Archive for May 6th, 2008

Banane und Zitrone

Tuesday, 06. May 2008

baanane-und-zitrone

„¿Qué hago yo ahí?“ – Was habe ich nur hier zu suchen? Das fragte sich Yoani Sánchez (32), nachdem sie entdeckt hatte, dass sie vom US-amerikanischen TIME magazine auf eine soeben erschienene Liste der „100 einflussreichsten Leute der Welt“ gesetzt worden war. Einen gewissen Stolz empfinde sie lediglich darüber, dass sich vermutlich jetzt die übrigen 99 „World’s Most Influential People“, vom Dalai Lama bis zu Muqtada as-Sadr, eine ganz ähnliche Frage stellen würden: „Wer ist diese unbekannte kubanische Bloggerin, die uns hier Gesellschaft leistet?“ Ansonsten übte sich Sánchez in Bescheidenheit. Sie habe sich doch nie in Szene gesetzt, selbst ihre engsten Nachbarn wüssten nicht, ob sich ihr Vorname nun Yohani oder Yoanis schreibe, sie sei nur eine einfache Bürgerin und keine Heldin oder Pionierin und ihr Ziel sei lediglich, die Wahrheit zu erzählen, wie sie ihr aus ihrem „verdrehten Blickwinkel“ („distorsionado foco“) erscheine, ausgehend von ihren Gefühlen und von den Fragen, die sich ihr dabei stellten.

Yoani Sánchez, die einige Jahre in der Schweiz gelebt hat, bis sie das Heimweh packte und sie wieder nach Kuba zog, berichtet in ihrem Weblog vom alltäglichen Leben auf Kuba: von der Mangelwirtschaft, der Armut, den vielfachen Einschränkungen und Behinderungen, den desolaten Verhältnissen im gescheiterten Sozialismus, nach einem halben Jahrhundert Castro-Diktatur. Ihre Beiträge erscheinen nicht in täglicher Regelmäßigkeit, aber oft gleich mehrere pro Tag. Sánchez schreibt „auf Vorrat“, denn sie hat keinen eigenen Internet-Account und setzt ihre Postings deshalb schubweise in einem Touristenhotel ab, für fünf Euro pro Stunde, dem durchschnittlichen Halbmonatslohn eines Kubaners. Da sage noch einer, man könne mit der Bloggerei kein Geld verdienen!

Die Resonanz lässt sich sehen, Kommentarzahlen im vierstelligen Bereich sind eher die Regel als die Ausnahme. Sánchez beweist Mut mit ihrer offenherzigen, unverblümten Kritik der Zustände in ihrer Heimat. Mittlerweile ist sie aber vermutlich zu bekannt, als dass es sich das Regime noch ohne weiteren Imageverlust leisten könnte, sie vom Netz zu nehmen – erst recht nach ihrer Nobilitierung durch das TIME magazine. Weblogs erweisen sich so als die modernste Variante des Samisdat. Der Reiz des Verbotenen sorgt für gesteigertes Interesse. Und dass Zensur in einer multimedialen Welt grenzüberschreitender Massenkommunikation keine wirkliche Chance mehr hat, ist ja spätestens nach Honeckers Sturz und dem Untergang der DDR evident. Die Unzufriedenheit, die das allabendliche Programm des Westfernsehens mit seiner Werbung für die kommerziellen Segnungen des Kapitalismus unter den bevormundeten Bürgern der „ersten sozialistischen Republik auf deutschem Boden“ gesät hatte, war schließlich selbst in einem totalitären Stasi-Überwachungsstaat nicht mehr kontrollierbar. Das Volk wollte Bananen!

Eine kleine, aber feine Ironie der Geschichte ist insofern, dass es auch in Yoani Sánchez’ Blog jüngst um exotische Früchte ging. Die Bloggerin aus Havanna verspürte ein Kratzen im Hals und hätte so gern schwarzen Tee mit Zitrone getrunken. Zitronen waren aber auf allen Märkten und in allen Läden der Zwei-Millionen-Stadt Havanna beim besten Willen nicht aufzutreiben. „Wie kann das sein,“ so fragt Sánchez mit Todesverachtung, „dass so viel fruchtbare Erde, so viele Menschen willens zu produzieren, zu handeln und zu verkaufen sich nicht mit einem reichlichen Angebot an Zitronen auf dem Markt kombinieren lassen? […] Wann wird der Boden denen gehören, die ihn bearbeiten und nicht einem Staat, der ihn nur halbherzig in seinen verwahrlosten Latifundien benutzt? Soll ich weiter hoffen oder mich damit begnügen und den Geschmack von Zitronen vergessen?“

Erich Honecker rutschte schließlich auf einer Banane aus – fiel hin und brach sich das Genick. In Goethes Roman Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795/96) gibt es das bekannte Gedicht, das anhebt: „Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn“ – und darin diese letzten Zeilen stehn: „In Höhlen wohnt der Drachen alte Brut, / Es stürzt der Fels und über ihn die Flut: / Kennst du ihn wohl? / Dahin! Dahin / Geht unser Weg; o Vater, lass uns ziehn!“