The Bomb

harris

Ich lese gerade einen Roman des Iren Frank Harris: Die Bombe. Das Buch erschien im Original zuerst 1908 in London. Der Ich-Erzähler, ein Rudolf Schnaubelt aus Lindau bei München, stellt sich gleich eingangs als jener Mann vor, der am 4. Mai 1886 am Haymarket in Chicago bei einer sozialistischen Kundgebung die Bombe warf, die „acht Polizisten getötet und sechzig verwundet hat. Jetzt liege ich hier in Reichholz in Bayern unter falschem Namen, todkrank an Schwindsucht und habe endlich den Frieden gefunden.“ (Frank Harris: Die Bombe. A. d. Engl. v. Antonina Vallentin. Berlin: E. Laubsche Verlagsbuchhandlung, 1927, S. 9.)

Tatsächlich war Rudolph Schnaubelt (1863-1901) einer der vielen Tatverdächtigen, die für das nie aufgeklärte Verbrechen verantwortlich gemacht wurden. Dank Harris’ Roman stand er sogar zeitweise ganz oben auf der Liste – und in der Wikipedia steht er dort noch immer, obwohl Zeitgenossen, die Schnaubelt persönlich gekannt hatten, energisch widersprachen. Auch die anarchistische Freiheitskämpferin Lucy Parsons (~1853-1942), Witwe eines der „Haymarket Eight“, hatte keine hohe Meinung von The Bomb, das 1909 auch in den USA erschienen war: “A lie from cover to cover!” (Brief v. 17. Januar 1933 an Carl Nold; zit. nach Henry David: The History of the Haymarket Affair. New York: Farrar & Rinehart, 1936.)

Der Roman hat aber noch ganz andere Schwächen. Frank Harris gibt darin dem Leser einen Vorgeschmack zu kosten auf jene unfreiwillig komischen Schilderungen seiner zahllosen Liebschaften, die den schwächsten Teil seiner fünfbändigen Autobiographie My Life an Loves (1922-1927) ausmachen. Die Liebesaffäre zwischen Schnaubelt und der Stenotypistin Elsie Lehmann trägt zum Thema des Romans, der „Haymarket Affair“, kaum etwas bei. Vielleicht hat der Autor sie eingestreut, um auch bei seiner weiblichen Leserschaft Anklang zu finden?

Eine Kostprobe kann ich mir nicht verkneifen: „Meine Leidenschaft war voller Zwischenfälle, schien mir immer neu und überraschend. Das erstemal, als ich ihren Nacken küßte (der Gedanke daran treibt mir noch heute das Blut ins Gesicht), bildete eine neue Epoche in meinem Leben, jede Umarmung war ein Rausch […]. Ich war von einer unsinnigen Neugier nach ihrem Körper gequält. Ihre Hände waren so schmal und schön; ich wollte ihre Füße sehen und fand sie zu meinem Entzücken ebenfalls schmal und gewölbt mit zarten Fesseln. Aber sie stieß mich zurück.“ (Harris, a. a. O., S. 127.)

Durchaus heute noch lesenswert hingegen sind die Schilderungen der unmenschlichen Arbeitsbedingungen in den Senkkammern beim Bau der Brooklyn Bridge in New York (Ebd., S. 33-40) und in den Chicagoer Streichholzfabriken (S. 106 f.) sowie über die katastrophalen hygienischen Zustände in den Schlachthöfen (S. 146-148), die zuvor schon Upton Sinclair in seinem großen Roman The Jungle (1906) zum Thema gemacht hatte. – Ich habe das Buch erst zur guten Hälfte gelesen und will immerhin wissen, wie es ausgeht. Vielleicht folgt dann noch eine abschließende Bewertung.