Archive for the ‘Snapshot’ Category

Bilddeutung (II)

Saturday, 04. June 2011

Das könnte tatsächlich die Rückseite des Tores aus dem vorigen Bild sein; die Innenseite des geheimnisvollen Gebäudes. Leider wird mir kein Blick hinein in den Raum oder eher Saal gewährt, sondern ein Blick in die Gegenrichtung, auf den Eingang, durch dessen glaslose Fensterschlitze das grelle Tageslicht hineindringt und mich beinahe blendet.

Ein großer schlanker junger Mann hat die Tür in der Mitte einen Spalt weit geöffnet. Noch hält er wohl die Klinke in der Hand. Er steht auf der Schwelle und späht hinein.

Auch hier sind wieder Fässer zu sehen, verschiedener Größe, nebeneinander und aufeinandergestapelt. Links lehnt ein großes Brett oder eine schmale Kiste an der Wand, wenn es dort eine Wand gibt. Woran lehnt das Ding aber sonst? Das bleibt ein Rätsel, aber ein vermutlich unbedeutendes, an dessen Auflösung niemandem gelegen sein kann. Auf einigen Fässern stehen Flaschen unterschiedlicher Größe und Form. Sie mögen leer sein oder verschiedene Flüssigkeiten enthalten, das geht uns nichts an. Immerhin mag das kleinste Fläschchen ein konzentriertes Gift enthalten. Na, und? Niemand zwingt den Mann, davon zu trinken. Dumm ist er nicht, er würde daran schnuppern, bevor er einen Schluck nähme. Dann käme ihm der stechende Geruch, den es doch wohl ausströmte, gewiss verdächtig vor, und er würde es beiseitestellen oder gar an die rückwärtige Wand schleudern, knapp über meinen Kopf hinweg, wo es zerschellte. Aber mich schert das Fläschchen erst recht nicht, ob es nun Gift enthält oder nicht, ob es an seinen Platz zurückgestellt wird oder in meine Richtung geschleudert. Ja, nicht einmal das kann mich erschrecken. Es ist ja nur ein Bild, oder?

Der Mann trägt einen dunklen Anzug. An seinem erschreckend schlanken Hals zeichnet sich ein feiner weißer Hemdkragen ab. Ich möchte sagen: ,Aber kommen Sie doch herein, Herr Baron! Nur keine Scheu! Treten Sie näher!‘ Ich höre geradezu meine leicht meckernde, leicht drohende Stimme.

Der Herr zögert. Er scheint etwas zu fürchten. Vielleicht ist es nur, dass er nicht sicher ist, ob er mit seinem Eindringen eine Indiskretion begehen würde. Vielleicht ist es seine Vornehmheit, die ihm eigentlich verbietet, fremde Räume uneingeladen zu betreten. Aber warum hat er dann die Tür überhaupt geöffnet? Vielleicht war es Neugier. Neugier gilt ja längst nicht immer als lauteres Motiv für eine Handlung. Wer ungebeten ein fremdes Geheimnis lüftet, muss damit rechnen, dass sich ihm etwas offenbart, wovon er lieber keine Kenntnis erhalten hätte. Leider können wir den Gesichtsausdruck des Mannes nicht entschlüsseln. Das Bild ist zu unscharf, zudem liegt sein Antlitz im Halbschatten.

Bilddeutung (I)

Friday, 03. June 2011

Vielleicht hat mich die Interpretation von Heinrichs Testament auf den Geschmack gebracht? Neuerdings kann ich jedenfalls oft der Versuchung nicht widerstehen, mir einen vielleicht spinnerten, vielleicht bezwingenden Reim auf Bilder zu machen, die mir hier und da zu Gesicht kommen. Es handelt sich dabei um ganz unterschiedliche Bilder, Fotos so gut wie Gemaltes, Kunstwerke neben Trivialem. Ich sage mittlerweile schon zu mir selbst: ,Das ist wieder eins!‘ (Nämlich ein Bild, das sich wünscht, von mir gedeutet zu werden.) Also fange ich heute einfach mal damit an.

Dieses Tor hat offenbar seine besten Zeiten schon gesehen. Die zum größeren Teil zerdepperten Scheiben lassen vermuten, dass der Raum dahinter nicht mehr zur Lagerung von Dingen genutzt wird, die keine Feuchtigkeit vertragen. Um welche Art Raum mag es sich handeln? Vielleicht um eine Scheune? Eine Lagerhalle? Vielleicht um einen Stall?

