Vopalka lacht

Vor dem Zweiten Weltkrieg hatten die taktischen Scharmützel zwischen den Geschlechtern noch Stil. Eben lese ich an entlegenem Ort den Anfang einer kleinen Geschichte, die das Missverstehen, das Missverstehenwollen und Missverstehenmüssen von Männern und Frauen, diese uralte Geschichte seit Adam und Eva, zum Thema hat. Hier beginnt die Geschichte so:

„,Liebling, würde es dich sehr kränken, wenn ich stürbe?‘ fragte einmal Herr Vopalka seine entzückende Frau, so unerhört geistreich, wie nur Ehemänner fragen können. – ,Ja‘, antwortete sie ohne Ueberzeugung und widmete ihre volle Aufmerksamkeit ihrer eleganten Toilette, in der sie sich vor dem Spiegel mit kritischem, aber zufriedenem Blick betrachtete. – Dann setzte sie sich vor dem Spiegel auf einen kleinen Hocker, der eher einem Polster als einer Sitzgelegenheit glich und betrachtete, ein wenig den Rock hebend, ihre langen schlanken, in elegantes Spinnweb holzbrauner Strümpfe gekleideten Beine. – ,Was würde dich am meisten traurig machen?‘ bohrte der Gatte, mit der Ehemännern eigenen, unermüdlichen Gründlichkeit weiter. – ,Das ich ein Jahr lang schwarze Strümpfe tragen müsste, die mir wahrscheinlich nicht stehen würden,‘ sagte ganz aufrichtig Madame, bei dieser Vorstellung einigen Missmut in Augen und Stimme. – Sie hatte ihrer Ueberzeugung nach die Wahrheit gesagt und damit einen Fehler gemacht. Die Männer sind schon so, dass sie an Lügen glauben, je angenehmer die Lüge, desto fester, und dass sie die Wahrheit verwerfen, oder sie als einen Witz betrachten, den die von ihnen geliebte Frau gemacht hat. – Der Gatte, Herr Vopalka, lachte ein glückliches Lachen […].“

Die rabenschwarze, zyanbittre Story heißt Die schwarzen Strümpfe und stammt von Zdena Jindrova, einer Tschechin vermutlich, über die in den mir zugänglichen Literaturgeschichten (und selbst im Internet, das doch sonst immer alles weiß und kennt) nichts herauszufinden ist. Sie erschien am 15. August 1938 in der Pariser Tageszeitung, dem Blatt der deutschen Emigranten in Frankreich, auf Seite 4 der Sonntagsbeilage (3. Jg., Nr. 763). Da ich sonst nicht viel über dieses merkwürdige Stück Kurzprosa herausgefunden habe, teile ich hier immerhin noch mit, dass in diesem letzten Friedensjahr vor Beginn der großen Schlächterei der 15. August kein Sonntag, sondern ein Montag war. Vielleicht hängt diese Unstimmigkeit damit zusammen, dass am 15. August in katholischen Ländern und also auch in Frankreich Mariä Himmelfahrt gefeiert wird.

Aus dem so viel undelikateren Jahr 2009 werfe ich für einen Moment einen sehnsuchtsvollen Blick zurück in eine Epoche, als Frauen noch schreiben durften, wie „die Männer“ schon so sind – und Männer dies lasen, mit einem Schmunzeln oder voller Abscheu, je nach Façon. Dann fällt mir ein, dass solcherlei Plaudereien der feinen Gesellschaft am Abgrund stattfanden. Noch war die Hauptstadt der Liebe frei; aber nicht mehr lange, und gänzlich humorlose Männer würden auf den Plan treten, die zwar auch an Lügen glaubten, aber nicht an die Lügen ihrer neckischen Gattinnen auf dem Schminkschemel, sondern an die Lügen eines brutalen Surmâle. Und für undeutsche Schminkereien und Seidenstrümpfe gleich welcher Farbe würde es dann keinen Platz mehr geben.

So wird jede noch so wohlige nostalgische Träumerei über die zynischen Idyllen der Vorkriegszeit, gar jeder Vorkriegszeit, durch den ungetrübten Blick auf die Folgen zuschanden.