Archive for February 18th, 2011

ScanPlag 1.0

Friday, 18. February 2011

woherhabeichdiesensatz

Warum ist eigentlich noch niemand auf die Idee gekommen, der Verlegenheit unseres Verteidigungsministers vor der Abgabe seiner mit so viel Fleiß verfertigten Promotionsschrift mit einem pfiffigen kleinen Suchprogramm abzuhelfen?

Die Sache verhält sich doch folgendermaßen. Bis zur Entwicklung der PCs mit moderner Textverarbeitung Mitte der 1980er Jahre und des Internet wenige Jahre später hatten Plagiatoren wenig zu fürchten. Höchstens durch einen dummen Zufall konnte ihnen ein aufmerksamer Leser auf die Schliche kommen. Nun aber ist es für jeden Hobbydetektiv ein Leichtes, Abschreiber zu entlarven. Wenn ich zum Beispiel einen markanten Satz aus einem meiner letzten Blogbeiträge ins Suchfenster von Google eingebe, wie etwa „Es ist, als legte er sich die Schlange des Äskulap um den Hals, mit seiner Todesverachtung kokettierend, und weidete sich an unserem Entsetzen“, dann bekomme ich augenblicklich die einzige passende Belegstelle im World Wide Web geliefert – nämlich meine eigene.

Genauso ging Andreas Fischer-Lescano am vergangenen Samstagabend vor, als er bei einem Glas argentinischen Rotwein die Probe aufs Exempel machte, ob denn die Doktorarbeit des Juristen Karl-Theodor zu Guttenberg, Verfassung und Verfassungsvertrag. Konstitutionelle Entwicklungsstufen in den USA und der EU, eine redliche Eigenleistung sei. Nach wenigen Stichproben wurde er zu seiner eigenen Überraschung fündig. Der Verteidigungsminister hatte offenbar etliche Textpassagen nahezu wortwörtlich aus fremden Werken übernommen, ohne sie als Zitate kenntlich zu machen. (Roland Preuß: Ein Abend in Berlin; in: Süddeutsche Zeitung Nr. 38 v. 16. Februar 2011, S. 2.) Der vermeintliche Plagiator tat, was jeder in seiner peinlichen Lage tun würde: Er leugnete jedwede böse Absicht und beteuerte, dass die Unterlassung von ein paar Quellennachweisen allein durch Flüchtigkeit verursacht und damit zu entschuldigen sei. Schließlich sei die Arbeit neben seiner „Berufs- und Abgeordnetentätigkeit als junger Familienvater in mühevoller Kleinstarbeit“ entstanden, so zu Guttenberg heute wörtlich.

Gesetzt den Fall, und wer wollte daran ernsthaft zweifeln, der Bundesverteidigungsminister sagt die lautere Wahrheit. Was hätte ihn dann vor diesem unglückseligen Fauxpas bewahren können? Vielleicht ein kleines Textverarbeitungsmodul, das folgendermaßen funktioniert. Es zerlegt Textdateien beliebigen Umfangs in Satzfragmente von jeweils ein bis zwei Dutzend Wörtern und schickt sie automatisch durch die Google-Suche. Dabei beschränkt es sich auf Text, der nicht in Anführungszeichen gesetzt ist. Ermittelt das Suchprogramm auffällige Übereinstimmungen mit fremden Texten, empfiehlt sie dem Autor die betreffenden Passagen zur Überprüfung. Er hat dann die Wahl, sie entweder als Zitate auszuweisen oder so umzuformulieren, dass ihre Herkunft nicht mehr ermittelbar ist. Ein solches Programm würde hinfort selbstverständlich nicht nur von Doktoranden angewandt, die vermeiden wollen, in die Bredouille zu kommen, in die sich der arglose Karl-Theodor zu Guttenberg gebracht hat. Vielmehr würden auch die Mitglieder der Prüfungskommissionen ein solches Werkzeug sehr zu schätzen wissen. Sie entgingen mit seiner Hilfe dem Vorwurf, nicht gründlich genug geprüft zu haben. Täuschungsversuche kämen nicht mehr vor, Flüchtigkeitsfehler ebensowenig. Und wer zu faul oder zu dumm wäre, als Doktorand diese ScanPlag-Software anzuwenden, der hätte den Titel wirklich nicht verdient.

Mit dem Patent zu einem solchen Suchprogramm könnte sein findiger Entwickler vielleicht reich werden. Und wenn er ganz schlau wäre, dann verkaufte er bald noch ein Update, das jedes beliebige Zitat durch syntaktische Umstellungen und Austausch synonymer Begriffe formal so verändert, dass es nicht mehr identifizierbar ist, ohne freilich seinen Sinn zu verändern.

