Heinrich Funke: Das Testament (III)

Heinrich Funke Das Testament (III)

Bild Nummer drei der grausamen Tötungsfolge. Nun muss dringend mal was zu einer Besonderheit der Texte gesagt werden. Sie verzichten ja offenbar prinzipiell auf jede Interpunktion: weder Punkt noch Komma, weder Ausruf- noch Fragezeichen – welch letzteres man sich diesmal wohl hinzudenken soll: „Darf ein Mensch sich für die Wahrheit töten lassen?“

Und wieder gibt es im Bild einen Hinweis, dass wir Zeugen eines Ereignisses auf christlich beeinflusstem Territorium sind. Das Opfer, dem hier von zwei geschäftigen Henkersknechten der Darm aus dem Leib gespult wird, trägt auf dem Kopf eine Mitra, die traditionelle liturgische Kopfbedeckung der Bischöfe seit dem 11. Jahrhundert. Ob hier freilich ein Bischof zu Tode gequält wird, oder ob lediglich einem christlichen Feind, sozusagen als ,Narrenkappe‘, das verhasste Symbol aufgestülpt wurde, vielleicht von feindlich gesonnenen reformierten Christen im Dreißigjährigen Krieg – wir wissen es nicht.

Nun ist meine Haltung bei der Betrachtung von Gewalt, die Menschen einander antun, neben dem spontanen Mitleidsreflex für das unterlegene Opfer, ein wohlerwogenes Bedauern für die Schwäche der Täter. Wer es nötig hat, seinen Willen gewaltsam durchzusetzen, kann nicht im Recht sein. Ich weiß, dass dies eine nach wie vor gewagte, zahlreichen Angriffen mit starken Gegenbeispielen ausgesetzte Grundhaltung ist. Ich weiß auch, dass diese Haltung dem christlichen Grundsatz, die andere Wange hinzuhalten, verwandt ist. Um im Bilde zu bleiben, könnte man sagen: Wenn sie dir den Darm rausreißen, schmeiß ihnen dein Hirn noch hinterher!

Hier aber wird das eklige Schmerzensbild von einer Frage begleitet, ob sich nämlich ein Mensch für die Wahrheit töten lassen dürfe. Wenn ich diese Frage in ihrer plumpen Allgemeinheit beantworten sollte, müsste ich wahrheitsgemäß antworten: Das kommt auf die Wahrheit an, auf die Umstände und auf den Menschen. Ich führe hier, denn Weiteres würde zu weit führen, für jeden der drei Fälle ein Beispiel an, das erzwingen würde, die Frage mit einem klaren Nein zu beantworten. Wenn das Bestehen auf einer Wahrheit diesen Barbaren gegenüber und der daraus folgende Tod weder für die Wahrheit, noch für den Gesinnungswandel der Täter, noch für die Nachwelt einen Vorteil brächte, wäre dieser Tod in jeder Hinsicht sinnlos und darum abzulehnen. Wenn die Wahrheit etwa den Verrat unschuldiger und unbeteiligter Menschen nach sich zöge und der Tod zugleich den Verräter der Möglichkeit beraubte, diese noch zu warnen, dann wären beide, Verrat und Tod, verwerflich. Und wenn schließlich der Mensch, der um der lieben Wahrheit willen freiwillig den Tod wählte, weil er sich seiner irdische Verantwortung entziehen will oder auf einen vermeintlichen, jenseitigen Vorteil spekuliert, dann wäre diese Rolle – des Selbstmörders durch fremde Hand bzw. des Selbstmordattentäters – ebenfalls abzulehnen.

Prinzipiell habe ich, gelinde gesagt, gewisse Schwierigkeiten mit solchen sehr allgemein gehaltenen Sentenzen, als da sind Kalender- und Orakelsprüche, Küchenweisheiten und Bauernregeln, Suggestivfragen und Paradoxien. Sie mögen manchmal geeignet sein, zum Nachdenken anzuregen. Ob sie zu produktiven Gedanken und nützlichen Antworten führen, ist aber im Einzelfall zu prüfen und hängt hauptsächlich vom Nachdenkenden ab.