Am rechten Bildrand erkennt man gerade noch, dass es dort wohl ein genau gleich großes Tor gibt. Bilde ich es mir nur ein, dass wir uns hier einem landwirtschaftlich genutzten Gebäude gegenübersehen? Schließlich könnte es ja auch eine industrielle Lager- oder Produktionshalle sein. Oder doch immerhin um eine handwerkliche Arbeitsstätte, etwa eine Schmiede oder Küferei? Vor dem rechten Torflügel liegt immerhin etwas, das aussieht wie ein Fass. Was es enthält, kann ich nicht einmal erraten, denn ich weiß nicht, welche Art Fass das ist. Und links daneben scheint ein weiteres Fass zu stehen, auf dem ich noch ein weiteres Fässchen gewahre. Das könnte aber auch ein Eimer sein. Jedenfalls ist das Gemäuer alt. Heute würde man Eingangstore kaum mehr mit einem solchen Rundbogen bauen. Ich bin kein Fachmann für Architekturgeschichte, aber doch ziemlich sicher, dass dieses Bauwerk mindestens hundert Jahre alt ist.

Waagerecht läuft ein schwarzer Strich durchs Bild. Da er sich über das Mauerwerk ebenso erstreckt wie über das Holz des Tores, handelt es sich vermutlich um einen Strich auf dem Foto, nicht in der Wirklichkeit. Oder doch? Vielleicht ist ja dort in einigem Abstand zum Hintergrund ein schwarzes Seil gespannt. Aber warum? Außerdem gibt es zahlreiche, feinere vertikale Striche, in unregelmäßigen Abständen und von verschiedener Länge und Stärke. Es könnte sich also um ein Foto aus einem Film handeln. Das wäre doch was! Kintopp auf dem Bauernhof.

Den Anblick des Gemäuers mit dem ramponierte Zugang zu einem ungewissen Innenraum empfinde ich als unangenehm. Ich wüsste gern und doch wieder nicht, was sich hinter diesem Tor verbirgt. Ich weiß nicht, ob ich das Tor öffen würde, wenn es mir im wirklichen Leben und nicht bloß auf einem Bild begegnete. Vielleicht würde ich sogar der Versuchung widerstehen, wenigstens einmal einen kurzen Blick durch einen der zerborstenen Fensterschlitze zu werfen. Offenbar möchte ich mir nicht vorstellen, welcher Anblick sich mir hinter diesem Tor böte.

Chaos chétif

Wednesday, 18. May 2011

(Ohne Worte.)

Anarchie désolé

Tuesday, 17. May 2011

(Ohne Worte.)

Grau alle Theorie

Sunday, 15. May 2011

(Ohne Worte.)

Magendarm (Forts.)

Thursday, 12. May 2011

(Ohne Worte.)

Magendarm

Wednesday, 11. May 2011

(Ohne Worte.)

Ochmööönsch (II)

Friday, 06. May 2011

Beim Anblick dieses lädierten Quintapeds überwältigt mich wieder einmal mein Mitleid mit den Dingen. Was hat er denn da, an seinen beiden bandagierten Rollfüßchen? Ist er am Ende gar ausrangiert? Erwartet ihn das traurige Schicksal jedes Menschenmöbels: die Reise nach Wegdamit?

Wie alt mag das rückenfreundliche Bürostühlchen wohl sein? Es sollte mich nicht wundern, wenn es gerade mal fünf schlappe Jährchen auf der buckligen Rückenlehne hat. In dem Alter ist unsereins ja nicht mal eingeschult. Und nun schon auf den Friedhof für Sachen?

Dann scheint ein böser Zufall den Stuhl dazu verurteilt zu haben, ausgerechnet vor einer Kulisse seiner Entsorgung harren müssen, die gerade in ihrer porösen Abgenutztheit die Dauerhaftigkeit menschgemachter Gegenstände demonstriert: Das Fachwerk-Gemäuer im Hintergrund bringt es gut und gern auf 187 Jahre!

Der mittig gescheitelte Herr Stencil blickt jedenfalls mit indignierter Herablassung vom Putz herab auf die Szenerie, wenngleich er vermutlich noch jünger ist als die fußkranke Sitzgelegenheit.

Aber vielleicht interpretiere ich das Ensemble am Straßenrand auch völlig falsch! Vielleicht wurden die beiden Rollen nur deshalb mit Schaumgummituch bandagiert, damit der Stuhl sich nicht selbstständig machen und davonrollen … resp. davongerollt werden kann? Schade. Ich war in Gedanke schon damit beschäftigt, das gute Stück zu retten. Es sieht doch wirklich noch ganz passabel aus. – Ochmööönsch!

Ochmööönsch! (I)

Thursday, 05. May 2011

Neulich sagte eine meinem Blog gewogene Freundin: „Da hast Du ja wieder gegeifert! Ätzend.“ Das saß, weil es stimmte; auch das ,wieder‘. Ich verrate jetzt nicht, welchen Beitrag sie meinte, das ist ja ganz gleich. Es gibt genug von der Sorte in meinem Blog.

