Was? Weiß? Ich?

Na, um das gleich vorauszuschicken: Nachdem ich das Buch aus der Hand gelegt hatte, blieb leider, leider doch eine kleine Enttäuschung, wie nach einer verpassten Chance. Der ganz großartige Wurf ist Silvia Bovenschen mit ihrem in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlichen Kriminalroman Wer Weiß Was leider dann doch nicht gelungen.

Vielleicht liegt das daran, dass sie dem Buch zu viel aufgebürdet hat. Es sollte Rätsel sein („Wer hat’s getan?“), Milieustudie und Gesellschaftskritik, Vielfältigkeitsprüfung einer begabten Charakterzeichnerin und intelligente Parodie auf die Gattung. Es sollte uns das alte Thema von Schuld und Freiheit des Willens, Sühne und Vergebung noch einmal in vollem Ernst nahebringen, um es fast im gleichen Atemzuge durch den Kakao zu ziehen. Und es sollte dies alles in einem streng berechneten, um kein Wort verlegenen und doch kein Wort verschwendenden, wahrhaft meisterlichen Tonfall tun.

Vielleicht ist es symptomatisch, dass der ansonsten sorgsam lektorierte Roman zum Ende hin dann doch ein paar Fehlerchen aufweist (ein überzähliges „sie“ auf S. 256, Z. 22; „im panisch verschlechtertem [!] Zustand“, S. 262, Z. 8/9; „Gott sein [!] Dank“, S. 270, Z. 32), gipfelnd in dem schrecklich falschen Satz: „Diese Frau, überlegte sie jetzt, die in ihrem strengen schwarzen Kostüm vor mir sitzt, sorgsam gekleidet und gepflegt, doch nur, um eine textile und kosmetische Sperre zwischen ihr [!] leibliches [!] Sein und das [!] der anderen zu errichten, macht den Eindruck“ usw. – Ich vermute mal, an der Stelle von „zwischen etwas errichten“, was ja unbedingt den Dativ nach sich ziehen muss – „zwischen ihrem leiblichen Sein und dem der anderen zu errichten“ – hat hier ursprünglich ein anderes Verb gestanden, z. B. „zu setzen“ oder „zu stellen“.

Das ist freilich nur eine dumme Kleinigkeit, aber sie deutet doch darauf hin, dass Autorin und Verlag zuletzt unter Zeitdruck gearbeitet haben. Ich möchte mir, weil ich anfänglich so positiv voreingenommen für Wer Weiß Was war, mit gutem Willen ausmalen, was aus dem Buch hätte werden können, wenn die Autorin die Courage und Geduld aufgebracht hätte, ihren Verlag gegen alle Abmachungen zu vertrösten, um noch ein Vierteljährchen auf die Fertigstellung und den letzten Schliff zu verwenden.

Aber so funktioniert der Literaturbetrieb bekanntlich nicht. Da wird knapp kalkuliert, mit der Zeit – und leider auch mit den Mitteln für die Ausstattung. Dieses Buch ist, was den materiellen Aspekt betrifft, wieder ein trauriges Beispiel für billiges Blendwerk. Gegen Pappdeckel als Einbandmaterial will ich ja gar nichts sagen, aber dass die Fadenheftung wie so oft nicht dransitzt, das schmerzt. Schon nach meiner ersten, wahrlich schonenden Lektüre ist das Buch schiefgelesen und wird auch so bleiben, wie jeder Kenner weiß. Aber die Laien sind in der überwältigenden Überzahl und lassen sich von den völlig überflüssigen Lesebändchen beeindrucken. (In diesem Fall ist’s gar ein goldenes.) Ach, das ist so traurig und steht in eklatantem Missverhältnis zur – bei allen kleinen Einschränkungen – hohen Qualität des Inhalts. Was kann man da nur tun? Was weiß ich!

[Titelbild: Porträtfoto Silvia Bovenschen von Jürgen Bauer im Umschlag ihres vorletzten Buches Verschwunden. © S. Fischer Verlag.]

One Response to “Was? Weiß? Ich?”

  1. Revierflaneur» Blogarchiv » Dienstag, 17. November 2009: Unversöhnt Says:

    […] nach Beendigung meines Wer-Weiß-Was-Lektüreberichts entdeckte ich das Interview, das Silvia Bovenschen dem womöglich momentan […]

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