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Stimmt so!

Saturday, 30. August 2008

trinkgeld

Die akribische und scharfsinnige Untersuchung unscheinbarer Einzelheiten und Kleinigkeiten unseres alltäglichen Lebens hat mich schon immer fasziniert. Das scheinbar Nebensächliche und Selbstverständliche unter der Lupe wissenschaftlicher Gründlichkeit zu betrachten, erschien mir oft interessanter als manche weit ausholende Darstellung vermeintlich großer und bedeutender Themen. Eine noch zu schreibende Kulturgeschichte des Schnullers würde mich eher in ihren Bann ziehen als Ratzingers Buch über Jesus von Nazareth.

Jetzt ist zum Preis von 7,90 € eine „Kleine Geschichte des Trinkgeldes“ erschienen, das ja bekanntlich in kleiner Münze entrichtet wird und insofern ein für die Gattung solcher hoch spezialisierten Monographien ideales Sujet liefert. (Winfried Speitkamp: Der Rest ist für Sie! Kleine Geschichte des Trinkgeldes. Stuttgart: Reclam Verlag, 2008.) Der Buchhändler, dem ich zehn Euro für den schmalen Band auf den Zahlteller lege, wäre erstaunt und vielleicht sogar beleidigt, wenn ich die Zahlung mit einem „Stimmt so!“ kommentierte. Vielleicht würde er sich, nähme er dieses Trinkgeld an, sogar eines Verstoßes gegen den festen Ladenpreis im Buchhandel schuldig machen. Dabei ist das hier zu annoncierende Büchlein mir durchaus diesen aufgerundeten Preis wert – und den Service des Buchhändlers, es vorrätig zu haben und mir damit den zweiten Weg zur Abholung nach einer sonst nötigen Bestellung zu ersparen, würde ich ihm gern mit 2,10 € vergelten.

Wenn ich hingegen vom Essener Hauptbahnhof per Taxi nach Hause fahre und der Taxameter in der Messelstraße 7,90 € anzeigt, dann kostet es mich schon einige Überwindung, stur zu bleiben, wenn ich den Zehn-Euro-Schein gezückt habe und auf Herausgabe des Wechselgeldes bestehe. Dabei habe ich mich unterwegs darüber ärgern müssen, dass ich als Fahrgast ungefragt von den peinigenden Klangereignissen eines Radiosenders namens 102.2 Radio Essen belästigt wurde. Wäre ich nicht, wie wir alle, ein Sklave der gesellschaftlichen Konventionen, dann würde ich dem Chauffeur einen Fünf-Euro-Schein in die Hand drücken mit der trockenen Bemerkung: „Stimmt so! Der Rest ist Schmerzensgeld.“ Ich bin schon stolz, wenn es mir gelingt, auf Rückgabe von zwei Euro zu bestehen und durch das lächerliche Trinkgeld von zehn Cent meinen Unmut kundzutun.

Geld regiert die Welt – und der persönliche Umgang mit ihm sagt viel aus über das wirtschaftende Subjekt. Wie ich mit dem Geld umgehe, das ist mindestens so bezeichnend für meinen Charakter wie mein Verhältnis zu meinem eigenen Körper, zu meinen Mitmenschen, zur Sexualität oder zur Kultur. Und das Trinkgeld, das ein anarchisches Randphänomen der klassischen Ökonomie ist, wie die unrentable Spende an den mittellosen Bettler, eine Leerstelle in der sonst lückenlosen Buchführung bürgerlichen Effizienzdenkens, könnte das monetäre Prinzip unseres Wirtschaftslebens vielleicht ad absurdum führen, wenn man es in den Fußstapfen von Ratzingers biographischem Gegenstand unbefangen betrachtete.

Vielleicht sollte ich künftig, um mir die Qual der Entscheidung über die Höhe des Trinkgelds zu ersparen, grundsätzlich immer 30 Cent drauflegen, zur Erinnerung an die 30 Silberlinge des Judas Ischariot?