Sensibler Blogger

Mir wird in letzter Zeit klarer als mir vielleicht lieb ist, dass ich bei dieser Art halböffentlichen Schreibens den Gedanken an konkrete Leser als Adressaten meiner Texte niemals ganz ausblenden kann. So entsteht beim Schreiben in meinem Bewusstsein oft ein verwirrendes Gespinst unberechenbarer Wechselwirkungen zwischen vermeintlichen Erwartungen und klammheimlichen Befürchtungen. Im persönlichen Dialog unter vier Augen kann ich meinen Diskurs ja auf mein individuelles Gegenüber abstellen und mich immerhin bemühen, Interessen, Ansichten und Empfindlichkeiten, Intelligenz und Bildung des Gesprächspartners bei allem was ich sage zu berücksichtigen. Im Web hingegen versetzt mich mein Bewusstsein vom freien Zutritt Vertrauter wie Fremder zu meinen tagesaktuellen Lebensäußerungen in eine irritierende Ambivalenz. So treffe ich im ,wirklichen Leben‘ gelegentlich engste Freunde, die sich persönlich zu einzelnen Blogbeiträgen äußern. Manchmal verblüffen sie mich mit Einzelheiten aus meinem realen Leben, von denen ich ihnen noch gar nicht berichtet hatte. Mir war schlicht entfallen, dass ich ja hier im Blog davon erzählt habe! Dann wieder lese ich ältere Artikel und stelle mir vor, wie diese oder jene neuere Bekanntschaft davon beeinflusst werden könnte, wie ich einmal war oder wie ich immerhin einmal zu sein meinte, als ich mich so darstellte. Ist es mir eigentlich recht, dass ich möglicherweise mit einer alten Larve meiner selbst identifiziert werde? Und schließlich stutze ich, wenn völlig fremde Leser unvermittelt ein Posting kommentieren, bei dessen Abfassung ich nur an eine sehr kleine, vertraute Zielgruppe dachte. Vermutlich stehen meine Skrupel, Irritationen und Überempfindlichkeiten in einem lächerlichen Widerspruch zu der conditio sine qua non beim Bloggen, sich preiszugeben. Somit gehöre ich vielleicht zur seltenen Spezies des sensiblen Bloggers, zur paradoxen Gattung eines „gschamigen Exhibitionisten“ im Cyberspace.