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Selbstprofiling

Friday, 01. April 2011

Der reflektierte Egotrop von heute ist ein aufmerksamer Selbstprofiler. Was tue ich, was lasse ich? So setzt sich ein Autoporträt zusammen, das mal wie ein Scherbenhaufen, mal wie ein Wolkenwürfel anmutet.

Wie sehr ich abweiche, fast außerhalb nicht nur der Norm, sondern des Maßstabs der Normierung stehe, das wird mir immer dann bewusst, wenn wieder einmal der Mann von der Gebühreneinzugszentrale vor der Tür steht. „Sie haben ein Rundfunkgerät angemeldet.“ – „Ganz richtig, ein Gerät zum Empfang von Radioprogrammen. Aber kein Fernsehgerät. Wie ja Ihren Unterlagen da zu entnehmen ist.“ Aus diesen Papieren schaut er nun auf und mich an mit einem mimischen Mix aus Ironie, Trotz und Verbitterung: „Und einen Fernseher haben Sie natürlich keinen!?“ – „Ja und nein.“ Er ist für ein Momentchen irritiert, bis ich das Rätsel löse. „Ich habe tatsächlich kein Fernsehempfangsgerät. Aber nicht ,natürlich‘! Denn dieses Nichthaben ist ja, im heutigen Sinne von ,natürlich‘ als Synonym von ,normal‘, ganz im Gegenteil eher äußerst unnatürlich. Allerdings habe ich einen Personal Computer mit Zugang zum World Wide Web. Aber dessen Nutzung ist, wie Sie wissen, bisher noch durch meine Radiogebühr abgegolten.“ Zerknirscht zieht der freiberufliche Schnüffler von dannen.

Ich habe auch kein Auto, nicht mal eine Fahrerlaubnis. Dennoch bin ich mobil in einem für mein Wohlbefinden erforderlichen Radius, weil ich die öffentlichen Verkehrsmittel als Schwerbehinderter mit Gehbehinderung zum Tarif von fünf Euro monatlich nutzen kann. Fernreisen möchte ich nicht mehr unternehmen. Vielleicht werde ich einmal alle meine Reisen der vergangenen fünfzig Jahre hererzählen, dann wird man verstehen, warum ich diese Scheinabwechslung nicht entbehre. Reisen bildet? Die Reiseberichte, die ich von meinen Mitmenschen gelegentlich zu hören bekomme, zwingen mich ein ums andere Mal zu anderen Schlussfolgerungen. Auch sonst leiste ich mir einen beneidenswerten Luxus, was Unabhängigkeit von Apparaten betrifft. Ein Handy zum Beispiel habe ich schon deshalb nicht, weil meine Aufmerksamkeit beim Flanieren ganz meiner unmittelbaren Umgebung gelten muss und ich beim sinnlichen Genuss dieser Sphäre keine Störung vertrage.

Daheim erreicht mich wer immer will per Festnetz oder E-Mail. Beide Formen des Austauschs sind mir angenehm. Ich vermisse übrigens auch die klassische Korrespondenz auf Briefpapier durchaus nicht, denn ich verfasse meine elektronischen Mitteilungen mit der gleichen, von Jugend auf gewohnten Gründlichkeit. Dies betone ich an die Adresse jener, die mich für einen verschrobenen Romantiker halten. Es geht mir stattdessen immer nur um Zweckmäßigkeit.

Das Internet nutze ich intensiv. Mein Lesezeichen-Menü bei Firefox ist überaus reichhaltig und wohl strukturiert. Diese Navigationshilfe wird kontinuierlich ergänzt und in regelmäßigen Intervallen bereinigt, eine Routine, die für mich längst zum Handwerk des Schreibens gehört wie die Lektüre der Tageszeitung, das Buchlesen, Gespräche mit Vertrauten, Film- und Museumsbesuche, Spaziergänge in der Natur, Nichtstun. Worauf ich wiederum bewusst verzichte, das ist die Teilnahme an sozialen Netzwerke à la Facebook & Co. Das sind nach meiner Beobachtung reine Zeitfresser und Illusionsfabriken für einsame Seelchen. Ich habe nicht nötig, Reklame für mich zu machen. Ich bin, was ich bin, mehr nicht und nicht weniger. Wer mich sucht, wird mich finden.