text taufrisch vom Schreibtisch weg veröffentlichen, ihm zu einer wenigstens potenziellen Weltöffentlichkeit verhelfen kann. Zweitens die theoretisch unbegrenzte Dauerhaftigkeit seiner Präsenz im Web, auch wenn ich damit das Risiko eingehe, dass noch in fernster Zukunft meine öffentlichen Meinungsäußerungen privatim gegen mich verwendet werden könnten. Drittens die Möglichkeit nachträglicher Korrektur, wobei mein Berufsethos als Schreibender mich dazu verpflichtet, ausschließlich formale Fehler zu korrigieren und ich inhaltliche Änderungen selbst dann nicht vornehme, wenn sich meine Meinung in der Sache geändert hat oder ich gar einsehen muss, unbedacht peinlichen Nonsens abgesondert zu haben. Viertens die bequeme Verweistechnik, das Verlinken auf andere Inhalte im Netz, mit deren Hilfe ich meine Quellen ohne lästige Fußnoten und Literaturangaben offenlegen und zu weiterführender Lektüre anregen kann.

Fünftens schließlich, und das ist vielleicht die revolutionärste und folgenreichste Besonderheit des neuen Mediums: der „direkte Draht“ zum Leser, durch das zeitlich und räumlich unbegrenzte Kommunikationsfeld der Kommentare. Ich bekenne mich ausdrücklich zu jener Blogger-Fraktion, die ein „Netztagebuch“ nicht als echtes Weblog anerkennt, bei dem die Kommentarfunktion von vornherein unterdrückt wird.

Schon im ersten Massenkommunikationsmittel der Menschheitsgeschichte, in der Zeitung, fristete die Antwortmöglichkeit der Rezipienten traditionell, und fristet erst recht in der Gegenwart ein eher kümmerliches Schattendasein; nämlich in den Leserbriefspalten. Beim dominierenden Massenmedium des vorigen Jahrhunderts, dem Fernsehen, konnte von offener Kommunikation zwischen Sender und Empfänger schon gar nicht mehr die Rede sein. Übergangslos wurden aus den gehorsamen Befehlsempfängern der faschistischen Diktatur die passiven TV-Konsumenten der konsumistischen Demokratie.

Mit dem Aufkommen der Weblogs vor wenigen Jahren und ihrer weltweiten Verbreitung hat nun ein hohes Ideal der demokratischen Aufklärung eine unerwartete Chance auf seine späte Verwirklichung erhalten: das Ideal eines öffentlichen Dialogs freier Bürger; des von nahezu keiner Zensur und nur geringen ökonomischen Barrieren begrenzten Rechts auf unmittelbaren Meinungsaustausch.

Angesichts der hoffnungsvollen Aussicht, dass durch eine bloße technische Innovation im Internet das von Michel Foucault beschriebene diskursive Konzept der Parrhesia vielleicht doch noch eine Zukunft hat, erscheinen mir alle Risiken und Nebenwirkungen, die das Instrument Weblog mit Kommentaroption nach sich zieht, wie Schönheitsflecken in einem liebreizenden Antlitz. Dass mich Kommentare zu meinen Blogbeiträgen gelegentlich nerven, zumal wenn sie in Richtungen gehen, die weit von dem von mir angeschlagenen Thema wegführen, das nehme ich gern in Kauf, auch wenn ich mich als Kommentator in eigener Sache darüber beklage. Schließlich behält ja auch der „Quertreiber“ das Recht, meine vielleicht kleinliche oder gar selbstverliebte, an meinen Themenvorgaben „klebende“ Klage öffentlich zu monieren – und dem stillen Leser, der auf jeden Kommentar verzichtet, bleibt es unbenommen, sich in aller Stille seine persönliche Meinung zu bilden.