Archive for September 14th, 2009

Sonntagszeitung? (II)

Monday, 14. September 2009

Nachdem ich nun gestern Abend alle fünf Artikel gelesen habe, komme ich leider zu einem niederschmetternden Ergebnis. Aber der Reihe nach. – Was uns Julia Encke vom Auftritt der Oulipo-Autoren Hervé Le Tellier, Jacques Roubaud, Ian Monk, Frédéric Forte, Olivier Salon und Marcel Bénabou in einer halben Spalte mitteilt, das richtet sich an Leser, die von Oulipo noch nie zuvor gehört haben – und führt sie nach nur sechzig kurzen Zeilen zu der beruhigenden Einsicht, dass sie sich diesen Namen auch zukünftig nicht merken müssen. Die Kulturwissenschaftlerin Julia Encke hat ein viel beachtetes Buch über die Sinnesorgane im Krieg der Neuzeit geschrieben. Nach der Befassung mit einem so ernsten Thema reagiert man vielleicht notgedrungen ablehnend auf das, was Encke den „Sprachfuror von manischen Sprachformalisten […], von Grammatikfetischisten und Spielern“ nennt. Über die Oulipo-Stars, die am 11. September 2009 in Berlin auf der Bühne des Internationalen Literaturfestivals saßen und „Selbstporträts in Arbeitsproben“ zum Besten gaben, erfahren wir leider nicht viel mehr, als dass sie dabei kicherten: „Sie kicherten eigentlich ununterbrochen. […] Da kicherte man dann auch, in diesem traumhaft vergangenen Theater.“

Na, vielleicht war ja bei dem Erzählwettbewerb am Broadway mehr los, bei dem der Ungar Péter Zilahy, zurzeit Stipendiat im Einstein-Haus in Caputh, seine Geschichte Das Opfer vorgetragen hat. Das ist allerdings schon ein Weilchen her, was die Sonntagszeitung schamvoll verschweigt. Der Leser hätte sonst auf die Frage verfallen können, warum ihm ein New Yorker Bühnenauftritt vom 21. Mai dieses Jahres mit solcher Verspätung noch zum Frühstück serviert wird. Aber Zilahy ist selbst nicht einer von der schnellen Truppe, die Meldung von seiner Spoken-Word-Performance im Symphony Space steht heute noch als Ankündigung (!) auf seiner Homepage. Wenn man sich die vier Archivbilder von dem sympathischen Fabulierer anschaut, wie er da „frei sprechend, ohne Notizen“ wild gestikuliert, dann bereut man, nicht dabeigewesen zu sein, wie das Publikum, abgezählte „840 Zuschauer“, den jungen Ungarn feierten. Schwarz auf weiß nachgelesen ist der Text leider keinen Pfifferling wert. Offenbar ein Seitenfüller der FAS-Redaktion, die nun mal die Übersetzung von Matthias Fienbork bezahlt hat und sich nun mit argem Verzug gezwungen sieht, sie mangels besserer Alternativen zu verwenden.

Jochen Reinecke hat ja mit seiner Idee zum Dauerbrenner Gehen Sie ins Netz? für die nächsten tausend Jahre ausgesorgt. Er verbindet wöchentlich einen originellen Link-Tipp mit einer kleinen Denksportaufgabe, bei der eine Google-Suchabfrage gefunden werden muss, die zu einem bestimmten Ergebnis führt. Für diese Art Hirnakrobaktik habe ich keine Zeit, aber die Links schaue ich mir gelegentlich an. Diesmal wurde mir in Aussicht gestellt, dass ich hier oder dort ein Phantombild erzeugen könnte, das ich zukünftig auf meiner Website als „Porträt des Herausgebers“ zeigen könnte. Na, so ganz bin ich mit dem Ergebnis nicht zufrieden (s. Titelbild).

Mit dem Universalgenie, dem Stettiner Studienrat Hermann Graßmann, lohnt sich‘s vielleicht, eingehendere Bekanntschaft zu schließen. Ein Kandidat für meine Eccentrics? Nach dem, was sich Sabine Wienand in der FAS über ihn abgerungen hat, komme ich zu keinem endgültigen Entschluss. Das Bild macht 825 Quadratzentimeter aus, ihr Text kommt bloß auf 370! Langsam kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass in dieser Sontagszeitungsredaktion ausgesprochene Sonntagsschreiber am Werke sind, Zeilenschinder, die sich jeden einzelnen läppischen Satz abquälen müssen wie ein Obstipierter seine Wurst.

Was bleibt? M. R.-R.s Antwort auf die Frage von Waltraud Fink, wie der Kritiker-Papst den Literaturkritiker Kurt Tucholsky beurteilt. Na, für heute habe ich mich genug geärgert, da mache ich einen eigenen Beitrag draus.

[Und der folgt morgen.]