Archive for September 25th, 2009

Stammhaus

Friday, 25. September 2009

Gerade erst vor vier Jahren bei Klartext in Essen erschienen und schon wieder im Ramsch: der wunderbare große Bildband über die legendäre Krupp-Jubiläumsfeier zum hundertjährigen Bestehen der Firma im Jahre 1912. Die Bücherverschrottung findet in immer kürzeren Intervallen statt. Ich erinnere mich noch gut, dass zum Beispiel die Tagebücher von Hugo Ball, Die Flucht aus der Zeit, in der 1946er-Ausgabe des Stocker-Varlags in Luzern bis weit in die 80er-Jahre hinein ganz regulär lieferbar waren, zum Preise von dreizehneinhalb Schweizer Franken. War damals der Lagerplatz so viel billiger – oder die Geduld der Verleger einfach größer?

Verwunderlich auch, dass Autor und Verlag nicht bis zum Jubiläumsjahr 2012 gewartet haben. Da hätte die ThyssenKrupp AG doch gewiss eine stattliche Menge als Präsent für Freunde im In- und Ausland abgenommen. Nun kann man zwar in drei Jahren einen preiswerten Nachdruck herstellen, falls gewünscht mit besonderem, „individualisiertem“ Einband oder speziellen Vorsatzblättern des Unternehmens. Aber ein solches Präsent kommt doch mindestens bei jenen Beschenkten nicht gut an, die sich das Buch bereits 2005 zum Preis von ursprünglich 29,95 Euro zugelegt haben – und das sind schließlich jene, die wenigstens oberflächlich an der Geschichte Krupps interessiert sind. Bei den anderen Jubiläumsgratulanten bedankt man sich ohnehin besser mit einem Fläschchen Krimsekt.

Das Jubiläumsbuch zum Jubiläum kostet nun bei den örtlichen Großbuchhändlern, bei der Mayerschen und Thalia, nurmehr ein Drittel seines Originalpreises und wird so hoffentlich noch viele dankbare Käufer, Leser und vor allem Betrachter finden. Die verdient es nämlich, denn es bietet eine Fülle nie zuvor veröffentlichter Bilder mit großer Aussagekraft und hohem Erkenntniswert. „Herr Prof. Dr. h. c. mult. Berthold Beitz (*1913) und die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach Stiftung“ haben als Inhaber des Historischen Archivs Krupp in Essen die Abdruckgenehmigung für diese Bilder erteilt. Ausdrücklich heißt es aber einschränkend: „Die Bildrechte verbleiben weiterhin beim Historischen Archiv Krupp.“

Tja, was heißt das nun für mich, den kirchenmausarmen Non-Profit-Blogger? Darf ich meinen doch ganz unschuldig für dieses schöne (und zudem jetzt selbst für mich noch erschwingliche) Buch werbenden Artikel nicht mit einem Bild aus dem besagten Buch schmücken? Zum Beispiel mit jenem Foto des „Stammhauses“ von 1935, inmitten der Werksanlagen zwischen der Rückseite des neuen Hauptverwaltungsgebäudes und dem Martinwerk 3? Na gut, dann scanne ich dieses berühmte Bild nicht von Seite 57 des neuen Buches, sondern von der Tiefdrucktafel gegenüber Seite 206 des Buches von Wilhelm Berdrow, das zum Jubiläum 150 Jahre Krupp 1937 [!] erschienen ist.

(Und der guten Form halber hier auch die vollständigen bibliographischen Angaben beider Bücher. Wilhelm Berdrow: Alfred Krupp und sein Geschlecht. 150 Jahre Krupp-Geschichte 1787-1937 nach den Quellen der Familie und des Werks. Mit über 100 Bildern im Text und auf 32 Tiefdrucktafeln. Berlin: Verlag für Sozialpolitik, Wirtschaft und Statistik Paul Schmidt, 1937. – Klaus Tenfelde: „Krupp bleibt doch Krupp“. Ein Jahrhundertfest: Das Jubiläum der Firma Fried. Krupp AG in Essen 1912. Essen: Klartext Verlag, 2005.)

