Archive for the ‘Zeitsprünge’ Category

Mittwoch, 5. Juni 1968: 34°3′ N, 118°15′ W

Tuesday, 11. November 2008

Der Tag war gerade fünf Minuten alt, als ein aus christlichem Elternhaus stammender, 24 Jahre alter Palästinenser namens Sirhan Bishara Sirhan in der Kaltküche des Ambassador Hotel in Los Angeles aus seinem Iver-Johnson-Revolver .22 caliber Cadet 55-A alle acht Kugeln abfeuerte und mit den ersten drei den Präsidentschaftskandidaten der Demokraten, Robert F. Kennedy, lebensgefährlich verletzte. Kennedy starb trotz aller ärztlichen Bemühungen 26 Stunden später im Krankenhaus.

Das politisch motivierte Attentat ist ein tragisches „Markenzeichen” des vergangenen Jahrhunderts und hat dessen Verlauf nicht unwesentlich beeinflusst, ganz gleich, ob die Anschläge auf das Leben von mächtigen Entscheidungsträgern nun „glückten” oder scheiterten. Hätte Adolf Hitler am 8. November 1939 nur eine Viertelstunde länger im Münchner Bürgerbräukeller verweilt, dann wären vielleicht durch Georg Elsers Bombe Millionen unschuldige Menschenleben gerettet worden. Und hätte Sirhans Pistole im Ambassador versagt, dann wäre der erst 42-jährige Robert F. Kennedy vielleicht statt Richard M. Nixon zum 37. Präsidenten der USA gewählt worden, der Vietnamkrieg wäre sieben Jahre früher beendet worden und infolgedessen hätten 30.000 US-Soldaten und weit mehr als eine Million Vietnamesen nicht unnötig ihr Leben lassen müssen.

Dass die mörderische Tat eines einzelnen Menschen, wenn er nur den „Richtigen” zum günstigsten Zeitpunkt niederstreckt, für Millionen Menschen so folgenreich sein kann, ist für viele Zeitgenossen nicht hinnehmbar. Darum ranken sich um die berühmten Attentate des 20. Jahrhunderts regelmäßig Verschwörungstheorien, die zu beweisen suchen, dass hinter den oft unbedarften Wirrköpfen mächtige Drahtzieher am Werke waren. Hinter dem Anschlag des Türken Mehmet Ali Ağca auf Papst Johannes Paul II. wurden beispielsweise die sowjetischen Geheimdienste KGB und GRU und der Staatssicherheitsdienst der DDR vermutet. Auch Lee Harvey Oswald, der Mörder von John F. Kennedy, konnte nach der festen Überzeugung solcher Skeptiker nicht mehr als ein „Sündenbock” gewesen sein. Sie brachten wahlweise Kennedys Vize und Nachfolger Lyndon B. Johnson, die CIA, die Mafia, Fidel Castro oder US-amerikanische Privatbankiers als Hintermänner des Attentats ins Gespräch. Und regelmäßig stecken in diesen und ähnlichen Fällen immer die Ermittlungsbehörden und Gerichte mit den vermeintlichen Verschwörercliquen unter einer Decke.

Ich halte von all diesen bestrickend zusammenfabulierten Theorien, was ihren Wahrheitsgehalt betrifft, grundsätzlich nichts, lese sie aber dennoch gern, als Liebhaber phantasie- und liebevoll erzählter „moderner Märchen”. Schließlich sind sie ja auch bedeutend interessanter und geheimnisvoller als die tristen Geschichten nichtssagender Einzeltäter, deren Motive angesichts der Folgen ihrer Taten so furchtbar kümmerlich erscheinen.

Wenn es aber eine Lektion für die Zukunft gibt, die uns die Attentate der vergangenen hundert Jahre erteilen, dann ist es die beängstigende Einsicht, dass auch der bestgeschützte Politiker in der „Freien Welt” und „Offenen Gesellschaft” kaum gegen einen Mordanschlag durch einen entschlossenen Einzeltäter zu schützen ist. Offen gestanden hat es mich insofern überrascht, dass Barack Obama den fast zwei Jahre währenden Wahlkampf bis zu seiner erfolgreich errungenen Präsidentschaft wohlbehalten überstanden hat.