Ich ging in mich. Haderte mit mir. Wozu so viel Bitterkeit? Na ja, es ist schließlich nicht viel Süßes zu vermelden aus diesen Endzeittagen, oder? Es sei denn, ich wollte Knall auf Fall blöd, blind oder falsch werden, wie ein guter Teil jener Schönwetter-Onlinetexter, die Optimismus versprühen wie ein giftiges Gas, mit Veilchenduft zur Tarnung. Gute Laune zu mimen in Zeiten größter Not, das ist doch infam, oder? Nicht mit mir.

Jetzt gerade lese ich, dass Helmut Schmidt sein neuestes Buch veröffentlicht, natürlich mit Erfolgsgarantie. Schon Titel und Thema rennen alle offenen Türen ein: Religion in der Verantwortung – Gefährdung des Friedens im Zeitalter der Globalisierung. Der Rezensent weiß, warum das weggehen wird wie geschnitten Brot: „Die globalisierte Moderne ist von ungeheuerlicher Komplexität. Da ist es gut, wenn zumindest einer die Wirren der Welt durchschaut, historisch herleitet und strukturell analysiert.“ (Johann Hinrich Claussen: Der alte König; in: SZ Nr. 103 v. 5. Mai 2011, S. 11.) – Fazit: Die Menschen wollen Trost!

Tut mir leid, da sind sie bei mir an der falschen Adresse! Ich bin ja im Gegenteil darauf spezialisiert, falsche Trostversprechen zu entlarven; Schönfärbereien so gründlich zu entmischen, dass ein tristes Grau in Grau dabei rauskommt; Spaßmacher ernst zu nehmen, bis Tränen fließen. Aber jetzt ist doch Frühling! Da verspürt selbst jemand wie ich die Neigung, nach einem Hoffnungsschimmer Ausschau zu halten.

Da fielen mir die vielen kleinen Momente ein, die ich auf meinen täglichen Flanerien durch die Straßen meiner Vaterstadt mit dem stillen Kommentar Ochmööönsch! versehe. Die will ich künftig fotografieren und hier in einer neuen Rubrik sammeln. Ganz ohne Bitterkeit.

[Photographie: Manuel Hessling.]

Ohne Worte (I)

Monday, 31. January 2011

gefaellterbaum

Schneeschärfe

Thursday, 06. January 2011

schneeschmutz

Zweiter schneereicher Winter in Folge. Wieder wundern sich die Automenschen, dass es noch oder wieder ein Wetter gibt. Es wird allgemein als besonders empörend empfunden, dass man sich über dieses Zuviel an Schnee nirgends beschweren kann. Heiligabend kurz vor der Bescherung hatte sich albernerweise ausgerechnet ein Schneepflug in unserer engen Straße dermaßen in einer Wehe festgefräst, dass es kein Vor und kein Zurück mehr gab. Zwei völlig überforderte junge Männer schippten und fluchten erfolglos vor sich hin. Ich erbarmte mich und brachte als stoppelbärtiges Christkind zwei Tassen mit dampfendem Kaffee vor die Tür. Die beiden Jungs waren den Tränen nahe, halb vor Zorn und halb vor Rührung.

Neue Aufgabenstellungen ergaben sich laufend. Wie versetzt man einer knapp über der Dachrinne blockierten Schneelawine, der nur noch ein Quäntchen fehlt, um mit Getöse auf den darunterliegenden Bürgersteig zu donnern, den entscheidenden Klaps, damit dieses Ereignis unter fürsorglicher Aufsicht geschieht und nicht etwa unversehens ein zufällig darunter her wackelndes Mütterchen samt Schoßhund unter sich begräbt? Ich wurde Zeuge eines vergeblichen Versuchs mit verlängertem Besenstiel, aus der Dachlucke heraus. Es fehlten etwa zwanzig Zentimeter und mir die Zeit, die Fortsetzung der Experimente bis zum Erfolg abzuwarten. Daheim fiel mir ein, dass vielleicht ein von der Straße aus hinaufgeschleuderter Gegenstand eher zum gewünschten Ergebnis geführt hätte, sicherheitshalber befestigt an einem Seil.