Protected: Ein Präsident

Friday, 25. September 2009

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Vorlesepein (I)

Friday, 25. September 2009

Noch so ein Motiv rund ums Buch, das es mir seit Langem angetan hat: der Dichter als Vorleser. Als Buchhändler „in leitender Stellung“, zeitweise zuständig für Werbung und Marketing, hatte ich mich neben anderen honorigen Aufgaben auch um Autorenlesungen zu kümmern – ein nicht immer ganz einfaches, oft sogar nervtötendes, selten dankbares Tätigkeitsfeld. Die Autoren kamen meist schon mit Vorbehalten in unsere Stadt. Zwischen Düsseldorf gestern und Münster morgen war ihnen vom Verlag zum Überfluss und -druss noch diese langweilige Ruhrmetropole aufs Auge gedrückt worden.

Wir Buchhändler sehen den Lesungen ja auch oft mit gemischten Gefühlen entgegen. Im günstigsten Fall hat der Gast die Talente eines guten Alleinunterhalters, liest nicht viel, erzählt lieber, was ihm gerade in den Sinn kommt, führt vor, dass Dichter auch bloß Menschen aus Knochen, Sehnen und Speck sind et cetera. Als einen solchen herzlichen Menschenfreund habe ich als seltenes Beispiel Volker Elis Pilgrim in guter Erinnerung. Was für ein Buch er damals vorgestellt hat, der eigentliche Anlass seines Besuchs also? Ist mir völlig entfallen.

Gegen solche seltenen Ausnahmen stehen leider etliche Totalversager, was Rezitationskunst und Selbstdarstellung betrifft. Peter Handkes Lesung zum Beispiel, wohl aus Der kurze Brief zum langen Abschied, eine der ersten, die ich noch als namenloser Zuhörer besuchte? Ein schnell und dauerhaft wirkendes Schlafmittel, das mich ein für alle Mal gegen diesen schriftstellernden Poeten einnahm. – Und Hans Mayer mit seinen Erinnerungen, Ein Deutscher auf Widerruf? Die Herablassung in Person! Er beschwerte sich bitterlich bei seinem Publikum, dass es nicht in größerer Stückzahl erscheine, um den Ausführungen eines so bedeutenden Mannes zu lauschen, wie er doch bekanntermaßen einer sei. Er komme gerade aus Detmold oder Wesel, selbst da seien mehr Menschen erschienen als hier, in dieser „angeblichen Großstadt namens Essen“. Damals gab es das Wort „fremdschämen“ noch nicht, vermutlich ist es aber einem Buchhändler bei einem solchen peinlichen Anlass eingefallen.

