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Demokratie

Saturday, 09. August 2008

zensur

Ich hätte „die Möglichkeiten diese[s] demokratischen Kommunikationsmodells nicht zu nutzen gewußt“, meint per E-Mail meine Ansprechpartnerin bei Westropolis, indem sie mir mitteilt, dass mein zum 31. August auslaufender Vertrag mit der WAZ NewMedia GmbH & Co. KG nicht verlängert wird. Warum? Weil „wir uns bezüglich Ihres konfrontativen Kommentarstils nicht verständigen konnten“ und „aufgrund der Entwicklung der letzten Wochen“.

Da fällt mir ja ein Stein vom Herzen! Komischerweise erinnert mich die Begründung für diesen Rausschmiss an das Parteiausschlussverfahren gegen Wolfgang Clement. Aber nur ganz von Ferne, nämlich weil in diesem Zusammenhang neulich ein Satz des früheren SPD-Politikers Heinrich Albertz zitiert wurde: „In einer Gesellschaft, die sich demokratisch nennt, wird man sich daran gewöhnen müssen, dass manche den Mund auftun, wenn sie es für richtig halten, und auch Zeitpunkt und Ort ihrer Äußerungen selbst bestimmen.“

Nun konnten sich die Verantwortlichen bei Westropolis offenbar nicht daran gewöhnen, dass einer ihrer Gastautoren immer mal wieder, auch als Kommentator zu fremden Beiträgen, seinen Mund auftat und offen seine unbequeme Meinung sagte, dabei auch die Konfrontation mit anderen Gastautoren und Kommenatoren nicht scheute, insofern die Möglichkeiten dieses demokratischen Kommunikationsmodells nicht bloß nutzte, sondern voll ausschöpfte.

Im Unterschied zu Wolfgang Clement habe ich mich allerdings zu keiner Parteiraison verpflichtet, als ich am 7. August 2007 meinen Honorarvertrag mit der WAZ NewMedia GmbH & Co. KG unterschrieb. Verpflichtet fühlte ich mich ausschließlich meinen eigenen Ansprüchen an journalistische Qualitätsstandards, meinen politischen und ästhetischen Überzeugungen und meinen vertraglich vereinbarten Aufgaben. Dieses Selbstverständnis befremdete offenbar nicht nur die an allerlei Loyalitätsversprechen gebundenen Journalisten der WAZ-Mediengruppe, die hier neben ihrer schweißtreibenden Tätigkeit für die Printmedien noch als Blogger zwangsverpflichtet wurden, sondern auch manchen Leser und Kommentator, der es nicht gewohnt war, für seinen öffentlich gemachten Blödsinn öffentlich Spott zu ernten.

Dass ich schon recht bald, und keineswegs erst in den letzten Wochen, die Grenzen der Möglichkeiten dieses „demokratischen Kommunikationsmodells“ erfuhr, hat mich zwar stutzig gemacht, aber leider nicht zu einem raschen Abschluss dieses Experiments bewegt. Mitte Oktober vorigen Jahres veröffentlichte ich einen kritischen Beitrag über eine Kollegin aus der Galerie der Gastautoren und handelte mir damit einen scharfen Verweis meiner Ansprechpartnerin ein. Dass ich nicht bereits damals das Handtuch warf, sondern meinen Beitrag löschte, ist die einzige Inkonsequenz, die ich mir im Rückblick auf dieses lehrreiche Intermezzo vorzuwerfen habe.

[© Titelbild: Ausschnitt aus dem Schutzumschlag von Simone Barck / Siegfried Lokatis: Zensurspiele. Halle (Saale): Mitteldeutscher Verlag, 2008.]