Archive for December 10th, 2009

Kein Kommentar

Thursday, 10. December 2009

teufelauch

Neuerdings werde ich häufiger darauf angesprochen, dass in meinem Weblog selten kommentiert wird. Wenn ich darauf erwidere, dass dies mich nicht weiter störe, dann ernte ich skeptische Blicke, oft garniert mit einem halb spöttischen, halb mitleidsvollen Schmunzeln, das wohl sagen will: ,Ach, lieber Fuchs, du musst die Trauben wohl sauer nennen, die dir zu hoch hängen.‘ Drum hier eine knappe Bemerkung, warum ich nach Kommentaren nicht giere und mir eine Kommentarflut sogar lästig wäre.

In meiner Zeit als Blogger bei Westropolis (April 2007 bis August 2008) konnte ich mich über einen Mangel an Kommentaren nicht beklagen. Zeitweise war ich dort sogar der meistkommentierte Stammautor, vor professionellen Journalisten wie Bernd Berke und prominenten TV-Starlets wie Else Buschheuer. Ich will nicht leugnen, dass dieser vorübergehende Kommentar-Hype zunächst meiner Eitelkeit schmeichelte. Es dauerte allerdings nicht allzu lange, bis mir drei große Gefahren dämmerten, die diese unerwartete Resonanz mit sich brachte.

Erstens ertappte ich mich dabei, dass ich meine Texte immer mehr darauf abstellte, möglichst viele Kommentare einzuheimsen. Ich hatte schnell raus, dass es eine Handvoll zuverlässig wirksamer Maschen gibt, dieses Ziel zu erreichen. Meine Lieblingsmasche war, provokative Meinungen zu aktuellen Ereignissen und Themen zu formulieren und dadurch die Leserschaft in mindestens zwei Lager zu spalten, die sich in den Kommentaren dann heftig befehden durften. Sobald das Kommentarfeuer zu erlöschen drohte, fachte ich es wieder an, indem ich selbst als Kommentator das Wort ergriff und gezielt „nachlegte“. Dies führte allerdings dazu, dass mir öfter mal die Pferde durchgingen und ich mich zu Äußerungen hinreißen ließ, die mir nachträglich leid taten, weil sie meinem Image schadeten. Ich wollte mich ja schließlich als ein durch nichts aus der Ruhe zu bringender Stoiker präsentieren. Stattdessen war ich bei manchen bald als cholerischer Haudrauf verschrien.

Zweitens stellte sich bei genauerer Analyse heraus, dass vielleicht zwei Dutzend Stammgäste neun Zehntel aller Kommentare bei Westropolis verfassten. Wenn man sich vor Augen führt, dass es sich hier immerhin um das Kulturblog der größten Regionalzeitung Deutschlands handelt (Wochenendauflage ca. 580.000 Exemplare), dann ist diese Resonanz geradezu lächerlich schwach. Nun mögen ja auf jeden lauten und regelmäßigen Kommentator viele hundert stille Leser kommen. Aber gerade dieses Zahlenverhältnis bewiese dann q. e. d.: dass Kommentarzahlen für die Wirkung und Reichweite eines Weblogs wenig Aussagekraft haben.

Drittens hatten die Administratoren bei Westropolis, wie in wohl allen großen Blogs der etablierten Printmedien, zeitweise viel damit zu tun, die Kommentare inhaltlich zu überwachen, um Verstöße gegen die guten Sitten, Beleidigungen, rechtsradikale Propaganda usw. zu löschen. Diese Eingriffe standen zudem immer unter Zensurverdacht, denn da der Leser nicht überprüfen konnte, was da gelöscht wurde, wenn er zu spät kam, konnte er sich kein eigenes Urteil darüber bilden, ob die Löschung berechtigt gewesen war. Dieser große Aufwand stand übrigens in keinem rechten Verhältnis zum inhaltlichen Wert der meisten unverfänglichen Diskussionen und Stellungnahmen in den Kommentaren. Ich identifizierte als Lieblingsthemen der Kommentatoren: Wichtigtuerei und Selbstdarstellung sowie Komplimente und Beileidsbekundungen an die Adresse beliebter Autorinnen, die das Kulturblog als Plattform für ihre persönliche Imagepflege missbrauchten. – Fazit: Die Trauben sind in aller Regel tatsächlich sauer. Ich bin somit heilfroh, in meinem Revierflaneur-Blog frei schalten und walten zu können. Jeder erstmals kommentierende Leser muss erst von mir freigeschaltet werden. Kommentare, die ich nichtssagend finde, lösche ich kommentarlos. Und glücklicherweise ist das Aufkommen so schwach, dass ich damit kaum Zeit verschwenden muss.

