Ramadan

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Heute beginnt für die Muslime in Deutschland der Fastenmonat Ramadan. Erstmals haben sich alle annähernd zweitausend Moscheen, vertreten durch den Koordinationsrat der Muslime in Deutschland (KRM), auf einen einheitlichen Termin geeinigt. Mit der Morgendämmerung ist den Gläubigen das Essen und Trinken verboten, ebenso das Rauchen und der Geschlechtsverkehr. Erst nach Eintreten der Nacht darf bis zum 29. September wieder gegessen und getrunken, gequalmt und gevögelt werden.

Nun ist die Dämmerung eine etwas vage zeitliche Bestimmung, wie ja übrigens auch die Begriffe Sonnenauf- bzw. -untergang nicht ohne Weiteres exakte Zeitpunkte definieren. Ist der Sonnenaufgang jener Augenblick, in dem die Sonnenscheibe am Horizont ihr allererstes Licht aufscheinen lässt? Oder meint man mit diesem Begriff den etliche Minuten später eintretenden Zustand, wenn sie mit ihrem ganzen Rund aufgetaucht ist? „Tatsächlich ist der Moment des Aufgangs bei der Sonne definiert als der Moment, in dem die Oberkante der Sonnenscheibe den Horizont überschreitet[,] und unterscheidet sich um etwa 5 Minuten vom theoretischen Wert. Diese Zeitdifferenz, um welche die Sonne früher aufgeht, hängt mit dem scheinbaren Sonnenradius (0,5°) und der astronomischen Strahlenbrechnung (etwa 0,6°) zusammen.“ (Wikipedia)

Solchen Spitzfindigkeiten ist der Koran bewusst aus dem Wege gegangen, indem er den täglichen Fastenbeginn ganz praktisch wie folgt festlegte: „…esst und trinkt, bis ihr in der Morgendämmerung einen weißen von einem schwarzen Faden unterscheiden könnt!“ (Koran, Sure 2, Vers 187.) Im Jahre 1429 islamischer Zeitrechnung, in dem wir leben, stellt der Fadentest die Anhänger dieser Religion hierzulande allerdings vor das Problem, dass sie gewöhnlich in Räumen leben, essen, trinken, rauchen und vögeln, die nächtens künstlich beleuchtet werden. Die Glühbirnen muss man am frühen Morgen also schon ausgeschaltet lassen. Und dann erreicht das Licht der Sonne bei ihrem Aufgang die beiden Fäden nur, wenn die Fenster auf der Ostseite des Hauses liegen.

Aber vielleicht ist das ja auch Haarspalterei und auf solche Differenzen von ein paar Minuten kommt es nicht an. Dennoch scheint mir die Frage angebracht, warum der Prophet gerade zwei Fäden für diese Art Lackmustest auf den Eintritt der Dämmerung vorgeschrieben hat. Es hätten doch auch zwei Würfel oder zwei Kugeln sein können, jeweils schwarz und weiß. Ist es nicht so, dass man deren Unterschiedlichkeit eher bemerkt als die von zwei dünnen Fäden? Und offenbart sich damit nicht eine gewisse Großzügigkeit des Religionsgründers, der seinen Gefolgsleuten noch ein paar Minuten gönnen wollte vor Beginn der harten Askese?

Unmündige Kinder sind übrigens vom Fasten ausgenommen. Die Mündigkeit ist allerdings nicht auf ein bestimmtes Lebensalter festgesetzt, sondern bemisst sich danach, ob der junge Mensch über Unterscheidungsvermögen (mumayyiz) verfügt, wobei jedoch nicht gesagt ist, was er unterscheiden können soll. Mann und Frau? Gut und Böse? – Oder bloß Schwarz und Weiß?

7 Responses to “Ramadan”

  1. Matta Schimanski Says:

    Der türkische Lehrer unserer muslimischen Schüler gibt diesen immer den ganz praktischen Rat: “An wichtigen, an Ausnahmetagen – z. B. wenn Klassenarbeiten geschrieben werden – solltet ihr nicht fasten, damit euer Körper und Gehirn etwas leisten können.” (Das geht aber tatsächlich nur bei Kindern und Jugendlichen.)

    Klingt zunächst einmal gut. Wenn aber vorher etliche Tage lang gefastet wurde, waren viele Schüler schon an diesen nicht wirklich aufnahmebereit und bringen dann bei der Arbeit trotz der Lockerung nicht die erforderliche Leistung. Allerdings fasten nicht alle gleich streng, und die Kleinen sowieso nicht.

  2. Revierflaneur Says:

    Allerdings müssen Tage, an denen – von Schwangeren, Kindern, Reisenden – im Ramadan das Fastengebot gebrochen wird, später nachgeholt werden. Die einzige “Generalabsolution” haben – Soldaten im Kampf!

  3. Matta Schimanski Says:

    Ja, ich weiß, aber ich habe ja hauptsächlich mit Kindern zu tun – die mir jedoch oft erzählen, sie müssten eigentlich noch gar nicht fasten, möchten aber gerne (wohl, weil sie sich dann so erwachsen vorkommen).

  4. Reiner Stock Says:

    Das Kriterium Unterscheidungsvermögen finde ich bei der Beurteilung der Mündigkeit eines Kindes interessant. Kann mir aber nicht vorstellen, welche Art Unterscheidungsvermögen gemeint sein soll.

  5. Günter Landsberger Says:

    Ist mit “Unterscheidungsvermögen” hier nicht ganz einfach – wiewohl ganz formal – das, was wir Verstand, also auch die Fähigkeit zur gedanklichen “Scheidekunst” (Friedrich Schlegel), nennen, gemeint?

  6. Revierflaneur Says:

    Naja, selbst wenn das so wäre und wir somit die Bedeutung des arabischen Begriffs “mumayyiz” mit der des deutschen Wortes “Verstand” gleichsetzen dürften, dann bliebe immer noch die Frage: Wann hat ein Kind in seiner Entwicklung Verstand ausgebildet? Was genau ist mit der Fähigkeit zur gedanklichen “Scheidekunst” gemeint? Welcher Test gibt Aufschluss darüber, ob ein Kind an den Fasten zum Ramadan teilnehmen muss bzw. darf? – An anderer Stelle habe ich ja mal die Auffassung vertreten, dass ich die Taufe von Neugeborenen in der christlichen Kirche für unsittlich halte und den Beitritt zu einer Religionsgemeinschaft, der damit symbolisch vollzogen wird, dem reifen, mündigen, urteilsfähigen Erwachsenen vorbehalten würde. So gesehen ist die Voraussetzung, die der Islam für die Teilnahme am Fasten macht, fortschrittlicher als die Zwangstaufe von wehrlosen Säuglingen im Christentum. Nun wüsste ich gern, wie diese Voraussetzung in der Praxis auszulegen ist. Da helfen spekulative Anwendungen von Termini aus der abendländischen Geistesgeschichte leider nicht weiter. Wir müssten einen Koran- und Islam-Kundigen befragen …

  7. Reiner Stock Says:

    Ich vermute, dass die Festlegung der Fastenfähigkeit bei Kindern ganz pragmatisch gehandhabt wird: Wenn das Kind es ohne Probleme akzeptiert kann es auch fasten.

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