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Bummelant?

Tuesday, 05. May 2009

Manche Innovationen sind uns bereits so zur Selbstverständlichkeit geworden, dass wir erstaunt sind, wenn wir von ihrem verhältnismäßig geringen Alter erfahren. So bin ich baff, dass es Kreuzworträtsel vor hundert Jahren noch nicht gab. Ich hätte geschworen, dass diese crossword puzzles zu Zeiten von Lewis Carroll (1832-1898) längst auf der Welt waren – oder, falls nicht, dass sie spätestens dieser große Rätselfreund und Wortakrobat, Schöpfer des Jabberwocky, ersonnen hätte.

Neuerdings vertreibe ich mir eine tägliche Wartezeit, zu der mich das Alter nötigt, mit dieser unschuldigen und anspruchslosen Zerstreuung. Ich gestehe gern, dass ich keineswegs den Ehrgeiz habe, solche strapaziösen Kopfzerbrecher wie Um die Ecke gedacht von Eckstein aus dem ZEITmagazin oder Das Kreuz mit den Worten von CUS aus dem SZ-Magazin zu lösen. Ich bevorzuge vielmehr die guten alten Schwedenrätsel, bei denen man die Fragen nicht erst auf dem Umweg über Zahlen herbeischaffen muss, weil sie in den sogenannten „Blindkästchen” bequemerweise gleich zur Stelle sind. Den bekannten Nachteil dieser Variante nehme ich gern in Kauf, dass sie nämlich mit einem verhältnismäßig geringen Repertoire gesuchter Begriffe auskommen müssen, weil die Fragen aus Platzgründen kaum mehr als zwei, drei Worte lang sein dürfen. Auch habe ich nicht den Ehrgeiz, jedes Rätsel lückenlos zu lösen. Meist fehlen mir zuletzt so entlegene Realien wie ein „Ort in Hordaland (Norw.)” oder ein „kanadischer Wapitihirsch“, was meinem Selbstbewusstsein wenig schadet. Ich kann Odda und den Elk zwar in den Auflösungen am Ende des Rätselheftes nachschlagen, doch das scheint mir wenig sinnvoll, denn solche verbalen Exotika haben weder in meinem aktiven noch in meinem passiven Wortschatz Platz und Nutzwert.

Was mir hingegen wirklich Spaß macht, ist das spielerische Training planvoller Suche nach Synonymen und der Entschlüsselung von Definitionen, das diese Rätselform für eine Weile bietet. Im günstigsten Fall bringt sie mich sogar zum Nachdenken über den engen Rahmen der Wortsuche hinaus. So wollte mir eben ein Synonym für „flanieren” mit sieben Buchstaben partout nicht einfallen. (Titelbild: Ausschnitt aus einem unvollständig gelösten Schwedenrätsel; aus: Schwedenrätsel Großband Nr. 49. Hrsg. v. Gerhard Melchert. Hamburg: Martin Kelter Verlag, o. J., S. 24.) Erst nachdem ich vier Buchstaben durch senkrecht kreuzende Begriffe beitragen konnte, wurde klar, dass der Rätselsteller nur „bummeln” gemeint haben konnte. (Hätte ich schon eher seine Bekanntschaft gemacht, wer weiß, vielleicht hätte ich mich dann Kohlenpottbummler genannt.)

Das Wort „bummeln” kenne ich aus meiner Kindheit aus folgenden Verwendungen: „Wir machen heute einen Einkaufsbummel (resp. Schaufensterbummel).” – „Wir fahren mit dem Bummelzug.” – Einkaufsgänge an der Hand meiner Mutter, durch die Essener Innenstadt, waren jedenfalls alles andere als entspanntes Flanieren, sondern im Gegenteil schreckliche Hetzereien,  weil von Geschäft zu Geschäft Preise verglichen werden mussten, damit zuletzt doch das Hemd oder die Hose bei C & A gekauft werden konnte: „Bummel doch nicht so!” Die Bevorzugung einer lahmen Zugverbindung, mit Zwischenhalten in jedem Kleinkleckersdorf, wurde durch die Verwendung des Wortes Bummelzug, das wohl Gemütlichkeit vorgaukeln sollte, kaum verzeihlicher, wenn das Abteil gestopft voll war mit quengelnden Kindern, zeternden Müttern und Zigarre rauchenden Vätern. Und der Schaufensterbummel an Sonntagen auf Rüttenscheider und Huyssenallee verdiente zwar seinen Namen, weil er langsam, ziel- und zwecklos war, trug aber ebenfalls wenig dazu bei, mich mit dem Bummeln anzufreunden.

Wie schön also, dass es die unverbrauchten und nicht vorbelasteten Wörter aus anderen Sprachen gibt, die im Kern etwas sehr Ähnliches oder gar das Gleiche bedeuten, aber frei sind von den quälenden Erinnerungen aus widrigen Umständen. So flaniere ich denn und verbitte mir, ein Bummelant geschimpft zu werden.