Der Schnee blieb ungewöhnlich lange liegen. Und er veränderte unterdessen beständig seine Eigenschaften. Anfangs ließen sich mit ihm keine Schneebälle formen, er zerfiel nach dem Zusammenpressen zwischen den Handschuhen gleich wieder. Zwei Tage später eignete er sich zur Produktion von geradezu gefährlich festen Geschossen. Nach zwei weiteren Tagen pappte er wieder nicht mehr richtig, zerfiel aber auf eine andere Weise als anfangs. Mir fehlen zur Beschreibung der verschiedenen Konsistenzen die Begriffe. Dabei denke ich wieder an jene hundert Worte für Schnee, die die Eskimos angeblich kennen, um Nuancen des Schnees zu unterscheiden, die wir schneeblinden Mitteleuropäer gar nicht wahrnehmen, was aber längst als Ammenmärchen entlarvt ist.

Wenn es so ausdauernd schneit und der Schnee ein paar Tage liegen geblieben ist, kann man jedenfalls beim besten Willen nicht mehr übersehen, wie dreckig die Straßen unserer Städte sind [siehe Titelbild].

Und noch ein Letztes zum Schnee. Unsere Hündin schnuppert in mancher Spur mit deutlich größerem Interesse als sonst, was ich mir so erkläre, dass die Schneedecke zunächst alle Gerüche hermetisch verschließt, die durch die Löcher in dieser Decke durchbrechenden Düfte aber dadurch desto intensiver auf die feine Hundenase wirken.

Rundgang (IV)

Thursday, 13. August 2009

Und dann der Wald! Dieser schöne Weg gehört noch nicht im engeren Sinn dazu. Keine fünf Minuten laufe ich auf meinen kranken Füßen und habe diesen Durchblick!

An Werktagen begegnet man vormittags kaum einer Menschenseele in den weitläufigen Waldstücken rings um Rellinghausen. Am Nachmittag machen dann vornehmlich die berufstätigen Hundebesitzer ihre Pflichtgänge, ein paar ältere Herrschaften staksen mit ihren Nordic-Walking-Stöcken einher. Die übrigen paarhunderttausend Bürger dieser Stadt hocken wohl vor ihren Bildfunkgeräten, shoppen in der Mall oder stehen noch im Stau. Was das kostet!

Der Wald kostet nichts. Eintritt frei. Das mag wohl einer der Hauptgründe sein, weshalb er nur von wenigen Spinnern wie mir geschätzt wird. Wofür kein Geld verlangt wird, das kann schließlich nicht viel taugen. Selbst die ständig wachsende Zahl der Arbeitslosen, die ja kaum Geld haben, treiben sich lieber in den Fußgängerzonen, an Trinkhallen oder auf Spielplätzen herum, als in der freien Natur für lau lustzuwandeln.

An den Wochenenden und besonders bei jenem Wetter, das nach landläufiger Meinung als ein schönes anzusehen ist, begegne ich häufiger Rentnerehepaaren in größeren Gruppen, angeregt plaudernd, meist nach Geschlechtern zu Kleingruppen sortiert. Leider nur sehr vereinzelt treffe ich sodann auf Eltern, die ihren Großstadtkindern wenigstens gelegentlich und nicht nur im Urlaub die Begegnung mit der freien Natur ermöglichen wollen.

Ansonsten aber bin ich herrlich allein, von der Hündin abgesehen, die sich aber im Wald noch unauffälliger gibt als auf gepflasterter Straße. Die Wonnen der Waldeinsamkeit erinnern mich dabei an das Vergnügen entlegener Lektüre. Beide Genüsse werden mir noch köstlicher, wenn ich sie ganz exklusiv für mich allein habe. Ich muss zugeben, dass man mir nach diesem Geständnis vorwerfen kann, ein elitärer Sonderling zu sein. Aber es gibt doch schließlich schlimmere Verirrungen, oder?

Rundgang (III)

Wednesday, 12. August 2009

Kaum 200 Meter südwestlich von unserer neuen Wohnung und in der gleichen Straße befindet sich die Kirche der evangelischen Gemeinde Rellinghausen mit angegliedertem Kindergarten, Jugendräumen und Gemeindeamt. Auch eine Gemeinschaftsgrundschule, die Ardeyschule, befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft der Kirche.

Die moderne Kirche ist bekannt für ihre Orgel, auf der der bekannte Organist und Komponist Gerd Zacher gern und häufig gespielt hat.

Bei offenem Fenster hören wir den Stundenschlag der Kirche, auch die Viertelstunden werden geschlagen und jetzt gerade, um sieben Uhr abends, ruft ein drei Minuten langes Geläut offenbar die Gläubigen zu einem Gottesdienst. Erstaunlicherweise ist mir dies bisher nicht als störend erschienen. Dies mag einerseits daran liegen, dass unsere Fenster in geschlossenem Zustand gut isolieren. Aber vielleicht bin ich auch in den letzten Jahren gegenüber solchen ungefragten Kundgebungen mir fremder Überzeugungen toleranter geworden.

