Archive for November 10th, 2010

Ab nach Majak damit!

Wednesday, 10. November 2010

einlaufendewaggonsinsteufelsloch

Vielleicht wird unsere Spezies einmal ins ewige Goldene Buch der Schöpfung eingehen als die von Verdrängungsweltrekordlern. Wir haben es ja wirklich raus, was uns nicht passt beiseitezuschieben. (Vielleicht sollte ein kühner Historiker gelegentlich einmal wagen, die Geschichte der Menschheit allein von diesem zugegeben eindimensionalen Gesichtspunkt aus in den Blick zu nehmen. Was daraus resultierte, wäre vermutlich unterhaltsamer als die tägliche Zeitungslektüre, die doch immer nur punktuell Belegstücke für die These liefert, dass das Projekt Mensch auf Terra scheitern muss, weil seine humanen Protagonisten die Wahrheit nicht ertragen.)

Dieses Verdrängen hat nun gestern eine überraschende, neue Pointe gefunden. Eigentlich ist ja schon staunenswert genug, dass allerlei Todeszeichen der Gattung Homo sapiens – von der (ich verwende hier genüsslich das nur scheinbar abgenutzte, dessen ungeachtet doch sehr treffende Wort) Weltbevölkerungsexplosion über die heillose und irreversible Verschleuderung von Energie- und Materialreserven unseres geschundenen Planeten bis hin zum rückstandslosen Verlust jeder Idee von Sinn seines Daseins auf dem Bildschirm seiner Selbstwahrnehmung – allenfalls als Hintergrundrauschen auftauchen, als ein schwaches Flickern oder blasses Flimmern, bei all dem Starkulttrara, Skandalfeuerwerk und Selbstbeweihräucherungsnebel, mit dem uns unsere Massenmedien mittlerweile rund um die Uhr beschallen, verspotten und desensibilisieren.

(Und für diesen großen Fake gibt es demnächst noch die zwangsverordnete GEZ-Gebühr, die auch unsereiner, der einer mikroskopisch kleinen Minderheit von Fernsehverweigerern angehört, zu entrichten hat, weil es der Staat sich selbst nicht zumuten kann, die Lauterkeit meiner Nichtinanspruchnahme-Behauptung zu überprüfen. Und das wird uns perfiderweise verkauft als ein Fortschritt, weil damit doch endlich die penetrante Belästigung durch die GEZ-Schnüffler ein Ende habe. Ich hatte mich über die Besuche dieser freundlichen Kontrolleure nie zu beschweren, mit reinem  Gewissen und dem fröhlichen Blick in ihr erstauntes Gesicht wenn sie ausnahmsweise einmal einsehen mussten, dass es tatsächlich Menschen ohne Fernseher immer noch gibt: „Bitte, schauen Sie gern in jeden Kleiderschrank. Ich habe nichts zu verbergen!“ Wenn das Bundesverfassungsgericht diesen Rechtsbruch abnickt, will ich nicht länger Bürger dieses Staates sein. – Aber das nur am Rande.)

Dieses Verdrängen hat also nun gestern eine überraschende, neue Pointe gefunden, nachzulesen auf der Titelseite meiner Tageszeitung, der Süddeutschen Nr. 259 vom 9. November 2010. Noch in diesem Monat soll nach Informationen des Blattes ein Abkommen zwischen Deutschland und Russland getroffen werden, das es meinem Vaterland künftig gestattet, seinen strahlenden Scheißdreck kostengünstig außer Landes zu verfrachten – ohne kostspielige und imageschädigende Proteste im Wendland. Damit findet der Kolonialismus nun also endgültig in umgekehrter Richtung statt: Wo die „fortschrittlichen“ Staaten bislang die „unterentwickelten“ auspumpten und ihrer Bodenschätze (vom Gold bis zum Öl), Naturprodukte (von Kakao bis Koka) und Produktivkräfte (früher Sklavenimport, heute Arbeitsexport) beraubten, da pumpen sie künftig die giftigen Überbleibsel ihres hemmungslosen Hedonismus dorthin zurück, wo ja ohnehin kein Gras mehr wächst.

Sollen die Schotterer also künftig nach Tscheljabinsk pilgern, um dort das Gleisbett anzugraben? Das werden sie nicht können. Und genau das wissen die Herren in den steifleinenen Hemden nur zu gut, die in den Energiekonzernen, einer von den größten wenig mehr als drei Kilometer Luftlinie von meinem Schreibtisch entfernt, mit einem eiskalten Federstrich für diese Auslagerung sorgen. – Aber ich habe längst aufgegeben, meine Empörung über solche Schandtaten zu personifizieren. Es wäre doch naiv anzunehmen, dass Jürgen Großmann & Co. die Wahl hätten zwischen der Übeltat einer solchen Verdrängung und der Heldentat des Bekenntnisses zum doch – selbst vom sprichwörtlichen  Blinden mit Krückstock  – absehbaren Zusammenbruch nicht nur ihres, sondern unser aller Energieversorgungs-Unternehmens. Der Konkurs dieser sorglosen Versorgungsindustrie ist so sicher wie das Amen in der Kirche.