Struwwelpläte

Ganz am Rande: Meine Haare haben mich nie glücklich gemacht. Vielleicht am ehesten ansehnlich waren sie in meinen allerersten Lebensjahren. Eine blonde Lockenpracht ist auf den Farbfotos der frühen 1960er-Jahre zu sehen, am Strand von Noordwijk aan Zee.

Dann wurde mir ein Kurzhaarschnitt verordnet, schließlich sollte man mich doch nicht mit einem Mädchen verwechseln. Die regelmäßigen Friseurbesuche an der Seite meines Vaters fand ich quälend wie alles, was mir eine künstliche Steifheit abnötigte und mich zu Tode langweilte.

Bald kam der Pilzkopf als neuer Standard, die Diktatur der Popkultur. Wer ihn bei den Eltern nicht durchsetzen konnte, wurde in der Schule gehänselt und hatte bei den Mädchen schlechte Karten. Mein Pech war, dass mir lange Haare nicht standen – oder, wörtlich genommen, eben gerade: völlig chaotische Wirbel. „Huch, die sind ja wie Draht!” So der Coiffeur im Salon Frank. „Da bricht mir glatt die Schere ab, har-har!”

Jetzt, in den besten Jahren, sind meine Haare fein wie Spinnfäden geworden. Ob das mit meinen veränderten Ernährungsgewohnheiten zusammenhängt? Oder mit meinen immer filigraner werdenden Denkgewohnheiten? Am Hinterkopf wird eine kahle Stelle Jahr für Jahr größer und größer, der sie umschließende Haarkranz schmaler und schmaler, wie ein Rauchring, den man gegen die Decke bläst.

Indes habe ich noch immer kein einziges graues Haar. Das Enzym Katalase ist in meinen Zellen offenbar noch ausreichend vorhanden und neutralisiert das Wasserstoffperoxid, das somit auch weiterhin keine Chance hat, das Enzym Tyrosinase anzugreifen und so die Aminosäure Methionin zu oxidieren. Diese Molekulardynamik, die zum Ergrauen führt, wurde erst jüngst wissenschaftlich ergründet. Mich würde mehr interessieren, warum man als Mann offenbar eher zur Glatze neigt, wenn man nicht ergraut; und warum Frauen weniger zur Glatze neigen als Männer. Aber auch das nur ganz am Rande. Da meine Haare – ich sagte es schon – mich noch nie glücklich gemacht haben, kann ihr Verlust mich auch nicht sonderlich unglücklich machen.

4 Responses to “Struwwelpläte”

  1. socursu Says:

    Salon FranK? Bei Herrn Nachtigall??? Schön!, war auch lange Zeit der Schnippler meines Vertrauens, also – genau genommen – der meiner Haare; dann wechselte ich irgendwann zu Madam Zazzi und irgendwann war ich es leid, für einen so vergleichweise simplen Akt zwischen 25?? und 40 DM hinzulegen und so habe ich jetzt einen freundlichen mit Hakennase und türkischem Migrationshintergrund gesegneten Deutschen (sorry, den PC-Scheiss musste ich unterbringen) und der bekommt 9 Euro zzgl Tip, er ist glücklich, ich bin’s auch und mein Portemonnaie sowieso.

    Den Glatzen- resp. Haarausfallfaktor bestimmt aber doch der Testosteronpegel, oder? Von daher wären Frauen mit ohne Haare nicht ganz so erstaunlich..

  2. socursu Says:

    Da hab ich mich wohl voll verdribbelt- ohne ohne Haare wahrscheinlich passt eher….

  3. Matta Schimanski Says:

    Wobei mit der Hormonumstellung während der Wechseljahre auch bei Frauen der Testosteronspiegel steigt – und damit auch die Neigung zum (jedoch eher diffusen) Haarausfall. Alopecia senilis halt, aber meist weniger auffallend, wahrscheinlich auch, weil tatsächlich weniger stark.

  4. Günter Landsberger Says:

    Warum sollte einen der Verlust von Kopfhaaren gerade heute unglücklich machen? Wie viele junge Männer lassen sich den Kopf freiwillig ganz oder zumindest kleinstopplig-modisch partiell scheren? Als Glatzkopf ist man doch “in”!
    Erst verschwanden die Geheimräte, alsdann die Geheimratsecken. Und nach den Glatzköpfen die Köpfe.

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