Archive for August 2nd, 2008

Entschleunigung

Saturday, 02. August 2008

lichtspuren

Selbstbewusster Anachronismus ist das Allheilmittel des frohgemuten Pessimisten gegen die Wunden, die ihm die immer auf Beschleunigung gestellte Kommunikationsturbine unserer Tage mit Klingen Marke Gillette ins wehe Fleisch schlägt.

Ich Ahnungsloser habe für ein Weilchen geglaubt, als Trittbrettfahrer eines Medienkonzerns von der Gunst jener Stunde profitieren zu können, als dessen Chefsesselwärmern der Arsch auf Grundeis ging und sie befürchteten, dass ihnen ihre Leser und Abonnenten vom neuen Medium Weblog weggebaggert würden. Ich habe mich von der Illusion verführen lassen – ungeachtet aller Stupidität der Blätter, durch deren alltägliche Veröffentlichung besagter Konzern, leider nicht nur er, die Wälder dieser Welt auf dem denkbar kürzesten Weg in die blaue Tonne befördert –, meinen bescheidenen Beitrag leisten zu können zu einem künftigen, ressourcenorientierten und zudem demokratischeren Kommunikationsmodell.

Tempi passati! Nach anderthalb Jahren als Gastautor bei Westropolis bin ich schlauer. Die fruchtbaren Erfahrungen, die ich in der Zeit meiner anfänglich blauäugigen Hospitanz gesammelt habe – ich ziehe untertänigst meinen Zylinder – kompensieren allemal das karge Honorar, das währenddessen aus der prallen Kasse des Reviermonopolisten und Meinungsmachers auf mein darbendes Konto floss.

Nun gilt es, auf die Bremse zu treten und Schritt für Schritt, ich habe ja schließlich die nötige Muße für eine gediegene Reflexion des lehrreichen Intermezzos, die Höhen und Tiefen dieser Erfahrung Revue passieren zu lassen – zumal ich der Flüchtigkeit und Vergesslichkeit des neuen Mediums ein Schnippchen geschlagen und alles Geschehene sorgfältig dokumentiert habe. (Auf die Cache-Funktion von Google habe ich mich nur einmal, ein entscheidendes Mal zu viel verlassen.)

Und was das Schönste ist: Ich habe zu diesem Recycling vorbeigehuschter Abfälle des Medienspektakels alle Zeit der Welt. Der Undercover-Agent ist über die grüne Grenze entwichen und hat seine Tagebücher, nahezu lückenlos geführt, mit sich genommen. Ob es jemanden interessiert, interessiert ihn immerhin am Rand; denn am Rande hausen jene, denen die Mitte längst schon fremd geworden ist. Und auf diese Marginalisierten kommt es vielleicht irgendwann, vielleicht schon bald in Zeiten der Beschleunigung einmal an.

Vorlesenachlese

Saturday, 02. August 2008

polgarsoiree

Das war’s also wieder einmal, der Polgar-Abend liegt hinter mir. Immerhin ertrugen die 18 Gäste ohne zu murren eine gleiche Zahl von Texten, drei Stunden reine Vorlesezeit. Keiner brach vorzeitig auf. Die Erheiterung war gelegentlich überbordend, wie man wohl sagt. An einigen Stellen, an denen ich Lacher erwartet hatte, kamen sie nicht – weil Polgars Humor oft so fein ist, so listenreich versteckt in seinen mit harter Punze ziselierten Sprachkunstwerklein, dass er beim notwendig flüchtigeren Zuhören, im Unterschied zum gemächlicheren Selbstlesen, dann und wann bei aller Liebe und Mühe des Vorlesers unbemerkt auf der Strecke bleiben muss.

Der Meister selbst war skeptisch, ob seine Prosa zum Vortrag tauglich sei. In einem Bericht über sein Debut als Vorleser eigener Texte zitiert er eine kleine „Stegreifrede“, die er zu diesem Anlass gehalten hat: „Ich lese heute zum erstenmal öffentlich, lege vor Ihnen meine Jungfernschaft als Vorleser ab. Obwohl mir die gute Mutter alles gesagt hat, was da bevorsteht und daß es ganz ohne Schmerzen nicht abgehe, bin ich doch ein wenig unsicher. Erstens, weil ich nicht weiß, ob, was ich schreibe, überhaupt zum Vorlesen taugt – das Beste liegt in der Luft zwischen den Zeilen, und wenn es nicht gelingt, diese Luft mitschwingen zu machen, bekommen Sie gewissermaßen nur die schlechtere Hälfte des Textes zu hören – und zweitens, weil ich nicht weiß, ob ich für mein Geschriebenes der richtige Sprecher bin, ob ich ihm als Vorleser vielleicht eher schade als helfe oder am Ende keines von beiden, und dann die komische Figur eines Reiters mache, der neben seinem Pferdchen herläuft.“ (Alfred Polgar: Vorleser; zuerst in Berliner Tageblatt v. 26. April 1928; hier zit. nach Kleine Schriften. Bd. 3: Irrlicht. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1984, S. 380.)

Diese Bedenken musste ich als Routinier beim Vorlesen nicht haben – eher schon Sorge tragen, dass mir mein Gaul unterwegs durchgehen würde, den ich in wochenlanger Arbeit für diesen weiten Ausritt präpariert hatte: gehätschelt, gefüttert, gestriegelt und gesattelt. Wenn das gelegentlich auf abschüssigem Gelände doch einmal geschah, dann gelang mir immerhin, bei aller Bescheidenheit sei’s gesagt, ihn mit ein paar sanften Ermahnungen wieder auf den goldenen Mittelweg zurückzubringen.

Nachher, wie üblich, fiel mir all das ein, was ich zu Polgar, seinen Lebens- und Schaffensumständen, seiner tragischen Verkanntheit und einsamen Größe noch hätte sagen müssen. Bis vier Uhr in der Frühe wälzte ich mich in den Federn und suchte vergeblich nach Entschuldigungen für diese unentschuldbaren Unterlassungssünden – während meine Gäste derweil längst, hoffentlich beseligt, in Morpheus’ Armen ruhten.

Schließlich schlief ich dann doch irgendwann ein. Das geschah vermutlich, als mir jener aus dem Pausengeplaudere der Zuhörer aufgeschnappte Kommentar durch den Sinn ging, dieser Polgar sei wohl in seiner Zeit gewesen, was etwa ein Dieter Nuhr für heute ist. Polgar beschließt seinen erwähnten Aufsatz mit den Worten: „Es wäre mir peinlich, wenn Sie von diesem Abend sagten: ,Heute war ich zweimal bei einer Vorlesung des P.: zum ersten- und zum letztenmal.‘“ Auch mir wäre dies peinlich – aber nur dann, wenn ich Talent zum „Fremdschämen“ hätte.

[Photographie: David Porsch.]