Archive for June 1st, 2008

Gizeh (VI)

Sunday, 01. June 2008

ei

Jetzt mal endlich runter von der Pyramide! Denn eigentlich geht es mir ja hier gar nicht in erster Linie um ein paar relativ neue Kritzeleien im alten Ägypten und den Niederschlag, den sie bei Gerard de Nérval, Gustave Flaubert und Victor Hugo (und vielleicht auch bei Vladimir Nabokov) gefunden haben, sondern um etwas weitaus Grundsätzlicheres: um die vermeintliche oder tatsächliche Entweihung eines mit Bedeutung aufgeladenen Ortes durch eine vermeintlich oder tatsächlich triviale Inschrift. Es geht um die junge Schrift auf dem alten Stein. Es geht um das Recht oder Unrecht der Gegenwart gegenüber der Vergangenheit.

Heute möchte ich daran erinnern, dass vor genau 40 Jahren, im wildbewegten Mai 1968, in der Hansestadt Hamburg für genau 17 Tage der erste Graffiti-Künstler Deutschlands auftrat. Sein Name: Peter-Ernst Eiffe. Über diesen „Hofnarren der APO“ hat Peter Schütt vor auch schon wieder zwölf Jahren in der Zeit ausführlich Bericht erstattet.

Schütt ist berühmt geworden, weil er sich den Spruch „Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren“ ausgedacht hat. Dieser eingängige Slogan, der in den folgenden Jahren geradezu ein Kernsatz der 68er-Bewegung wurde, stand dann auf einem schwarzen Transparent, mit dem Schütts Kommilitonen Gert Hinnerk Behlmer und Detlev Albers im November 1967 die feierliche Rektoratsübergabe an Werner Ehrlicher in der Universität der Hansestadt störten. (Albers ist übrigens zufällig gestern in Bremen verstorben.) Über seine erste Begegnung mit Eiffe schreibt Schütt:

„Das war im Anschluß an die studentische Vollversammlung, die der Sprengung der Rektoratsfeier am 9. November 1967 folgte. Ich war am Vorabend festgenommen worden, weil ich mit Pinsel und Farbeimer versucht hatte, am Bauzaun der Universität eine Losung anzubringen: ,Ehrlicher wird immer entbehrlicher.‘ Zwei Zivilfahnder hatten mir das Handwerkszeug aus der Hand genommen und mich zur Wache gebracht. Eiffe kam auf mich zu und begann, auf mich einzureden: ,Das müßt ihr anders machen! Eimer und Pinsel sind Schnee von gestern! Ich habe die modernen Waffen der Kulturrevolution …‘ Und er öffnete seine Aktentasche und zeigte mir – eine Spraydose und etliche Filzstifte. Technische Neuheiten!“ (Peter Schütt: Wer hat in Deutschland die ersten Graffiti gesprüht? In: Die Zeit Nr. 12 v. 23. März 1995, S. 95.)

Mittlerweile ist ganz Deutschland dank dieser technischen Neuheiten mit Kritzeleien (Tags) und Malereien (Graffiti) überzogen, längst nicht mehr nur auf Bauzäunen, sondern auf jeder nur denkbaren Außenfläche der Stadtlandschaft. Je schwerer erreichbar die Malgründe sind, desto größer ist der „Fame“, den die wagemutigen Sprayer in der Szene für sich verbuchen können. Bis heute Morgen Punkt zehn Uhr triumphierte z. B. die schwarze Inschrift „EI“ auf der Weißblechrotunde, die den Turm des Essener Karstadt-Hauses krönte (siehe Titelbild). Dann brach das historische Bauwerk in sich zusammen. Ich habe anderswo mal gerätselt, was dieses „EI“ uns eigentlich sagen wollte. Offenbar war der anonyme Künstler in der luftigen Höhe von 35 Metern bei der Vollendung seines Werkes gestört worden. Jetzt weiß ich, was er schreiben wollte: EIFFE.