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Thursday, 08. May 2008

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Meinung

Thursday, 08. May 2008

„Un des droits le plus précieux de l’homme“ – eines der kostbarsten Rechte des Menschen: In diesen würdevollen Rang erhob die französische Nationalversammlung am 26. August 1789 in Artikel 11 der Déclaration des Droits de l‘Homme et du Citoyen das Recht auf Meinungsfreiheit, genauer: die freie Äußerung von Gedanken und Meinungen („la libre communication des pensées et des opinions“).

Bis zum heutigen Tag ist die Verwirklichung dieses kostbaren Rechtes ein Ideal geblieben, nicht nur in totalitären Staaten wie Kuba, wo heute in den Mittagsstunden das regimekritische Weblog „Generation Y“ der mutigen Yoani Sánchez vorübergehend vom Netz genommen wurde, sondern auch in Deutschland, wo der Innenminister zur gleichen Zeit drei rechtsextreme Vereine im ostwestfälischen Vlotho wegen Leugnung des Holocaust verboten hat.

Das Grimm’sche Wörterbuch unterscheidet gleich zehn verschiedene Bedeutungen des Wortes „Meinung“. Als Hauptbedeutung durchgesetzt hat sich nur die vierte, als „auffassung die einer von etwas hat; bestimmte, auf kenntnis und erwägung gegründete ansicht über etwas“. Meine Meinung über die beiden zufällig gleichzeitig erfolgten Beschränkungen der Meinungsfreiheit habe ich mir gebildet, indem ich mich mit allen mir in dieser „Offenen Gesellschaft“ (Karl Popper) zugänglichen Informationsmitteln einerseits über Kuba, andererseits über den Genozid an den Juden unterrichtet habe. Die dadurch erworbenen Kenntnisse erwog ich bei meiner Meinungsbildung und gelangte so zu der Ansicht, dass die Klagen von Yoani Sánchez über die Zustände in ihrer Heimat berechtigt, die Leugnung des Holocaust hingegen schlichtweg Nonsens ist.

Es besteht nach meiner Meinung also ein gravierender Unterschied zwischen der Unterdrückung der Meinung von Yoani Sánchez in Havanna, die beklagt, dass es in Kuba keine Zitronen zu kaufen gibt, und der von Ursula Haverbeck-Wetzel in Vlotho, die behauptet, die planvolle Ermordung von sechs Millionen Juden sei ein Mythos und Adolf Hitler „nur von einem göttlichen Auftrag im weltgeschichtlichen Rahmen“ her zu verstehen. Und doch! Mag dieser Unterschied so groß sein wie er will, mag Frau Sánchez meine tief empfundene Sympathie gelten und Frau Haverbeck-Wetzel meine ebenso tief empfundene Verachtung – das Verbot des rechtsextremistischen Vereins „Collegium Humanum“ (sowie dessen Teilorganisationen „Bauernhilfe“ und des „Vereins zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten“), dieses Vereinsverbot bleibt doch nach meiner Meinung eine Verletzung des kostbaren Rechts auf freie Meinungsäußerung.

Begründet wird Schäubles Maßnahme mit dem Vorwurf der „Volksverhetzung“, einem Straftatsbestand, der in § 130 des StGB definiert wird. Was soll man aber von einem Volk halten, das sich verhetzen lässt, statt sich eine Meinung zu bilden, die sich auf Kenntnis und Erwägung gründet und nicht auf bloße Affekte und niedere Beweggründe? Gewiss empfinden die kubanischen Machthaber das Weblog von Yoani Sánchez ebenfalls als „Volksverhetzung“. Die Klage über den Mangel an Zitronen kann ja durchaus interpretiert werden als „geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören“, indem sie „zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt“, in diesem Fall gegen die 15 Prozent der erwachsenen kubanischen Bevölkerung, die der Partido Comunista de Cuba angehören. Solange eine „Offene Gesellschaft“ zu den gleichen Mitteln greifen muss wie eine despotische Diktatur, solange bleibt das kostbare Recht auf freie Meinungsäußerung ein uneingelöstes Ideal.