Motortode

Kann es sein, dass kreative Menschen häufiger durch Verkehrsunfälle zu Tode kommen als andere? Gerade in der letzten Zeit häufen sich in meiner Wahrnehmung wieder solche Fälle. Vielleicht ist es aber bloß so, dass generell der Tod auf der Straße oder hinterm Steuer öfter vorkommt, als man meint. Bei der Aufnahme meiner zum Verkauf bestimmten Bibliothek-Suhrkamp-Bändchen kommt mir Das Pesthaus unter die Finger, jener schwermütige Roman über Sterben und Tod in einem Sanatorium bei Palermo aus dem Jahr 1981. Am 14. Juni 1996 kam sein Autor, Gesualdo Bufalino, in der Nähe seines Heimatorts Comiso bei einem Autounfall ums Leben. (Es ist übrigens typisch, dass es mir jetzt nicht ohne Umstände gelingen will, die spezielle Art dieses Todes in Erfahrung zu bringen? Wurde Bufalino als Fußgänger zum Opfer eines Automobils – oder saß er selbst am Steuer und hat somit seinen Tod immerhin mitverschuldet? Das ist doch schließlich nicht vollkommen gleichgültig. Denn für mich ist das Automobil immer auch eine tödliche Waffe; und wer es bedient, wird damit jedenfalls leichter zum Mörder oder mindestens zum Totschläger, als jemand, der sich harmlos auf seinen eigenen zwei Beinen durch die Landschaft bewegt.) – Heute sah ich trotz der früher erwähnten Vorbehalte doch einmal wieder einen Spielfilm, Die Ewigkeit und ein Tag von Theodoros Angelopoulos. Er zeigt uns in heute unüblich gewordener Langsamkeit den letzten Tag des an Krebs erkrankten Schriftstellers Alexandros, dargestellt von Bruno Ganz. Es ist der Tag eines großen Abschieds, denn morgen soll Alexandros sich zum Sterben in eine Klinik begeben. Nachdem er bei seiner Tochter und deren unsäglich gefühllosem Mann keinen Schutz gefunden hat, klammert er sich an einen kleinen albanischen Jungen, den er vor Menschenhändlern in Sicherheit bringt, um ihm die Rückkehr in seine Heimat zu ermöglichen. Meist aber zeigt der Film Erinnerungsbilder des Sterbenden an die Menschen, die in seinem Leben wichtig für ihn waren und ihn doch irgendwann im Stich gelassen haben: seine Frau, seine Mutter, seine Freunde. Auch ein großer Hund spielt eine Rolle, als das einzige Lebewesen neben dem Jungen und einer treuen Haushälterin, für das es sich scheinbar gelohnt hat, zu lieben und zu sorgen. Sein letztes Werk, die Übersetzung eines großen Gedichtes, muss unvollendet bleiben. [Nachtrag: Zwei Tage später erfahre ich den Anlass, warum dieser Film von 1998 ins Programm genommen wurde. Am 24. Januar starb Angelopoulos in einem Krankenhaus in Neo Faliro bei Piräus an den Folgen eines Verkehrsunfalls. Er hatte sich dort bei Dreharbeiten zu seinem Filmprojekt Das andere Meer befunden, als ihn ein Motorradfahrer erfasste.]