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Rückspiegelei (VIII)

Saturday, 22. November 2008

Als ich noch schlecht bezahlter Gast-Blogger bei Westropolis war, vom 5. April 2007 bis zum 31. August 2008, da dachte ich von Zeit zu Zeit laut über meine persönlichen Erfahrungen mit diesem neuen Medium nach, in insgesamt sieben Rückspiegeleien. Diese Serie setze ich hier fort, in meinem eigenen Haus, das ich am 24. März 2008 bezog und in dem mir niemand mehr den Mund verbieten kann. Der Preis für diese Unabhängigkeit ist schnell ausgerechnet. Das alltägliche Veröffentlichen meiner Kurzprosa wird jetzt nicht einmal mehr mit einem Hungerlohn honoriert. Und die Aufmerksamkeit, die diesen „Gedanken zum Tag in fünf Absätzen” widerfährt, hat sich ebenfalls deutlich reduziert: auf zwei Kommentatoren, die mir von Westropolis her unverdrossen die Treue halten (Matta Schimanski und Günter Landsberger).

Dass ich den faulen Kompromiss aufkündigte, unterm Dach eines Medienkonzerns zu bloggen, dessen im Revier seit Jahrzehnten ihre Monopolstellung behauptenden Printprodukte (Westdeutsche Allgemeine Zeitung, Neue Ruhr Zeitung, Westfälische Rundschau und Westfalenpost) mir in ihrer billigen Mache seit jeher ein Dorn im Auge waren, habe ich trotzdem nie bereut. Die ungefährdete, absolute Dominanz eines solchen Meinungsmachers schien mir immer schon obskur – und das nicht einmal, weil ich vom konkurrenzlosen Einfluss dieses Alleinherrschers eine Manipulation der Stimmung im Revier befürchtet hätte, sondern wegen seiner alle strittigen Fragen unserer endzeitlichen Gegenwart neutralisierenden Gleichgültigkeit. (Im Nachhinein kann man die gescheiterten Versuche der Süddeutschen Zeitung und der taz, wenigstens im Kulturressort in diesem verteufelt wichtigen und höllisch verkommenen Revier einen Fuß in die Tür zu zwängen, gar nicht laut genug loben, haben sie uns doch immerhin gezeigt, dass hier Hopf und Malz verloren sind.)

Warum habe ich mich dann aber für 17 lange Monate auf dieses WAZ-Abenteuer Westropolis eingelassen und dort im Laufe dieser Zeit 362 meist ausführliche, akribisch recherchierte, stets mit eigenen Bildern versehene, gründlich verlinkte Beiträge veröffentlicht? Weil ich der naiven Hoffung aufgesessen bin, einem solchen Konzern könnte wirklich daran gelegen sein, sein journalistisches Selbstverständnis aus Anlass der radikal neuen Publikationsform Internet und via Weblog zu reformieren. Zudem imponierte mir, dass die WAZ Mediengruppe ihren Mitte Februar 2007 gestarteten Versuchsballon ausgerechnet vom Kulturressort aus aufsteigen ließ, bekanntlich nicht gerade ein Schmuckstück ihrer Printmedien. Erst als dann am 29. Oktober 2007 DerWesten online ging, wurde auch mir klar, dass die Kultur gerade deshalb als Experimentierfeld herhalten musste, weil dort inhaltlich wenig anbrennen konnte. Viel schlechter als das, was der Zeitungsleser im Revier aus diesem Haus geboten bekommt, konnten auch die Texte der bei Westropolis versammelten Laienspielschar, größtenteils ohne journalistische Vorbildung, kaum sein.

Dass Westropolis heute immer noch im Netz steht, ist nur damit zu erklären, dass diese Spielwiese kaum Kosten verursacht, gemessen am Zwei-Milliarden-Euro-Umsatz der WAZ Mediengruppe und bei einer Rendite im zweistelligen Bereich. Dass die Investitions-Philosophie der Brost- und Funke-Clans, die das Unternehmen groß gemacht hat, nach wie vor die Geschäftspolitik bestimmt, wird auch bei einer Petitesse wie Westropolis deutlich. Alle Macken und Mucken dieses Portals, von der willkürlichen thematischen Struktur bis zur nie richtig funktionierenden Suchfunktion, wurden nie einer Revision unterzogen. Diese totale Gleichgültigkeit gegenüber allen inhaltlichen und formalen Qualitätsansprüchen kann man sich eben leisten, wenn keinerlei Konkurrenz zu fürchten ist. Den bekannten Satz „Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich’s gänzlich ungeniert!” kann man in diesem traurigen Fall leider noch toppen: „Im Land der Blinden gelten selbst Hühneraugen als sehend.”

Aber ich will nicht undankbar sein, schließlich sind alle meine Westropolis-Beiträge unverändert und mit allen Kommentaren unter der bekannten Adresse nach wie vor online. Dort findet man auch noch meine ersten sieben Rückspiegeleien: (I) Wer seid ihr? Wo bin ich? vom 7. Mai 2007; (II) Blogophilie vom 11. August 2007; (III) No Comments vom 7. Oktober 2007; (IV) Im Garten Eden vom 25. Dezember 2007; (V) Constant Message vom 28. Januar 2008; (VI) Eine nette Spielwiese vom 20. Februar 2008; und schließlich (VII) Exitus gem. §§ 186 und 187 StGB vom 28. Februar 2008. – Dass bei der Suche unterm Stichwort „Rückspiegelei” lediglich die Beiträge IV, V und VII angezeigt werden, ist eins der vielen ungelösten Rätsel, die dieser peinliche Weblog-Friedhof seinen Lesern aufgibt – wie ein orakelnd-paradoxer Grabspruch, in Stein gehauen, à la Timm Ulrichs: „DENKEN SIE IMMER DARAN MICH ZU VERGESSEN.”