Kleines 1×1 der Buchbeschreibung (I)

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Listen gleich welcher Art müssen stets nach einem beherrschenden Ordnungsprinzip ausgerichtet sein, damit das einzelne Objekt, das in ihnen gelistet ist, schnell auffindbar bleibt. Meist sind die Objekte alphabetisch, gelegentlich auch numerisch geordnet, wobei in jedem Fall der ordnende Begriff, gleich ob Wort oder Zahl, als sog. Lemma am Anfang der Objektbeschreibung steht. Bei Bücherlisten ist es bewährte Tradition, dass Familien- und Vornamen des Autors eines Schriftwerks das maßgebende Lemma für die Sortierung bilden. Diese schlichte Konvention ist im Regelfall unproblematisch, birgt in Einzelfällen allerdings mancherlei Tücken.

Was, wenn ein Buch einen Autorennamen gar nicht vorweisen kann? An der altisländischen Edda haben vermutlich verschiedene Verfasser mitgewirkt, von denen Snorri Sturluson bloß ein zufällig namentlich bekannter ist. Auch das Nibelungenlied oder die Bibel haben entweder viele Autoren oder keinen. In solchen Fällen tritt üblicherweise der Titel als Lemma an die Stelle des Autors. Auch Lexika, Wörterbücher und ähnliche Nachschlagewerke sind meist das Ergebnis kollektiver Mitwirkung zahlreicher Beiträger, weshalb Duden oder Brockhaus unter ihren Titeln gelistet werden. Es sei denn, dass sich ein namentlich auf der Titelseite ausgewiesener Herausgeber um die Zusammenstellung der Texte aus verschiedenen Quellen besonders verdient gemacht hat. In diesem Falle gebührt ihm ersatzweise das Recht an der vakanten Autorschaft. Den Bärenanteil solcher Fälle machen Anthologien aller Art aus. In seltenen Fällen ist aber keinerlei Urheber eines Druckwerks angegeben. Die Verfasser politischer oder pornographischer Schriften hatten in weniger liberalen Zeiten gute Gründe, ihre Identität hinter einem Pseudonym zu verstecken oder solch heikle Bücher gleich anonym erscheinen zu lassen. Manchmal verbergen sich hinter einem fingierten Personennamen wie Nicolas Bourbaki auch ganze Autorenkollektive.

Der sorgfältige Antiquar wird bemüht sein, Pseudonyme zu lüften und auch die Autoren anonymer Werke zu ermitteln. Hierfür gibt es Nachschlagewerke und auch schon Listen im Internet. Grundsätzlich gilt aber für die sachgerechte Autopsie, dass zunächst lediglich jene Angaben zu vermerken sind, die dem vorliegenden Buch selbst entnommen werden können, genauer: der Titelseite; also nicht etwa dem Umschlag, Buchrücken oder -deckel. Alle Ergebnisse etwaiger detektivischer Nachforschungen des Antiquars sind in eckige Klammern […] zu setzen.

Mancherlei Tücken bergen zudem Namen aus fremden Sprachen. Die Akzente bei dem Franzosen Prosper Mérimée richtig zu platzieren ist noch eine vergleichsweise leichte Übung, da geht die korrekte Schreibweise des Tschechen Václav Beneš Třebízský schon etwas schwerer von der Hand. Immerhin ist mittlerweile die Darstellung selbst exotischer Sonderzeichen dank PC und Textverarbeitungs-Programm möglich. Verwirrung entsteht immer wieder bei ostasiatischen Autoren, weil Vor- und Familienname verwechselt werden. In der dortigen Namensordnung steht, ähnlich wie in manchen Gegenden Bayerns, der Familienname an erster und der Vorname an zweiter Stelle: Ono Yoko. Als die Japanerin im Okzident reüssierte, passte sie ihren Namen an und nannte sich hinfort Yoko Ono. Vorsichtshalber sollte man bei Japanern, Chinesen, Koreanern oder Vietnamesen immer prüfen, ob der Titel die konventionelle oder die westlich angepasste Reihenfolge wiedergibt, bevor man sich zum Beispiel für die Sortierung und Ablage unter „Ono, Yoko“ entscheidet.

Dass ein Autoren- oder Herausgeber-Name als entscheidendes Ordnungswort korrekt wiedergegeben werden muss, ist unmittelbar einleuchtend, denn als Lemma erfüllt er nur dann seine Funktion, wenn er das Objekt, das ihm zugeordnet ist, in jeder noch so langen Auflistung gleichartiger Objekte bequem auffindbar macht. Aber natürlich birgt der Name darüber hinaus noch weit mehr Erkenntnismöglichkeiten über das mit ihm verbundene Objekt. Was ist zur Biographie der Person zu ermitteln, die sich hinter diesem Namen verbirgt? Welche Werke hat sie gegebenenfalls noch verfasst oder herausgegeben? Und welche Rückschlüsse erlauben diese biographischen und bibliographischen Hintergründe auf das vorliegende Werk? – Mir wird bei dieser Gelegenheit bewusst, dass ich als Büchermensch vermutlich wesentlich mehr Namen von Autoren kenne, deren Bücher ich gelesen habe oder doch vom Hörensagen kenne, als Namen von Mitmenschen meiner realen Lebenswelt. Ist das befremdlich; oder gar erschreckend? Lebe ich, Schatten meiner selbst, auf weite Strecken aus zweiter Hand in einer irrealen Parallelwelt, auf Kosten der authentischen Realitätserfahrung?