Hohe Decken

Wenn ich mir meine verschiedenen Wohnsitze in Erinnerung rufe und dabei mein jeweiliges Körpergefühl nachzuempfinden versuche, dann fällt mir auf, dass insbesondere die Deckenhöhe einen ganz entscheidenden Einfluss auf mein Wohlbefinden, meine Stimmung und mein Selbstbewusstsein hatte. Das meine ich, auch wenn es anders klingen mag, durchaus wertfrei. In den niedrigen Behausungen fühlte ich mich wohl eher wie ein kuschelndes Nagetier oder ein lauerndes Reptil, während ich in den lichten und weiten Räumen dickwandiger Altbauten einherschritt wie ein stolzer Panther oder Pfau. Dieser oder jener Verkörperung den Vorzug zu geben wäre verfehlt, denn jedes Tier hat bekanntlich seine Stärken und Schwächen. Eben sehe ich im Briefwechsel von Hugo von Hofmannsthal und Rainer Maria Rilke (Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 1978) Bilder der beiden Korrespondenten an ihren Schreibtischen. Schon Hofmannsthals mit Wandschmuck und Möbeln überladener grüner Salon in seinem Rodauner Schlössl wirkt zugleich imposant und bedrückend, der Dichter unterm hochdroben an der Stuckdecke baumelnden Kronleuchter (s. Titelbild), an einem großen runden Tisch sitzend und lesend, wirkt auf den ersten Blick eher wie ein leicht eingeschüchterten Pennäler, keinesfalls jedoch wie der dichtende Großbürger, als der er sich selbst gern darstellte und empfand. Erst recht macht die kathedralenartige Gewölbedecke im Arbeitsraum des Hôtel Biron in Paris aus dem traurig und verloren auf einem hohen Lehnstuhl hockenden Rilke ein armes Würstchen. Ich weiß nicht, wie mein hier trotzig hingeworfener Kleinkram aussähe, wenn ich unter solch hohen Decken schreiben müsste. So bin ich froh, zuletzt in einer handtuchschmalen Klause gestrandet zu sein!