Lass‘ sie atmen

Worüber ich einmal gebloggt habe, das vergesse ich so schnell nicht. Vor ein paar Tagen tauchte der Name der kubanischen Bloggerin Yoani Sánchez (* 1975) wieder in den Medien auf (vgl. Peter Burghardt: Neue Angst. Kubas berühmteste Bloggerin wird entführt, beleidigt, geschlagen; in: Süddeutsche Zeitung Nr. 262 v. 13. November 2009, S. 15). Im Mai vorigen Jahres hatte ich über Sánchez berichtet, weil sie vom US-amerikanischen TIME magazine auf seine „Liste der 100 einflussreichsten Leute der Welt“ gesetzt worden war.

Das Castro-Regime macht der couragierten Kritikerin im eigenen Lande nach wie vor mit allen Mitteln das Leben schwer. Neulich beschrieb sie in einem Interview, welche Mühen es sie kostet, überhaupt einen Beitrag in ihrem eigenen Blog zu publizieren: „Grundlegend ist, dass ich wegen der langsamen Internet-Verbindungen auf Kuba vor allem offline arbeite. Weil ich zu Hause legal keinen Internet-Zugang haben darf, schreibe ich Texte auf meinem PC, speichere sie auf einem USB-Stick und stelle sie dann in einem der öffentlich zugänglichen Internet-Cafés online – und das möglichst schnell, weil es für mich ziemlich teuer ist. Am Anfang konnte ich den Blog noch selbst verwalten. Ende März vergangenen Jahres wurden von der Regierung aber Filter installiert, die das unmöglich machten.“ (Ole Schulz: „Die Revolution ist gestorben“. Interview mit Yoani Sánchez; in: Focus Nr. 14 / 2009 und online.)

Vor ihrem Haus treiben sich immer wieder finstere Gestalten herum, die sie einschüchtern wollen. Am Freitag, dem 6. November 2009 kam es nun zu einem massiven Übergriff, bei dem Sánchez um ihr Leben fürchtete. Unbekannte Täter wollten sie daran hindern, an einer Anti-Gewalt-Demonstration teilzunemen, die an diesem Tag in Havanna stattfand. Sie zerrten sie und ihren Begleiter Orlando Luis Pardo in ein Auto. Was dort geschah, beschreibt das Entführungsopfer auf ihrem Blog so: „Im Auto war schon Orlando, unbeweglich gemacht durch einen Karategriff, der ihn mit dem Kopf am Boden festhielt. Einer setzte sein Knie auf meine Brust, der andere schlug mir vom Vordersitz aus in die Nierengegend und auf den Kopf, damit ich den Mund öffnete und das Papier freigäbe. In einem Augenblick hatte ich den Eindruck, ich würde nie mehr aus jenem Auto herauskommen. ,Bis hierher haben wir es dir durchgehen lassen, Yoani. Jetzt ist Schluss mit deinen Mätzchen,‘ sagte der, der neben dem Fahrer saß, wobei er meinen Kopf an den Haaren hochzog. Auf dem Rücksitz lief ein seltsames Schauspiel ab: Meine Beine nach oben gestreckt, mein Gesicht gerötet vom Blutdruck und am ganzen Körper Schmerzen, auf der anderen Seite befand sich Orlando, in Schach gehalten von einem professionellen Schläger. In einem Akt der Verzweiflung schaffte ich es, diesen Mann durch seine Hose hindurch an den Hoden zu packen. Ich krallte meine Nägel hinein, da ich glaubte, er würde meine Brust bis zum letzten Seufzer abquetschen. ,Bring mich schon um‘ rief ich ihm zu, mit dem letzten Atemzug, der mir blieb, und derjenige, der vorne mitfuhr, riet dem Jüngeren: ,Lass sie atmen!‘“ (Nach der deutschen Übersetzung von Iris Wißmüller aus Yoani Sánchez‘ Blog Generation Y.)

Schließlich wurden beide mit körperlichen und seelischen Verletzungen wieder freigelassen. Offenbar hat die internationale Popularität der Freiheitskämpferin die Auftraggeber dieses Kidnappings dann doch vor der letzten Konsequenz zurückschrecken lassen.

Der Mut und die unverbrüchliche Treue zu den eigenen Überzeugungen, die mit wachsendem Druck von außen eher noch erstarken, müssen das Herz jedes freiheitsliebenden Menschen erfreuen. Kaum war der erste Schreck überwunden, da meldete sich Yoani Sánchez im Web zurück. Und wieder applaudierten ihre zahllosen anonymen Sypathisanten in Kuba und aus aller Welt in den Kommentaren des Internet, machten ihr Mut und feuerten sie an. Dieser Aufstand begeistert nicht nur durch seine Gewaltfreiheit, sondern auch durch seinen Humor. Im Handumdrehen wurde das Verbrechen in einem Comic dargestellt; und der Lebensgefährte der Bloggerin, der Journalist Reinaldo Escobar (* 1947), fordert einen mutmaßlichen Agenten des kubanischen Staatssicherheitsdiensten namens „Rodney“ [s. Titelbild] zum Duell – aber ganz unblutig, nur mit Worten.