Den Turm der Kirche sehe ich von Weitem, wenn ich mit der Straßenbahnlinie 105, aus der Innenstadt kommend, über die Rellinghauser Straße heimwärts fahre.

Betreten habe ich die namenlose Kirche bisher noch nicht.

Rundgang (II)

Wednesday, 12. August 2009

Etliche meiner Rundgänge mit kleinerem oder größerem Radius unternehme ich an der Seite unserer Mischlingshündin Lola, die in wenigen Tagen zehn Jahre alt wird.

Ein Motiv für unseren Umzug aus dem Moltkeviertel nach Rellinghausen war, dass wir dem Tier auf seine alten Tage gönnen wollten, regelmäßiger als in den letzten Jahren Waldluft zu schnuppern. Von der letzten Wohnung aus war bequem nur ein kleiner Park erreichbar. Wollten wir autolosen Hundehalter Lola mehr bieten, mussten wir mit der S-Bahn in den Stadtwald fahren. Diesen Aufwand regelmäßig auf uns zu nehmen hatten wir uns fest vorgenommen, als wir Anfang 2005 in die Messelstraße zogen. Bald blieben aber unsere Vorsätze auf der Strecke. Verspätete Bahnen, der Zwang zu perfektem Timing, wollte man bei der Rückfahrt keine langen Wartezeiten auf verdrecktem Bahnsteig in Kauf nehmen und manch andere Hemmnisse führten dazu, dass wir die Tour mit Lola in den Stadtwald wenn überhaupt nur an den Wochenenden unternahmen.

Nun also liegt der Schellenberger Wald nahezu direkt vor unserer Haustür. Dieser ausgedehnte Forst war übrigens einer der Gründe, warum die Bürgermeisterei Rellinghausen im Jahr 1910 zur Stadt Essen eingemeindet wurde: „Für Rellinghausen bringt dies einige Vorteile, da die Gemeinde nicht in der Lage gewesen war, die dringend notwendige Kanalisation anzulegen und die Verkehrsprobleme zu lösen. Auch Essen hatte ein großes Interesse an der Vereinigung, weil der größte Teil des Stadtwaldes in Rellinghausen lag.” (Klaus Wisotzky: Vom Kaiserbesuch zum Euro-Gipfel. 100 Jahre Essener Geschichte im Überblick. Essen: Klartext Verlag, 1996, S. 52.)

Der gemeinsame Ausgang von Herr und Hund hat ja aber bekanntlich nicht nur die angenehme Wirkung, dass sich beide auf ihre alten Tage Bewegung verschaffen, frische Luft atmen und den Blick weiter schweifen lassen, als dies in der engen Kammer möglich ist; für das reinliche Tier ist er vielmehr Notwendigkeit aus unabweislicher Notdurft, die es nie und nimmer im Bau seiner Halter verrichten will. Was dies betrifft ist es gar nicht hoch genug zu schätzen, wenn sich in unmittelbarster Nähe der Wohnung ein kleines Dickicht befindet, wo die Hinterlassenschaften so separat abgelegt werden können, dass sie keinen menschlichen Schuh beschmutzen und keine menschliche Nase beleidigen.

Voilà! Hinter diesen Bänken, auf denen offenbar nie ein anderer Platz nimmt als der Verfasser dieses Weblogs, hat Lola den stillen Ort gefunden, an dem sie sich ganz entspannt erleichtern kann, ohne jemals jemandem lästig zu fallen.

Rundgang (I)

Tuesday, 11. August 2009

Nie wieder hat man eine bessere Chance, die Dinge deutlich zu sehen, wie bei der ersten Begegnung. Gewohnheit lässt den Blick verschwimmen und macht schließlich blind.

(Die verbreitete Auffassung, dass der erste Eindruck, speziell bei der Begegnung mit Menschen, auch der beste sei oder sich später zumindest oft als ein solcher erweise, teile ich hingegen nicht. Im Rückblick auf meine zahlreichen Bekanntschaften erinnere ich mich an gleich viele Fälle, wo das Gegenteil galt und mein erster Eindruck durch ein besseres Kennenlernen vollständig überholt wurde.)

Deshalb habe ich beschlossen, meine neue Wohnumgebung in den kommenden Tagen und Wochen wenn nicht systematisch, aber doc h gründlich, mit der Kamera in der Hand, zu durchstreifen und dabei festzuhalten, was mir bemerkenswert, typisch, kurios oder befremdlich erscheint.

Kaum trete ich vor die Haustür, da trifft mich schon der Blick eines steinernen Schlossers vom Giebel des Hauses via-à-vis.

