Archive for February 22nd, 2011

Baedecker?

Tuesday, 22. February 2011

In einem großen Artikel auf der Literatur-Seite stellt Thomas Senne heute in der Süddeutschen ein neues Büchlein über Samuel Becketts Deutschlandreisen der Jahre 1936 und 1937 vor. Natürlich schreibt der Rezensent den Namen des Nobelpreisträgers richtig, mit „ck“ und einem doppelten „t“ am Ende. (Thomas Senne: Unspeakable Eintopf; in: SZ Nr. 43 v. 22. Februar 2011, S. 14.)

Beckett hat während seiner Exkursion ins Reich der Finsternis Tagebuch geführt. Sein Neffe Edward Beckett untersagte „unverständlicherweise“, wie Senne findet, die Veröffentlichung dieser German Diaries seines 1989 verstorbenen Onkels. Nun hat der Musikkritiker Steffen Radlmaier, Feuilletonchef der Nürnberger Nachrichten, dieses Verbot immerhin teilweise unterlaufen, indem er in seiner jüngst erschienenen Studie Beckett in Bayern ausgiebig aus den Tagebüchern zitiert. (Bamberg: Kleebaum Verlag, 2011.) Auch den Namen Radlmaier schreibt Thomas Senne richtig.

Warum aber bringt er es nicht fertig, den Namen des vielleicht berühmtesten Reiseführers der Welt, der sich seit Jahrzehnten auch international als Eponym für diese spezielle Art von Nachschlegewerken durchgesetzt hat, korrekt mit einfachem „k“ zu schreiben?

Allerdings kann ich den Rezensenten damit trösten, dass er sich mit diesem Schreibfehler zwar nicht in gute, aber doch in große Gesellschaft begeben hat. Ich habe 17 Jahre lang in der gleichnamigen Buchhandlung in meiner Vaterstadt gearbeitet, deren Gründer Gottschalk Diederich Baedeker ein Vorfahre des Reiseführer-Verfassers Karl Baedeker war. Damals habe ich hunderte von Dokumenten aller Art gesammelt, vom Brief über den Zeitungsartikel bis hin zum Buchzitat, in denen mit sturer Ignoranz immer wieder „Baedecker“ geschrieben wurde.

Übrigens wissen wir ja nicht, ob Senne für den Fehler selbst verantwortlich ist, oder ob er ihn bei Radlmaier vorgefunden und bloß unhinterfragt abgeschrieben hat. Und selbst die schlimmste Befürchtung, dass der Patzer auf Samuel Beckett höchstpersönlich zurückgehen könnte, darf ich nach meinen traurigen Erfahrungen nicht mit letzter Gewissheit ausschließen, solange ich mich nicht vom Gegenteil überzeugt habe. Es ist doch ein rechtes Elend mit der Hudelei der Schreiber in unserer Zeit!

Sozusagen

Tuesday, 22. February 2011

Im Mai 2007 startete ich bei Westropolis eine kleine Serie über lästige Phrasen, die manche Zeitgenossen gern in ihre mündliche Rede einfließen lassen und damit feinnervigen Zuhörern wie mir, zugegeben wohl einer verschwindend kleinen Minderheit, schrecklich an die Nerven gehen. Diese von mir unter der Gattungsbezeichnung „Ohrenkneifer“ vorgestellten Schädlinge im Volksmund sind hochinfektiös, in einem Maße, dass ich selbst immer wieder einmal davon angesteckt wurde, wenn mir tatsächlich selbst wieder bessere Einsicht gelegentlich der ein oder andere „Ohrenkneifer“ über die Lippen kroch. Autsch!

Ein Dutzend „Ohrenkneifer“ spießte ich seinerzeit auf, und um einige von ihnen wäre es schade, ganz in Vergessenheit zu geraten. Beispielsweise sozusagen. Ich entlarvte das penetrant in die mündliche oder gar schriftliche Rede deutschsprachiger Mitmenschen eingeflochtene Wörtchen als ein unbewusst eingebautes Hintertürchen, durch das der Sprecher bzw. Schreiber Reißaus zu nehmen plant, sollte das, was er da gerade von sich gibt, bei näherer Prüfung wortwörtlich doch nicht standhalten. Das Deutsche Wörterbuch von Wahrig macht mit seiner Worterklärung viel deutlicher als der Duden, um was für einen fauligen Wechselbalg es sich hier handelt: „gewissermaßen, wenn man es so ausdrücken will, obgleich es nicht ganz richtig ist“. (Gütersloh / München: Bertelsmann Lexikon Verlag, 2000, S. 1172.)

Aber warum muss man es denn so ausdrücken, obwohl es offenkundig nicht ganz richtig, klarer gesagt: obwohl es falsch ist? Weil einem die treffenderen Worte fehlen. Und warum fehlen einem die treffenden Worte? Weil man zu faul ist, nach ihnen zu suchen. Und was ist die Folge dieser um sich greifenden kollektiven Wortfindungsstörung, geboren aus lethargischer Gleichgültigkeit? Eine progressive Degeneration des Wortschatzes, eine daraus resultierende Verarmung der Sprache und des Denkens.

Dem Grimm’schen Wörterbuch ist das Wort „sozusagen“ übrigens noch gänzlich unbekannt, während „gewissermaßen“ dort gerade mal als eine modische Innovation aufgeführt wird. Auch auf dieses Füllsel hätten wir zur fragwürdigen Bereicherung unseres Wortschatzes besser verzichten sollen, denn heute wird es nach meiner Erfahrung vorzüglich dann eingesetzt, wenn eben gerade nicht gewiss ist, was der Sprecher oder Schreiber mit dem so Eingeläuteten eigentlich meint. „Gewissermaßen“ wird vielmehr und paradoxerweise als Warnhinweis für eine ungewisse Unbestimmtheit missbraucht – und damit seinem ursprünglichen Sinn entfremdet.

Nachsatz im Februar 2011. Neulich hörte ich einen Podcast bei Küchenradio von den Protesten beim letzten Castor-Transport im November vorigen Jahres. DocPhil interviewt im Unterholz einen der Organisatoren von der Aktion „Castor schottern“, der nahezu in jedem dritten Satz „sozusagen“ sagt. Das Wörtchen ist zu einem dermaßen sinnfreien Füllsel seiner Sprechweise geworden, dass er es mitunter bis zur völligen Unverständlichkeit verschleift. In neun Minuten bringt dieser Aktivist es tatsächlich fertig, 29 mal „sozusagen“ zu sagen! Und wenn man schön aufpasst, entdeckt man, dass das Virus nach einer Weile auf den Interviewer überspringt. Sehr schön und hörenswert! (Das Interview findet der Hörer zwischen Min. 12:00 und Min. 21:00.)

[Dieses Posting erschien zuerst am 2. Februar 2008 bei Westropolis unter dem Titel sozusagen als XII. Folge der Serie „Ohrenkneifer“. Es wurde für die Neuaufnahme in mein Revierflaneur-Blog überarbeitet und erweitert.]