Sonntag, 22. Januar 2012

In letzter Zeit kämpfe ich gegen die melancholische Idee, dass sich die private wie die öffentliche Aktualität zunehmend in Wiederholungen erschöpft. Die tragikomische Demontage des Bundespräsidenten Christian Wulff kommt mir vor wie ein fades Remake der zu Guttenberg’schen Plagiatsaffäre Anfang vorigen Jahres. Entsprechend angestaubt wirken die medialen Bemühungen, hieraus erneut einen Auflagen- und Einschaltquoten-Hype zu pressen. Dass es heuer nicht die traditionell der Aufklärung verpflichtete links-liberale Presse ist, die den Stein ins Rollen brachte, sondern ausgerechnet die BILD-Zeitung, passt ebenso zu diesem Eindruck wie manches Detail, das ich eher widerstrebend zur Kenntnis nehmen muss, keinesfalls mehr mit der lustvollen Schadenfreude vom Vorjahr, die ich mir beim Sturz des Verteidigungsministers nicht verkneifen konnte und wollte. So kam jüngst das neue Verb „wulffen“ in Umlauf, im Sinne von: „jmd. aus persönlichen Gründen mit (rechtlichen) Konsequenzen drohen“. Ich wette aber dagegen, dass es eine Chance hat, zum „Wort des Jahres“ gewählt zu werden. 2011 kam das Verb „guttenbergen“ immerhin auf Platz 7 der Vorschlagsliste, als Synonym für „abschreiben, abkupfern, plagiieren“, aber in den aktiven Wortschatz der Deutschen ist auch dieses Wort seither keineswegs aufgenommen worden, im Unterschied zu dem schließlich von der Gesellschaft für deutsche Sprache in Wiesbaden prämierten „Stresstest“. Ach, dieser Wulff! Als er sich um das höchste Amt bewarb, sah ich seine Vita durch und stolperte über den Namen eines seiner väterlichen Förderer: Ulrich Parzany. Den habe ich als Vierzehnjähriger ein einziges Mal im Essener Weigle-Haus predigen gehört und gleich eine tiefe Abneigung entwickelt. Charisma wird dem Mann zugeschrieben. Wenn ich Parzany etwas verdanke, dann dass ich seit meiner Begegnung mit ihm gegen Charismatiker aller Art immun bin. Wenn das so weitergeht, wird 2012 ein Jahr ohne Charakter.