Für den Tag?

wildwuchs.JPG

 

Einerseits sind Weblogs eine feine Sache. Sie ermöglichen elenden Skribenten wie mir, die bislang bloß für die muffige Schublade produzierten und mangels Massenkompatibilität ihres Geschreibsels auf dem traditionellen literarischen Markt kaum eine noch so kleine Leserschaft erreichen konnten, auf bequeme Weise mindestens potenziell, von weit über einer Milliarde Menschen weltweit gelesen zu werden.

Andererseits sind Weblogs „von ihrer Machart her“ fatal. Auch ein noch so großer Bildschirm zeigt dem User täglich nur den aktuellsten Beitrag des Diaristen, wohingegen der ständig wachsende, im besten Fall ebenso lesenswerte Rest wortwörtlich in der Versenkung verschwindet, nur nach emsigem Scrollen an die Oberfläche geholt werden kann und bald schon auf Nimmerwiedersehen im Archiv landet – und damit doch wieder in einer muffigen Schublade. Allein das Heute zählt, ganz ähnlich wie bei der Tagespresse, zu deren Dauerhaftigkeit es ja den bekannten Ausspruch gibt: Nichts ist älter als die Zeitung von gestern. Und wer oder was will schon alt sein?

Mehr als 10.000 Tageszeitungen gibt es weltweit, davon rund 350 in Deutschland. Am Kiosk an der Ecke kann ich gerade mal sechs kaufen, von denen noch zwei aus dem gleichen Verlagshaus stammen. Daheim am PC kann ich hingegen unter 100 Millionen Weblogs wählen, von denen mehr als zwei Millionen in deutscher Sprache verfasst sind. (Damit wird aber auch klar, dass Deutschland, was die Bloggerei angeht, im internationalen Vergleich den Anschluss verpasst hat, wenn unser Anteil an der Weltpresse stolze 3,5 % beträgt, wohingegen kaum 2,0 % der weltweit ins Netz gestellten Weblogs von hier kommen.) Was sagen solche Zahlenspiele aus über die Zukunft der noch immer taufrischen, jungfräulichen Mitteilungsform? „Garnüscht“, wie der Blogger Kannitverstan aus Kreuzberg-Mitte mir nach einem kräftigen Rülpser versichert.

Ratgeber, wie man als Blogger Klickzahlen generiert, gibt es zuhauf. Wer sich auf das ungewisse Abenteuer namens Weblog einlässt, auf die alltägliche, weltöffentliche Schreiberei zum Tag und für niemand, ob in Kreuzberg-Mitte oder Essen-Huttrop, der sollte nicht auf Klickzahlen schielen, sondern mit festem Blick die Qualität seiner Elaborate im Auge haben.

Wenn es auch merkwürdig klingen mag: Gerade dieses scheinbar so „schnelllebige“ – früher habe ich ein solches Wort mal als Oknei aufgespießt – neue Medium wird sich, davon bin ich überzeugt, auf Dauer als ein „selbstselektierender Vorratsdatenspeicher“ erweisen, in dem sich die Spreu zentnerweise von den wenigen triebfähigen Weizenkörnern scheidet. Zum guten Schluss setzt sich nach aller Erfahrung stets beständige Qualität gegen schnell verderbliche Massenware durch.