Märchen (II)

suzannetamim

Neulich habe ich hier von dem grausamen Mord an der libanesischen Popsängerin Suzan Tamim berichtet, nicht um den blutrünstigen Skandalmeldungen der Weltpresse Konkurrenz zu machen, sondern weil mich an diesem speziellen Fall die Wirksamkeit von Zensurmaßnahmen über die Grenzen eines halbtotalitären Staates wie Ägypten hinweg bis hinein in unsere angeblich doch so freie Medienwelt hinein empörte.

Der Spiegel hatte sich über die Nachrichtensperre mokiert, die dort die Nennung des Namens eines einflussreichen Immobilen-Tycoons unterdrücken wollte. Jener Hesham Talaat Mustafa war in dringenden Verdacht geraten, den Mord an Tamim in Auftrag gegeben zu haben. Peinlich fand ich, dass der Spiegel eine dicke Lippe riskierte, den Namen aber ebenfalls unterdrückte. Inzwischen wurde der Milliardär verhaftet. Und jetzt traut sich auch der Spiegel, seinen Namen zu nennen.

Nicht so die Süddeutsche Zeitung, die heute auf ihrer „Panorama“-Seite unter Berufung auf die Nachrichtenagentur Associated Press meldet: „Kairo – Der Mord an der arabischen [!] Popdiva Susanne [!] Tamim ist aufgeklärt: Die Polizei verhaftete einen der reichsten Unternehmer Ägyptens. Oberstaatsanwalt Abdel Maguid Mahmud sagte, der Mann werde verdächtigt, einem ehemaligen Polizisten zwei Millionen Dollar für die Tat bezahlt zu haben. […] Der festgenommene Unternehmer ist Mitglied der regierenden Nationaldemokratischen Partei und soll für das Kabinett [von Staatspräsident Muhammad Husni Mubarak] in Erwägung gezogen worden sein. Die ägyptische Regierung hatte die Berichterstattung über den Fall untersagt. Mehrere Zeitungen beklagten [sich] daraufhin, die Regierung schütze den Geschäftsmann. Er machte sein Vermögen mit Immobiliengeschäften in der Golfregion. Staatsanwalt Mahmud erklärte, der ebenfalls verhaftete Expolizist sei Tamim nach Dubai gefolgt und habe sie dort ermordet.“ (SZ Nr. 206 v. 4. September 2008, S. 10.)

Von der Bild-Zeitung unterscheidet sich die Süddeutsche dadurch, dass sie die Gelegenheit verstreichen lässt, ihren Lesern zum Frühstück noch einmal die grausamen Details der Tat in Erinnerung zu rufen. Von einem ernst zu nehmenden Nachrichtenmedium unterscheidet sie sich dadurch, dass sie allerlei unterschlägt, was doch unbedingt zur Sache gehört: dass der gedungene Auftragskiller Mahmoud el-Sukkary nach seinem Ausscheiden aus dem Polizeidienst Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes von Hesham Talaat Mustafa war; dass er nach seinem Geständnis im Kairoer Gefängnis selbst auf unbekannte Weise zu Tode gekommen ist; dass der mutmaßliche Auftraggeber des Mordes Beziehungen zur ägyptischen Muslimbruderschaft hat und Mitglied des Schura-Rates, des Oberhauses des ägyptischen Parlaments, ist – und natürlich seinen Namen: Hesham Talaat Mustafa. (Stattdessen wissen die SZ-Leser nun, wie der ermittelnde Oberstaatsanwalt heißt.)

Und einen solchen Artikel setzt die Süddeutsche Zeitung in vollem Ernst unter die Überschrift: „Mord an arabischem Popstar aufgeklärt“! Tatsächlich ist doch bloß durch die Verhaftung des Hesham Talaat Mustafa noch gar nichts aufgeklärt. Auch für ihn gilt bis zur Verurteilung in einem ordentlichen Gerichtsverfahren die Unschuldsvermutung in dubio pro reo. Und alle in diesem Fall wirklich interessanten Fragen wurden noch gar nicht gestellt, geschweige denn beantwortet: Was war das Tatmotiv von Hesham Talaat Mustafa, wenn er denn der Auftraggeber des Mordes an Suzan Tamim war? Was veranlasste die Machthaber in Ägypten, die Berichterstattung über den Mord wochenlang zu verhindern? Wie kann der wichtigste Belastungszeuge, der beauftragte Mörder, kurz nach seinem Geständnis in einem ägyptischen Gefängnis zu Tode kommen? – Und was soll man von einer angesehenen überregionalen Tageszeitung in Deutschland halten, wenn sie hinter den Mord an Suzan Tamim einen banalen Haken setzt, statt mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln des investigativen Journalismus nachzubohren und dem einzigen Geschäft nachzugehen, das ihre Existenz rechtfertigt: der Aufklärung?