Fristsetzung als Formgeber

Ich frage mich gerade, welchen Einfluss es auf mein Schreiben hätte, wenn meine verbleibende Lebenszeit genau begrenzt wäre. Wüsste ich zum Beispiel, dass ich nur noch ein halbes Jahr, zwei oder zehn Jahre zu leben hätte – würden dann meine Ergebnisse konziser? Hätte eine solche Limitierung Einfluss auf meine Themen? Oder verlöre ich gar, was ja auch vorstellbar wäre, gänzlich die Lust am Schreiben, um die verbleibende Zeit mit anderen Betätigungen hinzubringen?

Möglich wäre auch, oder doch immerhin vorstellbar, dass ich – angesichts der Aufgabe, nun einzig das Wesentliche in den Blick nehmen zu müssen – erstarrte und rein gar nichts mehr zu Papier brächte. Oder ich packte dies und jenes an, ließe es aber bald wieder fallen, weil mir etwas noch Wesentlicheres in den Sinn käme, wogegen das zuvor für wesentlich Gehaltene plötzlich trivial erschiene. Vielleicht verständigte ich mich in dieser Unrast schließlich doch gegen alle Unsicherheit auf einen festen Entschluss, an den ich mich nun klammerte, als stünde er für mein schwindendes Leben selbst, ohne freilich den nagenden Zweifel ganz zum Verstummen zu bringen, dass ich auf ein falsches Pferd gesetzt haben könnte.

Unwahrscheinlich, vielleicht unmöglich scheint mir hingegen, dass die Aussicht auf einen definierten Ultimo meines Lebens ganz folgenlos für mein restliches Tun und Lassen als Schreibender bliebe. Dabei stand ich schon immer – oder doch mindestens, soweit ich mich besinnen kann – unter dem inneren Druck, keine Arbeitszeit mit Marginalien zu Quisquilien zu verplempern. Es war ja schon schlimm genug, dass ich viele Jahre lang nur den kleineren Teil meines Tages aufs Schreiben verwenden durfte, während Familie, Brotberuf und Schlaf den großen Rest auffraßen.

Wieder eine andere Idee: Ich schreibe keine einzige neue Zeile mehr, sondern konzentriere all meine verbleibenden Kräfte darauf, das Vorhandene zu sichten, zu sortieren, auszumustern, zu vernichten und den guten Rest zu konservieren. Dieser Plan hat etwas Versöhnliches und überdies den Vorzug, dass er den vermutlich von Tag zu Tag nachlassenden Kräften am ehesten noch Rechnung trägt. Im günstigsten Fall kann er sogar Kraft spenden, wenn die Begegnung mit der Vergangenheit erfreuliche Erinnerungen ans Licht bringt.

(Ganz anders verhielte es sich freilich, wenn die Frist noch wesentlich kürzer wäre. Wenn sich der Erlebenskorridor auf die berühmten ,Letzten Worte‘ hin verengte. Was wäre da zu sagen? Dazu zu sagen?)