Von Kairo zum Kairos

Friday, 18. February 2011

schutzlospreisgegeben

Seit geraumer Zeit denke ich darüber nach, welchen Nutzen es eigentlich für einen halbwegs gebildeten und durchweg unangepassten Mitteleuropäer wie mich hat, die täglichen Nachrichten aus den Massenmedien zur Kenntnis zu nehmen.

Ein krasser Outsider auch auf diesem Felde bin ich ja von jeher durch meine konsequente Fernsehverweigerung. Wann immer meine Mitmenschen hiervon erfuhren, war ihre spontane Reaktion, dass sie sich ein Leben ohne Fernsehgerät schon deshalb nicht vorstellen könnten, weil sie dann Angst hätten, „zu vieles nicht mitzubekommen“. Für sie gehöre die allabendliche Tagesschau unverzichtbar zu ihrem Freizeitprogramm. Man müsse doch „wissen, was in der Welt vor sich geht“, schon „um mitreden zu können“. Bei Urlaubsreisen ins Ausland fühlten sie sich deshalb oft „wie abgeschnitten“. Als ich noch beruflich mit solchen Zeitgenossen zu tun hatte, konnte ich aber immer wieder feststellen, dass ihre vermeintliche Informiertheit sowohl quantitativ als auch qualitativ um ein Beträchtliches hinter meinem aktuellen Kenntnisstand zurückblieb. Offenbar führte meine Partizipation am internationalen Tagesgeschehen, durch das morgendliche Lesen einer überregionalen Tageszeitung, gelegentliches Radiohören und nebenher noch durch das eher ziellose Stöbern in diversen Informationsangeboten im Internet, zu präziseren Kenntnissen, insbesondere aber zu einer strukturierteren Wahrnehmung und besser begründeten Bewertung des Weltgeschehens.

Ich erklärte mir diesen Rückstand meiner Kollegen unter anderem damit, dass das Zerhacken der Ereigniskontinuität im Fernsehen, zunächst durch die hektischen Schnittfolgen des Angebots, später dann durch das wilde Zappen der Nutzer im Überangebot der Programme, zu einer Auflösung von Sinnzusammenhängen führt. Überdies schien mir immer, dass die simultane Darbietung von optischer (visueller) und akustischer (verbaler) Information mindestens dann eher ablenkend wirken muss, wenn beide nicht aus einer Quelle rühren; anders gesagt: wenn Bild und Ton nicht wie aus einem Guss sind. (Genau aus diesem Grund und erwiesenermaßen ist das Microsoft-Programm PowerPoint kein Hilfsmittel bei der Präsentation komplexer Sachverhalte, sondern vielmehr geradezu ein Störfaktor für Verstand und Gedächtnis.)

Die jahrelange Gewöhnung an solch ein den Alltag beherrschendes Medium kann für das Bewusstsein der Konsumenten nicht folgenlos sein. So fällt mir auf, dass die öffentliche Wahrnehmung zu jedem gegebenen Zeitpunkt jeweils von einer Top-Nachricht gebannt zu sein scheint. Um diese herum wimmelt es geradezu von konkurrierenden Nachrichten, die sich darum bewerben, den Spitzenreiter abzulösen. Meist ist die Lebensdauer solcher Topnews auf wenige Tage begrenzt. Insofern wurden wir jüngst zu Zeugen einer ungewöhnlich lange dominierenden Nachricht, als Mubarak partout nicht weichen wollte. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, der dank einer ungeschickt mit fremden Federn ausgestopften Dissertation heute im Brennpunkt der Aufmerksamkeit steht, dürfte da nicht mithalten können. Diese Gegenüberstellung – hier ein Volksaufstand von etlichen Millionen in Ägypten, dort ein paar nicht korrekt ausgewiesene Zitate in einer Doktorarbeit: von Kairo zum Kairos – macht deutlich, wie disparat doch die jeweiligen Themen sind, auf die wir regelmäßig einen Teil unserer Aufmerksamkeit verschwenden; und wie wenig sie mit unserem wirklichen, alltäglichen Leben zu tun haben.

Immerhin das zu erkennen und von Einsichten dieser Art fragend zu Erklärungen vorzudringen, macht für mich eine wenigstens partielle und jedenfalls kritische Wahrnehmung des medialen Grundrauschens gerade noch sinnvoll.