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Helter Skelter

Thursday, 03. April 2008

 

11. Dezember 1956

 

Dass Babys per se süß sind, schien mir schon immer fragwürdig, wie jedes allzu selbstverständliche Urteil. Was sieht der Säugling mit seinen weit aufgerissenen Augen? Ist dieser Blick nicht eher dämonisch? Oder doch allenfalls animalisch? Unbedingt aber ein ewiges Rätsel?

Und dann diese Schreierei, die oft genug weder durch Stillen noch durch Wiegen noch durch guten Zuspruch aus der Welt zu schaffen ist. Was, wenn wir unsere ersten Lebensmonate allesamt als eine Hölle auf Erden empfunden haben? Das würde immerhin erklären, warum wir uns an diese Zeit nicht erinnern können.

Roman Polanskis Rosemary‘s Baby von 1968 begeht insofern einen der radikalsten Tabubrüche der Filmgeschichte. Und dass im Jahr darauf seine schwangere Frau Sharon Tate von der Manson-Family auf grässliche Weise abgeschlachtet wurde, könnte man, so man denn abergläubisch wäre, einem bösen Fluch zuschreiben, den er sich mit dieser Grenzüberschreitung zuzog.

Allein, der Gedanke an solche „Zusammenhänge“ ist geschmacklos. Es gibt keinen „Sinn“ hinter diesen Zufällen. Und ebensowenig steckt irgendeine Bedeutung in dem Umstand, dass vor jenem Dakota Building in New York, wo Rosemary‘s Baby gedreht wurde, zwölf Jahre später John Lennon auf seinen Mörder traf – selbst wenn man bedenkt, dass der Lennon-McCartney-Song Helter Skelter eine wesentliche Inspirationsquelle für Charles Mansons durchgeknallten Satanismus war.

Unsere naive Suche nach einem Webmuster des Schicksals ist gefährlich. Oder, wie Samuel Beckett einmal gesagt hat: „Wehe dem, der Symbole sieht.“ Vielleicht sehen süße Babys fortwährend Symbole. Sobald wir zu denken beginnen, müssen wir lernen, uns mit der sauren Zufälligkeit der Ereignisse abzufinden.