Ich bin nach gründlicher Selbstprüfung zu dem Ergebnis gelangt, dass es ein freundlicher Blick ist. Der friedliche Handwerker ist mir zugetan und ich denke, dass der Schlüssel, an dem er gerade feilt, für mich bestimmt ist. Ich denke noch weiter und male mir aus, dass der Schlüssel zu jener Tür passt, hinter der sich verbirgt, wonach ich schon so lange suche. Es hat aber wenig Sinn, beim Anblick des reglosen Schlossers ungeduldig zu werden. Gut Ding will Weile haben! Und übrigens habe ich ja auch besagte Tür noch nicht gefunden.

(Wird fortgesetzt.)

Wohnsinn (XI)

Thursday, 30. April 2009

[Wahnsitz ab August 2009.]

Wohnsinn (X)

Thursday, 30. April 2009

[Wahnsitz von Januar 2005 bis Juli 2009.]

Stumpf

Monday, 13. April 2009

[Ohne Worte.]

Duftnote

Friday, 03. April 2009

Eine Zeit ohne Wörter heißt ein frühes Buch des Kölner Schriftstellers Jürgen Becker (*1932), eins der ersten Bücher überhaupt, die ich mir als fünfzehnjähriger Schüler von meinem Taschengeld gekauft habe. Wer will das wissen? Ich wüsste gern, wie ich damals dazu gekommen bin, mir von meinen paar Groschen ausgerechnet dieses Bilderbuch zu kaufen. (Frankfurt am Main: Suhrkamp Taschenbuch Verlag, 1971.)

Auf ungefähr 200 unpaginierten Seiten enthält Beckers Buch Schwarzweißfotos des Autors von Straßen und Häusern, Wiesen und Wäldern, Schienen und Mauern, Spiegelungen und Schatten. Menschen kommen vor, aber sozusagen nur am Rande. Ganz auf Wörter verzichtet das Buch nicht, auf einigen verstreuten durchnummerierten fotolosen Seiten erscheinen wenige Wörter, die wie Ankündigungen oder Titel der nachfolgenden Bilder gelesen werden können und vielleicht wollen: „Der letzte Satz in den Umgebungen.” „Dreißig Minuten in der alten Umgebung.” „Die näherkommende Katastrophe des Autobahnzubringerbaus” usw. bis „Gegenstand in der Dellbrücker Landschaft. Für meinen Vater und seine Familien.

Beckers Fotos sind nicht brillant, nicht professionell, keine Kunst. Vielleicht könnte man sie dokumentarisch nennen. Beim oberflächlichen Durchblättern baut sich vorübergehend diese oder jene Erwartung auf, wie das Ganze zu verstehen sein könnte, die aber an anderer Stelle und durch andere Fotos bald schon wieder enttäuscht wird. Das macht das Bilderbuch, ganz wie man es nimmt, zu einem frustrierenden oder gerade interessanten Coffee Table Book.

Die Tristesse, die von der überwiegenden Mehrzahl der Aufnahmen ausgeht, erschien mir seinerzeit, wenn ich mich recht entsinne, wie beißender Spott; eine Anklage gegen unsere bundesrepublikanische, eben beginnende Siebzigerjahrewelt, die ihre Zukunft schon damals hinter sich zu haben schien. Erst jetzt, in der vielbeschworenen „Krise”, wird diese vorzeitige Überlebtheit offenkundig, die feine Nasen frühzeitig erschnupperten. Insofern könnte man Beckers stilles Buch prophetisch nennen, wenn es denn eine Botschaft hätte.

Ich frage mich, ob man heute noch oder wieder solch ein Fotobuch machen könnte. Ob ich es könnte. Mit meinen Snapshots hatte ich ganz ursprünglich vielleicht so etwas vor. Ich bin vermutlich davon abgekommen, weil es mich zu sehr deprimierte, als meine Stimmung ohnehin nicht die beste war. Jetzt, da ich gelegentlich wieder lächle, kann ich in sparsamer Dosierung ein Trauerbild dieser Art einstellen. Wer’s nicht mag und nicht erträgt, möge die Augen niederschlagen.

Wohnsinn (IX)

Wednesday, 11. February 2009

[Wahnsitz von September 1991 bis Dezember 2004.]

Wohnsinn (VIII)

Tuesday, 10. February 2009

[Wahnsitz von April 1988 bis September 1991.]

Wohnsinn (VII)

Monday, 09. February 2009

[Wahnsitz von Mai 1984 bis März 1988.]

Wohnsinn (VI)

Sunday, 08. February 2009

[Wahnsitz von Januar 1980 bis April 1984.]

Wohnsinn (V)

Thursday, 05. February 2009

[Wahnsitz von September 1978 bis Dezember 1979.]

