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Monday, 06. April 2009

1500 blogger trafen sich jüngst in berlin unterm motto shift happens, um über die zukunft ihres metiers zu fachsimpeln. beobachter meinten,

Dilemma

Monday, 06. April 2009

Wie geht er mit folgender Situation um? Er fühlt sich gegenwärtig, von einigen kleineren, unbeträchtlichen Einschränkungen einmal abgesehen, ausgezeichnet, so gut wie schon lange nicht mehr, besser als seit vielen Jahren. Seine Tage verbringt er in großer Gelassenheit, genießt seinen bescheidenen Wohlstand, verfügt über seine Zeit nach Gutdünken, erledigt den größten Teil von dem, was er sich vornimmt, ohne allzu große Anstrengung, hat Freude an seiner selbstbestimmten Arbeit und kommt gut mit jenen engeren Mitmenschen aus, an denen ihm wirklich gelegen ist.

So weit, so gut – wäre da nicht ein gewisses ungewisses Morgen, an dem all diese erfreulichen Lebensumstände mit einem Male in Frage gestellt sein können. Damit ist, um genau zu sein, in etwa einem Jahr zu rechnen. Soweit nicht ein unwahrscheinlicher Glücksfall dazwischentritt, geht dann sein Dolce Vita, das hier allerdings nicht mit Müßiggang gleichzusetzen ist, unweigerlich dem Ende entgegen. Der Quell seines Wohlbehagens versiegt, die Gnadenfrist vor seiner unausweichlichen Verarmung ist abgelaufen.

Freilich wäre er der Letzte, der sein Heil allein aus materiellen Gütern ableiten wollte. Aber es ist andererseits nicht zu leugnen, dass ohne einen gewissen Mindestkomfort seine Arbeit bald zum Erliegen kommen muss. Dass diese Voraussetzungen üblicherweise als Allüren eines verschrobenen Exzentrikers bewertet werden, macht es nicht gerade leicht, Verständnis für sie zu finden. Aber was das betrifft, war er noch nie verwöhnt. In der Rolle des unvernünftigen Kauzes hat er sich vielmehr längst gemütlich eingerichtet.

Worin besteht dann aber sein Problem? Da er nun doch so präzis weiß, woran er ist, nahezu auf den Tag genau weiß, wieviel Zeit ihm noch bleibt, auf Heller und Cent weiß, welche Mittel ihm zur Verfügung stehen, könnte er ja eigentlich mit großer Gelassenheit sein Ziel, sein seit vielen Jahren um vordringlicherer Forderungen willen aufgeschobenes Lebensziel endlich erstreben und erreichen, sein geplantes Werk verwirklichen, tun, was er nicht lassen kann.

Stattdessen ist er gehemmt durch die Sorge um die Zukunft. Er wird von Vorstellungen gepeinigt, die eine ferne Zeit betreffen, und kann darum die Gegenwart nicht so nutzen, wie es im günstigsten Falle möglich und für die Verwirklichung seines Ideals auch nötig wäre. Er zerbricht sich den Kopf über Schwierigkeiten, die erst in einem Jahr konkret werden. Und das ist doch eine sehr ferne Zeit, oder? Jedenfalls wäre es so, wenn er die Gegenwart, jeden einzelnen heutigen Tag, vollkommen ausschöpfte. Genau dies gelingt ihm aber nicht, wenn er in Kummer und Sorge an den fernen Tag denkt, an dem sich unabweisliche Fragen stellen, was dann werden soll, wovon er bitteschön denn leben, wie er wohnen soll. – Das ist das ewige Dilemma, der eigentliche Grund für unsere eingebildete Sterblichkeit.