Buch zum Film (I)

Gestern habe ich die soeben erschienene Taschenbuchausgabe von True Grit gekauft. Dabei verstieß ich gleich mehrfach gegen meine Grundsätze. Eigentlich will ich nämlich keine neuen Bücher mehr kaufen, wenn es ältere Ausgaben von ihnen auf dem Antiquariatsmarkt gibt, denn die sind in aller Regel billiger und dazu noch solider gefertigt. Sodann will ich, wenn eben möglich, kein gelumbecktes Taschenbuch von einem Titel kaufen, den es auch in einer ordentlich gebundenen, fadengehefteten Edition gibt. Und zudem will ich keine Bücher mehr in den Filialen der Buchhandelsketten wie Thalia oder Mayersche kaufen, sondern die ambitionierten kleinen Buchhandlungen wie proust unterstützen. In diesem Fall machte ich eine Ausnahme, weil ich das Buch an diesem Wochenende lesen wollte, solange nämlich der Eindruck der beiden Verfilmungen (von Henry Hathaway bzw. Joel und Ethan Coen) noch frisch ist.

Das Buch, das ich nun in Händen halte, nennt sich im Impressum ,überarbeitete Neuausgabe‘, basierend auf der ersten deutschen Übersetzung Die mutige Mattie, die 1969 erschien; die Redaktion lag in den Händen von Isabell Trommer. Nun wüsste ich ja doch gern, welche Änderungen bei dieser Überarbeitung für nötig gehalten wurden. So heißt es etwa gleich zu Beginn des Buches: „Ehe Papa nach Fort Smith aufbrach, sorgte er dafür, dass ein Schwarzer namens Yarnell Poindexter jeden Tag das Vieh fütterte […].“ (Charles Portis: True Grit. A. d. Am. v. Richard K. Flesch. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2011, S. 9.) Streng genommen wäre die politisch korrekte Bezeichnung dunkelhäutiger Personen ja heute „ein Farbiger“ gewesen. Aber vielleicht lautete es in der Erstausgabe der Flesch-Übersetzung ja, noch schlimmer: „ein Neger“? Dann hätte sich Isabell Trommer mit „ein Schwarzer“ gewissermaßen für eine Kompromiss-Version entschieden. (Mich würde nicht einmal wundern, wenn es im amerikanischen Original von Portis an dieser Stelle gar „a nigger“ heißt, denn die Geschichte wird Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts von einer Greisin erzählt, für die die Bezeichnung Nigger für einen Mann schwarzer Hautfarbe noch ganz selbstverständlich und nicht diskriminierend gemeint war. Zudem erhält der Leser wenig später (ebd., S. 52) Einblick in die menschenkundlichen Auffassungen der Erzählerin, wenn sie zum Beispiel sagt: „Es heißt, Creek-Indianer seien gute Indianer, aber Creek-Blut mit weißem Blut gemischt oder auch mit Negerblut – das sei etwas anderes.“ Ein solcher Mischling ist der Gangster, angesichts dessen Mattie Ross urteilt: „Wenn es je einen Mann gab, dem Mord und Totschlag ins Gesicht geschrieben waren, dann war es Odus Wharton.“)

Woraus ich nicht schlau wurde, nachdem ich beide Filme gesehen hatte, das war der Name des Texas-Rangers. In den Synchronisations-Fassungen klingt er wie ,La Bief‘, aber in den Besetzungslisten bei Wikipedia steht ,La Boeuf‘ (und in der französischen Wikipedia gar ,LaBœuf‘). Wie passte das zusammen? Im Roman  gibt der Namensträger selbst hierüber folgenden Aufschluss: „,Mein Name ist LaBœuf‘, sagte er. Er sprach es aus wie LaBief, aber dann buchstabierte er es.“ (Ebd., S. 65.) Solche Feinheiten bleiben eben selbst bei der treuesten Verfilmung auf der Strecke.

Dass sich die Coens aber das folgende Detail haben entgehen lassen, begreife ich nicht. In einer langen, kalten Nacht in der Wildnis hält Rooster Cogburn die völlig erschöpfte Mattie mit seiner Lebensgeschichte bei Laune, gespickt mit pittoresken Kapriolen wie dieser: „Er sagte, er kenne eine Frau in Sedalia, Missouri, die sich als Mädchen eine Nadel in den Fuß getreten habe, und neun Jahre später sei sie aus dem Oberschenkel ihres dritten Kindes wieder herausgekommen. Die Ärzte seien sehr erstaunt gewesen.“ (Ebd., S. 141.) Das sind doch Geschichten von der Art, wie sie einem noch Jahrzehnte später wieder einfallen, wenn das Gespräch auf ein Buch kommt, von dem man den ganzen Rest vergessen hat. Aber in einem Film finden sie eben keinen Paltz. Einwandfrei haben aber die Coens wesentlich mehr Einzelheiten aus dem Roman in ihren 110 Filmminuten untergebracht als Hathaway seinerzeit, obwohl Der Marshal noch 18 Minuten länger ist. Allerdings nehmen sie es mit der Wahrhaftigkeit gegenüber der Vorlage auch nicht immer sehr genau. Ein Beispiel für viele: Scheinbar völlig mutwillig tritt Rooster im Film die beiden Indianerjungen vor Bagbys Laden gleich zweimal von der Verandabrüstung in den Dreck. Bei Charles Portis ist dies aber die gerechte Strafe für die Gehässigkeit der beiden, die sich an den Qualen eines Maultieres weiden, das von einem Strick um den Hals stranguliert wird (vgl. ebd., S. 107). Ganz unbedeutend ist diese Kleinigkeit ja nicht, denn ich erinnere mich noch gut, dass ich dem Film-Marshall für sein Verhalten in dieser Szene einen Minuspunkt verpasste, während nun der Buch-Marshall im Gegenteil einen Pluspunkt bekommt. [Nachsatz vom 16. März 2011: Hier irrte ich. Mein Sohn V. und dessen Freund D., die beide die Coen-Verfilmung vor wenigen Tagen gesehen haben, erklärten unabhängig voneinander auf meine Frage, warum Rooster die beiden Indianerjungen von der Verandabrüstung schmeiße: „Weil sie das Pferd geärgert haben.“ Offenbar muss ich für einen Augenblick abgelenkt gewesen sein, wie übrigens auch meine sonst sehr aufmerksame Gefährtin, die sich ebenfalls an kein Pferd (resp. Maultier) vor der Veranda erinnern kann. Dies ist ein neuerlicher Beweis, wie trügerisch unsere Wahrnehmung allgemeinist,  und speziell auch unsere Kunstwahrnehmung – und wie zweifelhaft damit unser Urteil.]

Noch ein Wort zur aufgewandten Zeit für Film- bzw. Buchgenuss. Der Unterschied ist doch geringer, als allgemein angenommen. Zwei Sunden kosteten mich jeweils die beiden Verfilmungen, Fahrtzeit zum Kino und zurück nicht gerechnet. Das Buch habe ich in gut vier Stunden gelesen. – Meine Empfehlung lautet: Es lohnt sich unbedingt, nach einem Kinobesuch zur Buchvorlage zu greifen, so es denn eine gibt. Der Vergleich ist interessant, schärft die Aufmerksamkeit sowohl für zukünftige Filmbetrachtung als auch fürs Lesen und schult das Urteilsvermögen für beide Kunstformen.

[Titelbild: Umschlag des bespochenen Taschenbuchs von Cathrin Günther.]