Sozialskandal

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Wieder mal ist ein Hartz-IV-Skandal ruchbar geworden. Die Süddeutsche Zeitung (Nr. 71, S. 5) berichtet heute von einer Familie mit neun Kindern, die knapp zwei Jahre lang durchschnittlich 3846,38 Euro monatlich von der Bundesagentur für Arbeit erhalten habe, weil der Vater arbeitslos war. BILD hatte das bereits gestern gemeldet und diesen Zustand „unfassbar“ genannt.

Für BILD ist das Thema arbeitsloser Schmarotzer, Parasiten und Sozialbetrüger bekanntlich ein Dauerbrenner. Fotos von fröhlich grinsenden Arbeitsscheuen, die auf Kosten ehrlicher, schwer schuftender Niedriglohnempfänger alle Viere von sich strecken und gar noch Urlaub in der Karibik machen – damit lassen sich schlichte Gemüter in Wallung bringen.

Für mich als Vater von „nur“ fünf Kindern ist zwar nicht gleich „unfassbar“, aber doch immerhin schwer vorstellbar, wie elf Personen eines Haushalts mit knapp 4000 Euro monatlich zwei Jahre lang über die Runden kommen konnten. Aber mit dieser auf Erfahrung gegründeten Einschätzung stehe ich auf verlorenem Posten, machen doch Familien mit mehr als drei Kindern in Deutschland kaum ein Prozent aller Bedarfsgemeinschaften aus.

Zu wünschen wäre ein investigativer Journalist, der sich an Ort und Stelle darüber unterrichtet, wie das Leben dieser bedauernswerten Großfamilie in den vergangenen zwei Jahren tatsächlich ausgesehen hat und auf Heller und Pfennig vorrechnet, dass der nur auf den ersten Blick beeindruckend hohe Haushaltsetat gerade einmal zum Allernötigsten gereicht haben kann. Aber wen interessiert das schon?

Wenn etwas unfassbar ist, dann der leichtfertige Missbrauch substanzloser, abstrakt bleibender Zahlen durch die Medien, die damit Meinungen nicht bilden helfen, sondern bestehende Vorurteile zementieren.

3 Responses to “Sozialskandal”

  1. Matta Schimanski Says:

    Ich stimme auf ganzer Linie zu!

    Neulich unterhielt ich mich mit einer Dame, die meinte, BILD sei zwar eine verabscheuungswürdige Zeitung, doch würden die Leute, die sie lesen, immerhin ETWAS lesen, und das sei doch besser als nichts.

    Das kann ich nicht so sehen. Ich bin eine strikte Verfechterin des Lesens, aber wenn Lesen bedeutet, den Kopf mit lauter Mist zu füllen – dann doch lieber bleiben lassen!

  2. Bernd Berke Says:

    Arbeite mich gerade durch jede Menge Bücher über “1968” hindurch. Allzu viel hat sich seither bei “Bild” nicht geändert, jedenfalls nicht in der “Substanz” (die eh nie vorhanden war). Gut bezahlte Redakteure regen sich dort immer wieder gern über “Sozialschmarotzer” auf – am liebsten unter Zeilen nach dem Muster “Deutschlands faulster Hartz-Empfänger”. Übrigens gehört das Ganze letztlich nicht in ein “Journal intime”, sondern es gehört weithin ausgerufen.

  3. Reiner Stock Says:

    Wenn man mal kalkuliert, dass knapp die Hälfte für die Miete drauf geht plus Strom, plus Telefon, … dann denke ich dass jedes Familienmitglied unter 100€ pro Monat für Essen und Kleidung und die anderen “Kleinigkeiten” für Schule, Beruf usw. zur Verfügung hat.

    Da kann die Familie täglich fürstlich Spaghetti mit Tomatensoße essen!

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