Proust bei proust

Thursday, 10. December 2009

kamilluspirale

Heldenhaft der Kampf der kleinen aber feinen Buchhandlungen gegen die banausischen, in vielerlei Hinsicht immer tiefer sinkenden Großflächen à la Thalia, Mayersche, Hugendubel, sie sind nicht genug zu loben. Manchmal weiß ich aber keine Antwort mehr auf die Frage, wie bei aller unterstellten, nahezu grenzenlosen Bereitschaft zur Selbstausbeutung der Inhaber solcher Schmuckkästchen, bei aller Professionalität und Investitionsbereitschaft nicht nur von Geld und Zeit, sondern auch von Hirn und vor allem Herz per Saldo noch was übrig bleibt zur Bestreitung bescheidener Lebenshaltungskosten.

Gestern war ich zu Gast bei einer Lesung in der Essener Buchhandlung proust. Michael Maar las aus seiner viel gelobten Essaysammlung Proust Pharao (Berlin: Berenberg Verlag, 2009). Zwanzig interessierte Zuhörer waren bereit, hierfür acht Euro Eintritt zu bezahlen, einige kauften anschließend das vorgestellte Buch zum Preis von 19 Euro. Maar, der von Berlin aus eigens mit dem Auto angereist war, las eine knappe Stunde. Anschließend erfüllte er Signierwünsche. Fragen aus dem Publikum wurden nur wenige gestellt. Ich erinnere mich blass an die Frage eines bekennenden „Nicht-Proustianers“, die sich mit der Quantität der Recherche befasste und einen leichten Trend ins Banausische hatte, wovon sich der Autor aber nicht zu einer Hochnäsigkeit hinreißen ließ. Die Buchhändler reichten zu allem Überfluss gar noch einen großen Teller Madeleines herum.

Die Frage drängt sich auf: Wie geht das? Fahrtkosten des Autors hin und zurück, und wenn Maar nicht um zehn Uhr abends noch die Heimreise antreten wollte, kam eine Hotelübernachtung hinzu. An Personalkosten fallen mindestens anderthalb Überstunden für zwei Buchhändler und eine Auszubildende an, für die gleiche Zeit Heizkosten und Beleuchtung im Geschäft. Dazu noch Autorenhonorar? Und was, wenn nun statt zwanzig nur zwei Zuhörer erschienen wären? Wie man es dreht und wendet, solche schönen Abende können für sich betrachtet nur ein Verlustgeschäft sein, sie rentieren sich hoffentlich indirekt über den fabelhaft guten Ruf, den sich dadurch eine Buchhandlung wie proust erwirbt, und zwar insbesondere bei der wertvollsten Kundschaft, den Viellesern. Die werden damit zu treuen Stammkunden und kaufen vielleicht sogar das eine oder andere Buch zusätzlich, damit das Schmuckkästchen nicht in wirtschaftliche Bedrängnis gerät.

Eine ganz ähnliche Entwicklung gibt es ja übrigens bei den Kinos. Auch dort verdanken die Cineasten es wenigen Idealisten, wenn es heute überhaupt in den Großstädten neben den öden MegamaxX-Alptraumfabriken noch Lichtspielhäuser gibt, die ihrem Namen Ehre machen: durch ein anregendes Programm, ein gediegenes Interieur und einen bewussten Umgang mit der Tradition. Um am Standort Essen zu bleiben: Hier eröffnet in wenigen Tagen nach acht Jahren Zwangspause das Filmstudio am Glückaufhaus wieder seine Tore. Hauptsächlich dem unermüdlichen Einsatz der leidenschaftlichen Kinobetreiber Marianne Menze und Hanns-Peter Hüster und der Spendenbereitschaft geschichtsbewusster Essener Filmfreunde ist es zu verdanken, dass das älteste Kino des Ruhrgebiets seinen Spielbetrieb wieder aufnehmen kann. Herzlichen Glückwunsch!

Diesen wie jenen Einsatz sollte jeder belohnen, der dessen Ergebnis zu schätzen weiß: Buch- bzw. Filmgenuss vom Feinsten. Und das geschieht auf kürzestem und wirksamstem Weg durch Besuch und Kauf. Ich werbe hier sonst nie, für nichts und niemanden – diesmal mache ich die berühmte Ausnahme, die die Regel bestätigt: Bücherfreunde, kauft bei proust! Filmfreunde, besucht die Essener Filmkunsttheater Galerie Cinema, Lichtburg, Eulenspiegel, Astra und Filmstudio!

[Titelfoto: Proust-Leser Kamillus Dreimüller bei proust in Essen; Foto: Heinrich Funke.]