Jetzt haben mich Frischs Fragebögen in seinem Tagebuch aus den späten 1960er-Jahren gepackt. Manche Fragen kann ich ohne langes Bedenken beantworten. „Wen, der tot ist, möchten Sie wiedersehen?“ Ja, wen wohl? Natürlich meinen Vater, der ohne Abschiedsgruß ins Jenseits verschwand, als ich gerade 13 Jahre alt geworden war. Ein dummes Alter, um unversehens den geliebten Vater zu verlieren. Ich würde ihn gern fragen, ob er mit mir zufrieden ist, so wie ich jetzt bin. Und ich würde ihm gern meine fünf Kinder vorstellen. Und ich würde ihm gern danken für das, was er mir in den ersten 13 Jahren meines Lebens Gutes hat widerfahren lassen.
„Wie alt möchten Sie werden?“ Das ist schon verzwickter. Ein Alter, in Jahren ausgedrückt, kann ich jedenfalls nicht sagen. Wenn mich heute der Schlag träfe und ich hätte noch die Gelegenheit mich zu fragen, ob ich diesen verhältnismäßig frühen Tod als ungerecht empfände, so wäre meine Antwort ein klares Nein. Ein besseres, volleres, lebenssatteres Leben, als ich es bisher hatte, ist wohl nur den wenigsten vergönnt. Jeder Tag mehr ist ein unverdientes Geschenk.
„Überzeugt Sie Ihre Selbstkritik?“ Keineswegs. Der Blick in den Spiegel ist immer ein Spiel mit Täuschungen. Ich setze das Licht so, dass meine Schattenseiten verborgen bleiben, auch und zuallererst vor mir selbst. Und wenn ich einen offensichtlichen Makel bewusst mit einem grellen Strahl ausleuchte, dann ist auch diese vermeintliche Selbstentblößung nichts als ein eitles Schauspiel. Nein, wann immer ich Selbstkritik übe, in Gedanken oder Worten, ist dies ehrlich gesagt nur eine erbärmliche Maskerade. Ich mime in solchen skeptischen Selbstbetrachtungen den offenherzigen Wahrheitssucher und bin doch auch dabei nur ein selbstverliebter Narziss.
„Was fehlt Ihnen zum Glück?“ Nichts, insofern als das Glück hinter mir liegt. Ich habe mehr Glücksmomente erleben dürfen, als auf eine Kuhhaut gehen. „Genug ist Reife“, wie Theodore Sturgeon in einer unvergesslichen Erzählung einmal gesagt hat. Was mein persönliches Glück angeht, so habe ich davon genug genossen.
„Wofür sind Sie dankbar?“ Diese Frage kann ich nicht beantworten ohne die Gegenfrage zu stellen, die bedauerlicherweise unbeantwortet bleiben muss: „Wem sollte ich dankbar sein?“