Das Verhältnis unserer Dichter zu den Buchhandlungen, in denen sie auf Geheiß ihrer Verleger lesen müssen, ähnelt dem Verhältnis von uns Buchhändlern zu den Dichterlesungen, die uns die Freizeit rauben und kaum zusätzlichen Umsatz bringen, aufs Haar in der Suppe: Man mag’s nicht, man ekelt sich und könnte laufen gehen. Ein schönes Beispiel für diese Aversion habe ich gerade eben in einem veröffentlichten Tagebuch gefunden, aus der Nachbarstadt Dortmund und insofern besonders interessant für den Revierflaneur: „15. 3 [1972] – 10.33 Abfahrt nach Dortmund und ein schönes diesiges Blau über einige 100 Kilometer verheißungsvoll hingestreckt, also richtig ,Frühling läßt sein blaues Band …‘ In D. dann allerdings als erster Eindruck ein Hotelrestaurant mit dem Namen ,Bahnhofsblick‘, was mir nicht gerade einladend schien und am ehesten noch den ,drei Paßbildern‘ entsprach, die man mir im voraus für Presse u. Veranstaltungskalender abgefordert hatte. Auch war kein Abholer / Cicerone am Zug, wie es allgemein üblich ist, im Hotel kein Grußbilett oder sonstiges Aufmerksamkeitszeichen bei der Rezeption hinterlegt, nicht mal eine Telefonnummer, an die ich mich hätte wenden können, also abends allein u. zufuß zum ,Museum am Ostwall‘, wo die Lesung stattfinden sollte. Der Empfang durch die beiden Kultursachverständigen Herren Wolf u. Thiemann (o. ä.) entsprechend frostig bis unhöflich und die drei Einführungssätze vor Beginn auch nicht gerade zum lustigen Loslegen ermunternd. Das Publikum zunächst von fast einschläfernder Geduld, anscheinend schon jahrelang hinter dem Gatter gehalten u. insofern unsicher, ob man bei Bedarf lachen oder applaudieren oder wenigstens versonnen nicken dürfe. Erst in der unvermeidlichen Diskussion plötzlich von der Aggressivität losgelassener Hofhunde: ,Möchte’ mal fragen, ob Se ne unbewältigte Vergangenheit ham?!‘ War Gottseidank durch u. durch erkältet, fast schon taub, so daß ich meiner Geburtsstadt angemessen begegnen konnte: ,Nee, Vergangenheit, schon alles klar, aber Ihre Gegenwart wohl in diesem musischen Kreis eher einem Mißverständnis zu verdanken.‘ Erstes Wiedersehen mit D-Mund nach meinem Geburtstag am 25. 10. 29. – Kühler unpersönlicher Abschied. Sachlich Tasche gepackt. Blicklos lieblose Pfoten berührt.“ (Peter Rühmkorf: TABU II. Tagebücher 1971-1972. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2004, S. 208 f.)

Man möchte dem nachgehen in die Einzelheiten, der eine der beiden „o. ä.“ namhaft gemachten Gastgeber ist noch einwandfrei identifizierbar, es dürfte sich um Dr. Eugen Thiemann (1925-2001) gehandelt haben, der das Museum am Ostwall in den Jahren von 1967 bis 1987 leitete. Im Unterschied zu ihm gibt es das wenig einladende Hotelrestaurant Bahnhofsblick noch immer, die Adresse ist Königswall 18. Der Fußweg zum Museum dürfte in zehn Minuten zu bewältigen gewesen sein, man könnte ihn, quasi in memoriam, getreulich abschreiten, wenn man denn wüsste, ob Rühmkorf den weiteren, aber sichereren Weg über den Burgwall gewählt oder sich sozusagen querbeet durchgeschlagen hat, zum Beispiel über die Plätze von Amiens und Netanya zum Markt und dann durch die Brauhaus- und Viktoriastraße ans Ziel. Spätestens hier endet aber die Rekonstruktion einer peinlich missglückten Heimkehr, das Museum am Ostwall hat am 18. Juni seine Tore an diesem Ort endgültig geschlossen und wird im Mai 2010 mit neuem Schwung – „Das Kunstmuseum als Kraftwerk“ –  im Dortmunder U eröffnen. – Und was sagt der Fatzke da aus der dritten Reihe? „Möchte’ mal fragen, ob Se ne unbewältigte Vergangenheit ham?!“ Na, das erinnert doch, als wär’s das Negativ zum Positiv, an dieses bekannte Gedicht des verstorbenen Meisters: „[…] Wollte nur mal fragen, wie’s so ist. / Wollte nur mal sehn, ob meine Sterne / Noch am Leuchten sind / Und man mich in der Ferne / Etwa gar vermißt … // Wollte eigentlich, / wollte, weil mein Sinn für das Posthume / wie bekannt in engen Grenzen bleibt / und der Geist auf seiner schmalen Krume / ungenetzt nur parfümierte Blumen treibt, / also, wollte fragen, ob man sich … […].“

[Hier gehts zur Fortsetzung Vorlesepein (II).]