Dingwelt (V)

Seit ein paar Jahren bin ich Hypertoniker. Wann genau sich bei mir der erhöhte arterielle Blutdruck eingestellt hat, kann ich nicht sagen, denn als er von meinem damaligen Hausarzt festgestellt wurde, waren mein systolischer und mein diastolischer Gefäßdruck seit vielen Jahren nicht mehr gemessen worden.

Die Therapie der Wahl gegen dieses chronische Volksleiden war in meinem Fall eine medikamentöse Kombinationstherapie aus einem ACE-Hemmer (Ramipril) und einem Betablocker (Metoprolol). Das eine Präparat nehme ich morgens zum Frühstück, das andere abends vorm Zubettgehen.

Bald wurde mir diese Tagesroutine so selbstverständlich, dass ich gelegentlich im Zweifel war, ob ich nun meine Pille schon geschluckt hatte oder noch nicht. Sicherheitshalber eine zweite Tablette zu nehmen empfiehlt sich nicht, denn Überdosierungen können zu einem gefährlichen Blutdruck-Abfall führen. Eine Tagesdosis ganz auszulassen ist aber ebenfalls riskant.

Also entschloss ich mich, in der Apotheke eine dieser praktischen Vorratsdosen zu erwerben, die es erlauben, den Medikamentenbedarf einer Woche vorzuhalten, übersichtlich sortiert nach Tagen und Tageszeiten der vom Arzt verordneten Einnahme (siehe Titelbild). Bei dieser Anschaffung hatte ich zum ersten Mal das unabweisliche Gefühl: Jetzt kommt das Alter.

Die sieben „Schubladen” des Kästchens wandern in ihrem Gehäuse Woche für Woche von hinten nach vorn. Wenn ein Tag vorbei ist, wird das leere Kästchen nach hinten gesteckt, wenn die Woche endet, befülle ich das Magazin mit weiteren 14 Pillen: ein Kreislauf – der allerdings irgendwann an sein Ende kommen wird. Die Botschaft lautet: Deine Tage sind gezählt – wenngleich die Zahl dank der täglichen Pilleneinnahme größer ist als ohne.

11 Responses to “Dingwelt (V)”

  1. Matta Schimanski Says:

    Wenn man sich der Erkenntnis nicht mehr entziehen kann, dass zusätzlich zur Sehhilfe, die die (immense) Kurzsichtigkeit ausgleichen soll, eine Lesebrille immer nötiger wird – dann kommt das Alter.

    Wenn sich beim Treppensteigen das kurzatmige Geschnaufe nicht mehr nonchalant ignorieren lässt – dann kommt das Alter.

    Wenn bei der wohnzimmerlichen Friseur-Vermeidungs-Aktion die Tochter (einerseits sehr süß, aber andererseits …) entzückt konstatiert: “Mama! Du hast ja silbergoldene Haare!” – dann kommt das Alter.

    Wenn man morgens aus dem Bett aufsteht und einem immer öfter etliche Knochen wehtun, an deren Vorhandensein man sich eigentlich nur noch dunkel aus dem Biologieunterricht erinnern kann (Quinta: “Das menschliche Skelett”) (Oder war das Sexta?) – dann kommt das Alter.

    Wenn man an die Schulzeit zurückdenkt und einem dabei Begriffe wie Sexta oder Quinta durchaus geläufig sind – au weia!

  2. Günter Landsberger Says:

    Hätte man solch Bewusstsein aber nicht, dann wäre man verdammt zu einem “fellachischen Bewusstsein” im Sinne Nietzsches und Oswalt Spenglers. Und wäre das besser?

  3. Matta Schimanski Says:

    @ Herr Landsberger:

    Was ist das?

  4. Günter Landsberger Says:

    Ein völlig geschichtslos, in Abhängigkeit vom jeweiligen Augenblick dahin-lebender Mensch. Einer, der wie “der letzte Mensch” vielleicht nur “blinzelt”, dessen Lebensinhalt darin besteht, am Tage wenigstens “ein Lüstchen am Morgen und eines am Abend” zu haben.

  5. Matta Schimanski Says:

    Fellachen sind doch orientalische Bauern – genau gesehen ist der von Ihnen genannte Ausdruck, lieber Herr Landsberger, also ziemlich rassistisch, zumal mit der nachgelieferten Definition.

    Das erinnert mich daran, dass meine Mutter schlechte Manieren als “bäurisch” bezeichnete, was mich schon früher immer sehr geärgert hat, denn ich fand, dass der Stand der Bauern bzw. diese Menschen damit verächtlich gemacht wurden. Seltsamerweise scheint sie nie daran gedacht zu haben, dass sie selber eine Menge Bauern unter ihren Vorfahren hatte – oder aber sie war froh, diesem Stande entronnen zu sein.

    Übrigens glaube ich tatsächlich, dass man dem Alter so lange relativ unbewusst bzw. gedankenlos entgegenlebt, bis man eben die ersten “Zipperlein” zu spüren bekommt.

