Sudelgeblogge (I)

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[1] Als akkurate Hausfrau hatte sie dem Rest der Familie einen festen Belegungsplan für die Fächer des Besteckkorbes in der Spülmaschine verordnet. Vorn rechts: Messer. Vorn links: Gabeln. Mitte rechts: Suppenlöffel. Mitte links: Dessertlöffel. Hinten rechts: Kuchengabeln. Hinten links: Sonstiges. Denn so lasse sich, wenn sich jeder daran halte, beim Ausräumen viel Zeit sparen, weil das Einordnen in die Besteckschublade umstandslos mit nur sechs Handgriffen zu erledigen sei.

[2] Als seine Beliebtheit dank seiner Erfolge auf Rekordniveau gestiegen war, wurde er zum Geburtstag mit Geschenken von nahezu Fremden überhäuft, die weder seinen Geschmack kannten noch seine Interessen. Als sich Misserfolge einstellten und sein Stern wieder sank, verschenkte er das Gerümpel weiter. Dabei traf es sich gelegentlich, dass einer der einstigen Schenker versehentlich sein eigenes Geschenk zurückerhielt. Er sah es den beschenkten Schenkern an, denn sie spielten die freudige Überraschung beim Anblick der nutzlosen Dinge noch schlechter als er vor Jahr und Tag.

[3] Alle Liebe beginnt und endet mit der Eigenliebe. Dass letztere in so schlechtem Ansehen steht, beruht wohl weniger auf einem Missverständnis der Botschaft des Jesus von Nazareth, als vielmehr auf der irrigen Annahme, Liebe erfülle sich in der Übereinstimmung mit den guten und schönen Attributen des Geliebten. Mein Kreuzworträtsel fragt nach einem Wort mit zehn Buchstaben, welches „Eitelkeit mit Egoismus“ verbindet – und meint Eigenliebe! Ganz falsch ist dies jedenfalls dann, wenn man die gesunden Anteile eines fürsorglichen Umgangs mit dem eigenen Äußeren und der Durchsetzung eigener Lebensansprüche darüber vergisst, die nur zu leicht als eitel oder egoistisch denunziert werden; nämlich meist dann, wenn es konkurrierenden Individuen auf dem Markt der Eitelkeiten und Interessen gefällt. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst? Wenn aber die Eigenliebe verpönt ist, dann führt diese Gleichung doch zu keiner Nächstenliebe. Je tiefer hingegen die Eigenliebe ist, desto weiter vermag auch die Liebe zum Nächsten zu reichen. (Vielleicht gar zum Übernächsten?)

[4] Etliche der Aphorismen Lichtenbergs hören sich an wie Bruchstücke zu einem Roman, wie die Bonmots von Helden, deren Charaktere und Figuren erst noch zu erfinden sind. – In den Romanen, die ich in mein Antiquariatslager schubse, finde ich oft Anstreichungen von eigener oder fremder Hand an Sätzen, die zu guten Aphorismen getaugt hätten. Das bleibt dann also von den Romanen übrig, wenn sie durchs grobmaschige Sieb unseres Leseeifers passiert worden sind. – Warum, so wird sich der Göttinger Weise vielleicht gedacht haben, soll ich um meine brillanten Schmuckstücke mit bedeutendem Aufwand umständlich Kulissen und Übergänge bauen, damit das Ganze sich als Roman in der Welt behaupte? Zuletzt bleiben doch ohnehin bloß diese wenigen Preziosen übrig.

[5] Auf dem Lehrstuhl der Bescheidenheit lautet für den Weisen die erste Lektion, an seinem Verstande zu zweifeln.

[Diese neue Reihe sollte ursprünglich Sudelblog heißen. Da es ein solches aber schon gibt – wenngleich mit kaum einem Bezug zu Georg Christoph Lichtenberg, sondern stattdessen zu Kurt Tucholsky –, habe ich mich zur zweiten Wahl entschieden und meine Puppe in der Puppe in Sudelgeblogge umgetauft.]

One Response to “Sudelgeblogge (I)”

  1. Connie Says:

    Auch eine Art, die Aphorismen des hochgeschätzten Lichtenberg umzusetzen, schön! – Ich merke gerade, dass ich mich auch wieder intensiver damit beschäftigen sollte, http://www.zweiterblick.de/sudelbild/ ist noch lange nicht erschöpft …

    Mit Hochachtung, Connie

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