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Versprechen

Tuesday, 05. August 2008

platzdeserinnerns

Die heroischen Denkmale früherer Jahrhunderte sind nach zwei totalen Kriegen im letzten mindestens in Europa wohl endgültig aus der Mode. Die Bismarcktürme stehen zwar noch immer unschön in der Landschaft herum; und auch Kaiser Wilhelm II., den keiner mehr wiederhaben will, reitet stumm und starr hoch zu Ross vor mancher Kirche und auf manchem Platz, ohne vom Fleck zu kommen. Doch finden an diesen steinernen oder bronzenen Relikten nur noch die Tauben Gefallen.

Wenn heute Denkmäler in den öffentlichen Raum gestellt werden, von der öffentlichen Hand und privaten Sponsoren finanziert, dann ist ihr Thema längst nicht mehr die Heldenverehrung und ihr Motiv kaum die Verkündung einer glorreichen Zukunft. Vielmehr sind’s heute meist Mahnmale, die die wenig glorreichen Folgen solch verblendeter Verehrung in Erinnerung rufen sollen. Und die Künstler, die solche Werke schaffen, arbeiten nicht länger mit Hammer und Meißel, diesen brutalen Werkzeugen eines kreativen Archaikums, in staubigen Ateliers, wie zu Arno Brekers Zeiten. Schlechte Aussichten also für Steinmetzen und Bildhauer aller Art, zumal es auch mit der Sepulkralkultur erkennbar bergab geht. Die anonyme Bestattung in einem namenlosen Gräberfeld erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Dieses Renommiergehabe noch über den Tod hinaus war ja auch wirklich zu albern und keines aufgeklärten Geistes würdig.

Vielleicht ist das, in groben Zügen, der geistesgeschichtliche Hintergrund, vor dem man sich einem neuen „Denkmal“ des Konzeptkünstlers Jochen Gerz nähern sollte, das seit 2007 an der evangelischen Christuskirche in Bochum entsteht, auf dem Platz des europäischen Versprechens. In der 1931 angelegten „Helden-Gedenkhalle“ im Turm dieser Kirche liest der Besucher die Namen der im Ersten Weltkrieg gefallenen Bochumer. Daneben sind in einer zweiten Liste die 28 damaligen „Feindstaaten Deutschlands“ aufgezählt, als sollte in wacher Erinnerung gehalten werden, an wem der Opfertod der Erstgenannten in einem Zweiten Weltkrieg zu rächen sei. (Ganz ging dieses Konzept bekanntlich nicht auf, denn die früheren Feindstaaten Italien und Japan wurden 1940 durch den Dreimächtepakt die wichtigsten Bündnispartner des Dritten Reiches.)

Von diesen Gegebenheiten an historischem Ort inspiriert, lädt Gerz nun „die Bewohner der Stadt [Bochum], des Ruhrgebiets und die Bürger Europas“ dazu ein, „Autoren eines neuen Platzes zu werden. Alle Teilnehmer tragen ihren Namen bei, und jeder Name steht, eingeschrieben in den Platz, für ein Versprechen. […] Das Versprechen gibt jeder nur sich selbst. Es ist geheim und frei. So entsteht ein unsichtbares Manifest aus vielen Stimmen und Kulturen – das neue Europa. Der Platz des europäischen Versprechens entsteht im Auftrag der Stadt Bochum als Beitrag zur Europäischen Kulturhauptstadt Ruhr 2010. Er soll am 31. Dezember 2010, dem letzten Tag des Kulturhauptstadtjahres, der Öffentlichkeit übergeben werden.“

Ich habe mich vor ein paar Wochen mal probehalber an diesem Projekt beteiligt und meinen Namen gestiftet. Heute entdeckte ich ihn dann endlich im unregelmäßig aktualisierten PDF der Versprechens-Homepage (Ausschnitt s. Titelbild). Was ich Europa versprochen habe, verrate ich natürlich nicht, denn Diskretion ist Ehrensache und gehört ja offenbar zum Konzept. Hätten die Teilnehmer sich offen und ehrlich, Wort für Wort zu ihren Versprechen bekennen müssen, wären wohl kaum (bis heute) 6065 Namen zusammengekommen. Versprechen, die man ausschließlich sich selbst gibt, sind wunderbar unverbindlich. Kein Mensch merkt zudem, wenn ich mich bar jedes Versprechens in die Liste eintrage, allein von dem eitlen Wunsch getrieben, meinen Namen auf einem öffentlichen Platz verewigt zu sehen. Und außerdem kommt so nicht raus, dass ich mich beim Aussprechen meines Versprechens im stillen Kämmerlein peinlicherweise versprochen habe. Seither frage ich mich allerdings, ob Jochen Gerz die Doppeldeutigkeit von „versprechen“ intendiert hat. Was wäre eine taugliche Alternative zu diesem ambivalenten Wort gewesen? Gelöbnis! Doch das geht aus oben genannten Gründen ja heute gar nicht mehr.