  6. Matta Schimanski Says:

    Fellachen

    Fellạchen [arabisch »Pflüger«], die Ackerbau treibende, Arabisch sprechende, meist muslimische Landbevölkerung im Nahen Osten, besonders in Ägypten.

    Aus: Meyers Lexikon online

  7. Günter Landsberger Says:

    Liebe Matta Schimanski, ich habe doch nur zitiert und habe gegen Bauern natürlich überhaupt nichts. Eher im Gegenteil. Ich habe selber bäuerliche Verwandte. Der Bruder meines Salzburger Opas war zum Beispiel “Bauer”.

    Und was sollte ich gegen irgendwelche Bewohner anderer Kontinente haben. Und nun noch gar wegen ihrer Hautfarbe oder ihrer Religion?

    Dass Sie mir soetwas unterstellen, wundert mich doch sehr. Wenn der Ausdruck “fellachisches Bewusstsein” aus dem 19. Jahrhundert stammt, so wird man den ganzen Umkreis dieser Wendung nicht vergessen dürfen, aber an “political correctness” als Vorgabe und Sprachbremse habe ich mich nie gehalten.

    Ich habe so beispielsweise auch nichts gegen den Ausdruck “Neger” oder “Zigeuner”, weil ich genau weiß, dass ich selber diese Ausdrücke nicht und zwar in keinem Fall rassistisch benutze. Umgekehrt gefällt mir der doch recht gängige Ausdruck “schwul” (ein Vorpreschwort) nicht, ich spreche von homosexuell und homoerotisch und lesbisch, stoße mich aber nicht daran, wenn andere den Ausdruck “schwul” benutzen, wenn sie nur mir meinen eigenen Sprachgebrauch lassen.

    Hätten Sie übrigens ähnlich reagiert, wenn ich in einem anderen Zusammenhang von “kleinbürgerlichem Bewusstsein” gesprochen hätte? Vor Missbrauch ist doch kein Wort gefeit.

  8. Günter Landsberger Says:

    Im übrigen ist die Pointe des Ganzen doch, dass man das “fellachische Bewusstsein” mit ganz anderem Herkunftshintergrund auch weltweit antreffen kann. So die These! (Und die wäre erst zu erörtern.)

  9. Matta Schimanski Says:

    Lieber Herr Landsberger, ich habe Ihnen doch gar nichts unterstellt. Ich habe nur den Ausdruck als rassistisch bezeichnet. Und in solchen Fällen bin ich persönlich immer sehr, sehr vorsichtig mit dem Gebrauch.

    Der Ausdruck “Neger” z. B. ist außerordentlich rassistisch, und seit meiner Schulzeit, als ich mit der Diskussion darum in Berührung kam und die Haltung schwarzer Afrikaner und vor allem Amerikaner dazu kennenlernte, benutze ich ihn nicht mehr.

    Natürlich ist es nicht immer so einfach zu entscheiden, aber ich versuche, mich an den Betroffenen zu orientieren, so weit mir dies möglich ist. Das hat mit der seit einiger Zeit viel beschworenen “political correctness” wenig zu tun, aber mit Respekt diesen Personen gegenüber.

    Wenn etwa Schwule selbst die Bezeichnung “Schwule/r” als angemessen ansehen – und das tun viele -, habe ich keinerlei Problem damit, dieses Wort ebenfalls zu benutzen (“lesbisch” bzw. “Lesbe” liegen übrigens auf gleicher Ebene). Einer meiner Freunde wünscht aber ausdrücklich, nicht so genannt zu werden – also tue ich es auch nicht, selbst wenn er nicht dabei ist.

  10. Günter Landsberger Says:

    Einverstanden, dass man Bezeichnungen, die Betroffene selber nicht gebrauchen oder hören wollen, rücksichtsvoll vermeidet, verstehe ich, billige ich, und halte mich überdies auch daran. Ausdrücke wie “Nigger” würde ich z. B. nie gebrauchen. Schon aus eigenem Antrieb nicht.

    Dass ursprüngliche Schimpfworte wie “Schwuler” und “Schwule” in offensiver Umkehrung durch die Diskriminierten selber zu nun positiv gemeinten Bezeichnungen werden können, ist mir klar. Ich benutze solche Wörter aber dennoch nicht, weil ich nicht vergessen kann, dass sie ursprünglich einen negativen Beigeschmack hatten.

    So werde ich auch den inzwischen in weiten Kreisen gängig gewordenen Ausdruck “Bullen” als Bezeichnung für Polizisten nie benutzen.

  11. Revierflaneur Says:

    Ich beobachte diese interessante Diskussion mit großem Interesse. Auf so hohem Niveau wäre sie vermutlich bei “Westropolis” nie zu führen gewesen, weil sofort wieder irgendwelche Muchel und Pissnelken auf den Plan getreten wären, um den gepflegten Diskurs mit ihrem unreflektierten Gebrabbel zu torpedieren.

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