Heinrich Funke: Das Testament (XII)

Heinrich Funke Das Testament (XII)

Blauer Himmer über freier Natur, blaues Meer unter einer gut gemeinten Sonne, im Vordergrund sehr sparsame Zeichen von Vegetation, im Hintergrund nichts als ein verstellter Horizont und am rechten Bildrand vielleicht das eigentliche ,Ereignis‘ des Motivs: eine Steilküste, von einer gedrängten Architektur gekrönt, die dasteht, als warte sie darauf, hinuntergeschubst zu werden.

Vielleicht will das Bild ja Gedichtzeilen wie diese illustrieren: „Du herbe Göttin wilder Felsnatur, | du Freundin liebst es, nah mir zu erscheinen; | du zeigst mir drohend dann des Geiers Spur | und der Lawine Lust, mich zu verneinen. | Rings athmet zähnefletschend Mordgelüst: | qualvolle Gier, sich Leben zu erzwingen! | Verführerisch auf starrem Felsgerüst | sehnt sich die Blume dort nach Schmetterlingen.“ So die vierte Strophe aus Nietzsches Gedicht An die Melancholie.

Melancholie, hat ein vergessener Mund aus dem Volke mal gesagt, sei die Sorge jener, die sonst keine haben. Und dann wäre da noch der Orakelspruch von der Trauer, die alle Tiere nach dem Geschlechtsakt verspüren. Dieser Satz ist ja gleich in mehrfacher Hinsicht fragwürdig. Erstens darf man bezweifeln, dass Tiere überhaupt das, was wir Trauer nennen, empfinden können. Zweitens dürfte es schwer fallen, ihre Gemütsverfassung nach dem Fortpflanzungsvorgang zu ermitteln. Drittens ist die Verallgemeinerung auf die gesamte Fauna von geradezu vorsintflutlicher Simplizität. Und schließlich ist viertens an dem Satz verdächtig, dass es keine verbürgte Quelle für ihn gibt. Mal Plinius, mal Aristoteles zugeschrieben, lautet er im lateinischen Original vollständig: „Post coitum omne animal triste praeter gallum, qui cantat.“ Der Hahn wird also von der postkoitalen Trauer ausgenommen.

Eigentlich ist der Satz insofern eher eine Aussage über den Hahn als über den Rest der Tiere, die vielleicht bloß zu erschöpft vom Liebesspiel sind, um ein solches Spektakel zu veranstalten. Und der Mensch? Wie fühlt er sich nach vollbrachter Tat?

Mir fällt an dieser Stelle Wilhelm Busch ein: „Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr.“ (aus: Julchen.) Nach der Erfüllung gleich welchen Wunsches mag sich bei uns Post-Hominiden zunächst eine gewisse Leere einstellen. Dieser Zustand ist aber jedenfalls sehr vorübergehend, denn die Welt dreht sich auch ohne unser Zutun weiter, und so weckt uns der gezeugte Nachwuchs aus dem Schlaf, unsere Werke entgleiten unseren Händen und wenden sich gegen uns und die Melancholie der Erfüllung erweist sich, wie jede andere Stimmung auch, als überaus vergänglich.