Wohnsinn (IV)

Thursday, 05. February 2009

[Wahnsitz von Juli 1977 bis August 1978.]

Wohnsinn (III)

Wednesday, 04. February 2009

[Wahnsitz von Oktober 1975 bis Juli 1977.]

Wohnsinn (II)

Wednesday, 04. February 2009

[Wahnsitz von Dezember 1956 bis Mitte Oktober 1975.]

Wohnsinn (I)

Wednesday, 04. February 2009

[Wahnsitz von Juli bis Dezember 1956.]

Deckchair

Monday, 05. January 2009

[Heimlich, still und leise, über Nacht.]

Heiliger Zylinder!

Wednesday, 24. December 2008

[Ohne Worte.]

Kofferbombe

Saturday, 18. October 2008

Gestern um 17:22 Uhr. Aus Richtung Köln-Düsseldorf kommend fährt die S6 in den Bahnhof Essen-Werden ein. Ein etwa 45 Jahre alter männlicher Fahrgast steigt zu und legt seinen Koffer in die Gepäckablage über den Sitzen. Dann springt er aus dem Zug und flüchtet. Mitreisende, die zufällig Zeugen dieses verdächtigen Vorgangs werden, informieren per Handy die Polizei.

Um 17:31 Uhr läuft der Zug am S-Bahnhof Essen-Süd ein und wird evakuiert. Ich verlasse meine nahe gelegene Wohnung, um an der Bude Ecke Schnutenhausstraße Zigaretten zu kaufen, und werde so zufällig Zeuge, wie die Rellinghauser Straße vor und hinter der Brücke über die Bahngleise von der Polizei mit rot-weißem Flatterband abgesperrt wird. Der Auto- und Straßenbahnverkehr kommt zum Erliegen, Fußgänger dürfen die Brücke nur noch „auf eigenes Risiko” passieren.

Um 17:49 Uhr fährt plangemäß die S6 aus der Gegenrichtung ein. Fahrgäste steigen aus und verlassen die mutmaßliche Gefahrenstelle über die Treppe zur Brücke. Ich hole meine Kamera und schieße zwischen 18:00 Uhr und 18:10 Uhr ein paar Fotos von der Sperrung [siehe Titelbild]. Gegen 19:30 Uhr rückt ein Entschärfungskommando an, untersucht den herrenlosen Koffer mit einem Röntgengerät und öffnet ihn schließlich. Er enthält Unterhemden, einen alten Bademantel und Spraydosen. Hinweise auf den Eigentümer werden nicht gefunden. Wenig später kann der Verkehr wieder freigegeben werden.

Seit den nur durch technisches Versagen gescheiterten Kofferbomben-Anschlägen auf zwei Regionalzüge aus Köln in Richtung Dortmund und Koblenz am 31. Juli 2006 ist die Aufmerksamkeit von Fahrgästen öffentlicher Verkehrsmittel für herrenlose Gepäckstücke verständlicherweise geschärft – und die Sicherheitskräfte sind angehalten, jeden Hinweis auf ein mögliches Attentat ernst zu nehmen und alle möglichen Vorkehrungen zu treffen, um Gefahr für Leib und Leben unbeteiligter Passanten abzuwenden. Unser vergleichsweise freies Land befindet sich erneut in „ständiger innerer Alarmbereitschaft” (Wolfgang Neuss), einem Klima der Verunsicherung, das zuerst in den frühen 1970er-Jahren den Alltag vergiftete.

Die Spraydosen im Trolli des unbekannten Trittbrettfahrers, der solche verständlichen Ängste missbraucht, um seine ganz private Profilneurose mit Allmachtsphantasien zu besänftigen, deuten darauf hin, dass er es den Durchleuchtern seiner Hinterlassenschaft in der S6 nicht allzu leicht machen wollte. Die gestrige zweieinhalbstündige Verkehrsunterbrechung ist morgen schon vergessen – aber die latente Angst, dieses „Tabu der Abwehrgesellschaft” (Rainer Taëni), sie dauert fort.

Snapshot (II)

Saturday, 20. September 2008

Die Vorhaltungen, die ich häufig von mir wenig gewogenen Fremden zu hören bekomme: dass ich ein unleidlicher Stänkerer sei, ein verkappter Spießer, wie ja schon mein Familienname sagt, ein bornierter Möchtegern-Intellektueller mit Hang zum Elitarismus, ein langweilender Faktenhuber und zugleich cholerischer Haudrauf – geschenkt! Da geht die Kritik der näheren Mitmenschen, die einen Blick auf die Person und nicht bloß auf ihr Geschreibsel tun, schon eher an die Nieren.