Montag, 16. Juli 1945: 33°40′ N, 106°28′ W

Friday, 19. September 2008

Das Ereignis hat wohl keinen seiner 260 Augenzeugen unbeeindruckt gelassen. Einige lachten, einige weinten. Die meisten schwiegen. Aber keiner würde es je vergessen können. Dass es stattgefunden hatte, sollte der Rest der Menschheit erst drei Wochen später erfahren. Bis dahin wurde das Ereignis vor der Öffentlichkeit als ein Unfall kaschiert, die bedauerliche Explosion eines Munitionsdepots in der Wüste von New Mexico.

Das Experiment „glückte” – wenn man in diesem Fall von Glück sprechen will. Die zur Entfaltung kommende Zerstörungskraft übertraf um ein Vielfaches alles, was der Mensch bisher auf dem Weg von der Steinschleuder bis zur V2 an Mordwerkzeugen ersonnen hatte. Zwei Milliarden Dollar Steuergelder hatten die Vorbereitungen verschlungen. Nun musste die Bombe auch zum Einsatz kommen, um sich bezahlt zu machen.

Die Augenzeugenberichte der Wissenschaftler, die die Wirkung der neuen Waffe berechnet hatten, machen den naiven Leser noch heute schaudern. Diese Mischung aus Erleichterung und Entsetzen, die aus ihnen spricht, sollte zu denken geben. „Ich glaube, einen Augenblick lang dachte ich, die Explosion könnte die ganze Atmosphäre in Brand setzen und so der Welt ein Ende bereiten, obwohl ich wußte, daß das nicht möglich war.”

Emilio Segrè, der italienische Physiker und spätere Nobelpreisträger, der als Jude 1936 zur Emigration aus dem faschistischen Italien gezwungen wurde, seit 1943 als Gruppenleiter am Manhattan-Projekt des Los Alamos National Laboratory mitwirkte und den ich hier zitiere, bewahrte sich bei aller mathematisch-physikalischen Gewissheit jenen Rest irrationalen Zweifels, der vielleicht den besseren Teil unseres begrenzten Verstandes ausmacht.

Gerade einmal 63 Jahre nach dem Experiment bei Alamogordo im US-Bundesstaat New Mexico spielen Prometheus’ Urenkel in der Nähe von Genf wieder einmal Russisches Roulette. Der Large Hadron Collider, den die Physiker dort jüngst in Betrieb genommen haben, ist ebenfalls nicht mehr zu stoppen, hat er doch stolze drei Milliarden Euro Steuergelder verschlungen. Diesmal geht es nicht um den beschleunigten Endsieg über die „Japsen”, sondern um die Sicherung des Energiebedarfs der nach wie vor exponentiell wachsenden Weltbevölkerung. Das kontrollierte „Schwarze Loch” könnte ja vielleicht die Trumpfkarte gegen das bevorstehende Versiegen der Ölquellen sein. Die Bedenken gegen diesen neuesten Eingriff in die Gesetze der Schöpfung werden wie üblich als sektiererische Nörgeleien ins Abseits befördert – und Beschwerden beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strasbourg eilends abgewiesen. Probieren geht über Studieren? Na, ich weiß nicht.

[Die Fakten und Zitate zum Trinity-Test sind entnommen aus Richard Rhodes: Die Atombombe oder Die Geschichte des 8. Schöpfungstages. A. d. Am. v. Peter Torberg, Karl Heinz Siber, Johannes Bohmann, Herbert Allgeier, Uda Strätling u. Ulrike Bischoff. Nördlingen: Greno Verlagsgesellschaft, 1988. – Das Titelbild zeigt Robert Oppenheimer unterm weißen Cowboyhut und rechts neben ihm General Leslie Groves am Ground-Zero-Punkt des Trinity-Tests nach der Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki.]