Sonntagszeitung? (I)

Warum hält man eine Sonntagszeitung? Dafür gibt es verschiedene Gründe. Der eine Abonnent erträgt, zum Beispiel, die plötzliche Leere am Frühstückstisch nicht, wenn man nach sechsfacher morgendlicher Zeitungslektüre gerade an jenem Tag darauf verzichten soll, an dem man Zeit hätte, ihr ohne jede Hektik zu frönen. Ein anderer findet unter der Woche gar nicht die Zeit, sich das tagesaktuelle Weltgeschehen von der Presse erzählen und erklären zu lassen; so hofft er, am Tag des Herrn eine Zusammenfassung geliefert zu bekommen. Dieser wie jener nimmt vielleicht auch an, dass die Sonntagszeitung sozusagen in feinerem Gewand daherkommt, besonders proper und mit Liebe herausgeputzt, als wollte sich der Journalismus von seiner besten Seite zeigen.

Die beiden Sonntagszeitungen, die mir schon aus meiner Jugend bekannt sind, kamen für mich aus politischer Abneigung nicht in Frage: die Bild am Sonntag und die Welt am Sonntag, beide aus dem Hause Springer. Erst als die Frankfurter Allgemeine im September 2001 landesweit eine eigene Sonntagsausgabe herausbrachte, ließ ich mich zu einem Abonnement verführen, für zuletzt 14,50 € monatlich, das sind 174 € im Jahr oder rund 3,30 € pro Ausgabe – also 40 Cent mehr als am Kiosk oder beim Bäcker. Da stutzt man schon, denn sonst ist doch in aller Regel ein Abo billiger: wegen der langfristigen Verpflichtung, die man da eingeht, auch wegen der Regelmäßigkeit des Bezugs. Zudem zahlt man mindestens für ein Vierteljahr im Voraus. Aber gut, der Zusteller muss ja auch von etwas leben. Und ob die FAS ihren Preis für mich wert ist, das will ich nicht von solchen Kleinigkeiten, gar Kleinlichkeiten abhängig machen.

Sondern ausschließlich vom Inhalt – und vom Nutzen, den mir dieser Inhalt bringt. Und was das betrifft, muss ich zunächst einmal bekennen, dass von dem Dutzend „Heften“, aus denen die Sonntagszeitung besteht, mich zwei Drittel rein gar nichts angehen: Sport, Wirtschaft, Geld & Mehr, Reise, Technik & Motor, Immobilien, Beruf und Chance sowie zwei „Hefte“ Inserate fliegen unbesehen in die Altpapierkiste. Allein dem politischen „Mantel“, dem Feuilleton und den Teilen Wissen und Gesellschaft widme ich ein Viertelstündchen lang meine Aufmerksamkeit, auf der Suche nach Artikeln, die ich am Abend dann eingehender studieren will.

Heute waren es genau fünf: auf S. 24 ein Bericht (von Julia Encke) über den Auftritt von sechs Autoren der Gruppe Oulipo beim Literaturfestival in Berlin; auf S. 27 die deutsche Übersetzung einer Geschichte des Ungarn Péter Zilahy, mit der er einen Erzählwettbewerb im Symphony Space am New Yorker Broadway gewonnen hat; auf S. 29 die stets höchst ärgerliche Rubrik Fragen Sie Reich-Ranicki, die ich mir nie entgehen lasse, weil ich mich über ganz bestimmte Angelegenheiten gern ärgere; auf S. 65 die Rubrik Gehen Sie ins Netz? von Jochen Reinecke; und auf S. 68 ein ganzseitiger Artikel über Das Universalgenie von der Odermündung, den Stettiner Studienrat Hermann Graßmann, der ja ein Kandidat für meine Eccentrics sein könnte. Ob auch nur ein einziger dieser Texte hält, was ich mir von ihm verspreche, das weiß ich noch nicht. Aber schon jetzt kann ich sagen, dass diese Ausbeute viel zu dürftig ist, um den regelmäßigen Pflichtbezug der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung weiter vor meinem Haushaltsplan, meiner Gefährtin und meinem Gewissen zu rechtfertigen. (Letzterem gegenüber kann ich unmöglich verantworten, dass ein gutes Pfund Papier bedruckt wird für diese lächerlichen sechs Artikel, die auf einen Bogen à 30 Gramm passen.)

Ich habe das Abo übrigens schon vor ein paar Tagen gekündigt, gerade noch rechtzeitig vor Beginn des vierten Quartals. Wie üblich war die Abbestellung längst nicht so bequem wie seinerzeit die Bestellung. Eine E-Mail-Adresse speziell zur Kündigung findet man im Impressum nicht. Also sandte ich meine Nachricht an sonntagszeitung@faz.de. Von dort erhielt ich umgehend meine E-Mail zurück, mit persönlichem Abesender, aber ohne jeden Kommentar. Ich fragte sicherheitshalber noch mal nach: „Sehr geehrte Frau Regine Henry, darf ich diese ,Nachricht‘ als Bestätigung der Wirksamkeit meiner Kündigung verstehen? Bitte, teilen Sie mir doch noch mit, ab wann die Kündigung wirksam wird.“ Frau Henry antwortete prompt: „E-Mails in Sachen Abo bitte immer an: vertrieb@faz.de. Ich habe Ihre E-Mail dahin weitergeleitet und bereits eine Eingangsbestätigung erhalten. Post von dort erhalten Sie extra.“ – Und tags drauf kam dann auch diese Extrapost: „Kündigungsbestätigung – Sehr geehrter Herr Hessling, schade, dass Sie sich zur Kündigung des Abonnements der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung entschlossen haben. Selbstverständlich respektieren wir die Gründe, die zu der Entscheidung geführt haben. Vielleicht geben Sie der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, die als fundierte Informationsquelle gedient hat, dennoch eine neue Chance? Zum Abschluss hier nun der aktuelle Status des Abonnements: Das Abonnement der Sonntagszeitung endet am 30.09.2009.“ Der Respekt, der hier meinen Gründen gezollt wird, ist nun in der Tat so selbstverständlich, dass ich mich frage, warum er dennoch ausdrücklich bekundet wird. Vielleicht, um mich daran zu erinnern, dass es heutzutage durchaus Vertragspartner gibt, die Kündigungen nicht so einfach akzeptieren bzw. vorsorglich Verträge schließen, die im Kleingedruckten Hürden verstecken, durch die eine vorzeitige Kündigung nahezu unmöglich oder doch mindestens äußerst beschwerlich und zeitaufwändig gemacht wird? – Was das angeht, ist die FAS immerhin ein fairer Geschäftspartner gewesen, über den ich mich insofern nicht beklagen kann.

[Teil 2 folgt morgen.]