Richtig weh tut mir aber nur der Selbsthader. Das unbarmherzige Über-Ich macht mir mit seinem distanzlosen Geraune oft genug das Leben zur Hölle. Schon dass es mich ungefragt duzt! Und immer trifft es mich an meinen jeweils empfindlichsten Punkten. Heute zum Beispiel blies es mir diesen vernichtenden Tadel aufs Wernicke-Areal: ,Du fängst viel an – und führst nichts zu Ende!‘ So hatte ich vor einem Vierteljahr hier eine Serie von Schnappschüssen eröffnet, die über den ersten Beitrag nicht hinauskam.

Ist ja schon gut: ,Wird gemacht, Chef!‘ Setzen wir die Reihe also fort mit einem abgründigen Selbstporträt. Es zeigt den Autor, reflektiert von einer verspiegelten Fensterfront, sich selbst fotografierend und darum sein Gesicht hinter der Kamera verbergend. Das Foto ist von heute Mittag. Unter der Fensterfront, nicht mehr im Bild, befand sich früher eine ölig stinkende Imbissstube, in der ich vor 38 Jahren erstmals auf eigene Faust für 60 Pfennig eine Portion Pommes Mayo pickte.

Das Foto ist eine Fälschung insofern, als ich es bei der Bildbearbeitung vertikal gespiegelt habe. Sonst könntest Du die Firmeninschrift des gegenüberliegenden Geschäfts nur in Spiegelschrift lesen. Ich wollte es Dir aber leicht machen, damit Du auf den ersten Blick begreifst, warum dieser Schnappschuss für mich so aufgeladen ist mit Bedeutung. Dass ausgerechnet ein Geigenbauer jenen Familiennamen trägt, der in meiner Heimatstadt und weit darüber hinaus eine so unrühmliche Bekanntheit erwarb.

(Ich möchte noch aufmerksam machen auf den weißen Stoffbeutel, der unscheinbar zu Füßen des Fotografen an der Trennscheibe zum Gleis der Straßenbahnlinie 106 an der Haltestelle Rüttenscheider Stern lehnt. Er enthält vier soeben erworbene Dinge: drei panierte Fischfilets und eine Portion Kartoffelsalat, die dazu bestimmt sind, die Körperfunktionen des Fotografen für eine weitere Weile in Gang zu halten; und mit diesen das Erinnern, das Nachdenken, das Schreiben – und sein schlechtes, nun besänftigtes Gewissen.)

Snapshot (I)

Tuesday, 17. June 2008

funkmasten

Seit jeher verliebt sich mein Blick beim Flanieren in solche Bilder unauffälliger Hässlichkeit. Die traurige Belanglosigkeit der Dinge wirkt auf mein Auge wie eine stumme Klage. Mein immer fleißiger Kopf hat dann nur zwei Möglichkeiten, mit einem solchen Eindruck fertig zu werden. Entweder ersinnt er auf einer „höheren Ebene“ zu dem zufälligen Arrangement der Nichtigkeiten eine Bedeutung; oder er flüchtet in einen Migräneanfall.

Wie durchgestrichen steht das Haus vor leicht bewölktem Himmel. Dass die straff gespannten Kabel über dem Schienenweg der Straßenbahn Strom zuführen, stark genug, um fünfzig Fahrgäste und mehr von A nach B zu befördern, ist ein nur gewusstes, nicht sichtbares Akzidens meiner Betrachtung.

Und dass der kleine Hain der Funkmasten auf dem Dach des Hauses dem Handybenutzer in der Straßenbahn ermöglicht, der wartenden Gefährtin am Orte B sein baldiges Eintreffen anzukündigen und die Frage zu stellen: „Schatz, soll ich Brötchen mitbringen? Zwei oder drei? Okay!“ – es ist bei diesem Anblick eines nahezu abstrakten Bildes bloß eine kostenlose Zugabe meiner Phantasie.

Aber das zarte Rosa der Rechtecke zwischen den quadratischen Fenstern! Ist es nicht rührend? Wie es sich ebenso trotzig wie vergeblich gegen diese überwältigende Tristesse auflehnt? Da muss ich unwillkürlich an den Blumenstand in Jacques Tatis Meisterwerk Playtime denken.

Bilder wie dieses bringen mich aus dem Gleichgewicht. Je länger ich sie betrachte, desto fremder schauen sie, in Abwandlung eines Satzes von Lichtenberg, zurück. Die digitale Kameratechnik ermöglicht es, visuelle Aphorismen per Knopfdruck zu verfertigen. Das bedeutet einen Fortschritt, weil mir bei der nachträglichen Betrachtung meiner Schnappschüsse auf dem Monitor andere Gedanken kommen als an Ort und Stelle. Die Migräne immerhin ist abgewendet.