Archive for January 3rd, 2011

Optimismus rational?

Monday, 03. January 2011

blase5

Zum Jahresauftakt begrüßt uns die Süddeutsche mit einem jener beliebten Pro-und-contra-Spielchen, die vermutlich gedacht sind, Ehepaare schon am Frühstückstisch für den Rest des Tages zu entzweien und einsame Menschen in die Persönlichkeitsspaltung zu treiben, im Alltag der Leser in aller Regel aber nicht mehr anrichten als ein lauwarmes Sowohl-als-auch-Gefühl, begleitet von jener etwas verspannt wirkenden Kopfbewegung, die sich nicht zwischen Nicken und Schütteln entscheiden mag.

Optimismus vs. Pessimismus, so lautet heute der streitbare Begriffsgegensatz; und die Kontrahenten, die diese gegensätzlichen Haltungen in den Ring schicken, sind der „Optimist“ Adrian Kreye, seit vier Jahren neben Thomas Steinfeld Feuilletonchef der SZ; und der „Pessimist“ Alain de Botton, in London lebender Schweizer, Verfasser einiger populärer Bücher über philosophische Lebensfragen, oder besser: die Philosophie der Lebenskunst. Warum nun gerade dieses Paar sich berufen fühlt, den uralten Menschheitswiderspruch zwischen Skepsis und Zuversicht zum Jahresbeginn einer aktuellen Betrachtung zu unterziehen? Ich weiß es nicht. Noch nicht einmal die Rollenverteilung erscheint mir plausibel, beschäftigt sich doch de Botton in seinen Büchern vorzugsweise mit so weltzugewandten, lebensfrohen Gegenständen wie Flugreisen, moderner Architektur, der Liebe und dem Shopping. So war ich zunächst hin- und hergerissen, welches der beiden Plädoyers ich aufs Korn nehmen sollte, scheinen sie mir doch beide gleich konfus und missglückt. Ich entschied mich dann doch für Kreyes Artikel Täglich eine Lösung, der uns ja schon im Titel den Optimismus wie eine ärztliche Zwangsverordnung in Pillenform andient und sich damit das Hintertürchen der Selbstironie offenhält. Zudem versteckt sich der Verfasser hinter Zitaten aus „Schlüsselwerken des rationalen Optimismus“ und macht dabei nicht recht deutlich, ob er mit den aus ihnen zitierten Kernthesen denn tatsächlich übereinstimmt.

Aus einem Vortrag des britischen Wissenschaftsjournalisten Matt Ridley zitiert Kreye eine bemerkenswerte Gegenüberstellung. Hier die vierzig Jahre alten Kassandrarufe europäischer Pessimisten, da die wunderbaren Realitäten unserer globalisierten Welt von heute: „Als ich in den siebziger Jahren hier in Oxford studierte, war es um die Zukunft der Welt nicht gut bestellt. Die Bevölkerungsexplosion war nicht aufzuhalten. Globale Hungersnot schien unvermeidlich. Eine Krebsepidemie durch Umweltgifte schien unsere Lebenserwartung zu reduzieren. Saurer Regen entlaubte unsere Wälder. Die Wüste breitete sich mit einer Geschwindigkeit von zwei Meilen pro Jahr aus. Das Öl wurde knapp. Ein nuklearer Winter würde uns den Garaus bereiten. Nichts davon trat ein. – Erstaunlicherweise haben sich die Dinge alleine während meines Lebens zum Besseren gewendet. Das globale Durchschnittseinkommen hat sich pro Kopf verdreifacht. Die Lebenserwartung ist um dreißig Prozent gestiegen. Die Kindersterblichkeit ist um zwei Drittel gesunken. Die Lebensmittelproduktion ist pro Kopf um ein Drittel gestiegen. Und all das, während sich die Weltbevölkerung verdoppelt hat.“ (Zit. nach Adrian Kreye: Täglich eine Lösung. Ein Plädoyer für rationalen Optimismus; in: SZ Nr. 1 v. 3. Januar 2011, S. 11. – Den vollständigen launigen Vortrag des Zoologen Ridley kann man sich hier ansehen und anhören.)

Der rhetorische Trick ist so leicht durchschaubar, dass es geradezu einer Beleidigung des Publikums gleichkommt, welches aber offenbar darauf reinfällt und sich köstlich amüsiert. Tatsächlich sind ja nahezu alle düsteren Prognosen aus den 1970er-Jahren, die Ridley eingangs aufzählt, eingetreten: Das exponentielle Wachstum der Weltbevölkerung schreitet weiter voran; die absolute Zahl der Hunger leidenden Menschen ist heute mit über einer Milliarde größer als je zuvor; dass Krebserkrankungen zu einem beträchtlichen Teil durch zivilisationsbedingte Faktoren ausgelöst oder gefördert werden, steht nach wie vor außer Zweifel; pro Jahr verliert die Erde durch Desertifikation zwölf Millionen Hektar fruchtbaren Bodens von der Größe der gesamten Ackerfläche Deutschlands, Tendenz steigend; dass die Ölvorräte auf der Erde begrenzt sind, kann niemand bezweifeln, dass sie beim jetzigen weltweiten Verbrauch in spätestens 50 Jahren aufgezehrt sein werden, gilt als realistische Einschätzung, dass der gefürchtete Oil-Peak unmittelbar bevorsteht, traut sich niemand laut zu sagen; dass uns ein nuklearer Winter den Garaus machen könnte, ist vielleicht eher eine Prognose aus schlechter Science Fiction, doch sollte dies nicht davon ablenken, dass die Gefahr eines Dritten Weltkriegs unter Einsatz von Nuklearwaffen auch nach dem Ende des Kalten Kriegs nicht gebannt ist; einzig das besonders in Deutschland in den 1980er-Jahren in den Medien überzeichnete Bedrohungsszenario eines „Waldsterbens“ hat sich als unbegründete Panikmache erwiesen, was aber keineswegs bedeutet, dass der Wald im globalen Maßstab keinen vom Menschen verursachten Existenzbedrohungen ausgesetzt sei. – Und nun kündigt der Redner an, „die Dinge“ hätten sich erstaunlicherweise zum Besseren gewendet. Aber dann spricht er gar nicht über die zuvor genannten „Dinge“, sondern zählt ganz andere auf: das gestiegene globale Durchschnittseinkommen, die höhere Lebenserwartung, die gesunkene Kindersterblichkeit, die gestiegene Lebensmittelproduktion. Jede dieser vier Positionen kann man einer genaueren Betrachtung unterziehen, um sehr bald zu erkennen, dass sie auf reine Augenwischerei hinauslaufen. (So ist es geradezu zynisch, das global gestiegene Durchschnittseinkommen als Beispiel für eine Verbesserung der sozialen Verhältnisse auf der Welt anzuführen, wenn man weiß, dass die soziale Ungleichkeit zwischen wenigen Reichen und vielen Armen weiter rasant zunimmt.)

Fazit: Dieser Matt Ridley ist offenkundig ein Scharlatan, vergleichbar den Hütchenspielern in unseren Fußgängerzonen; und dass ein angesehener und einflussreicher Journalist wie Adrian Kreye auf ihn hereinfällt, ist ein Armutszeugnis.