Archive for the ‘Yggdrasil’ Category

Eschenwelt

Monday, 26. January 2009

Die besagte Esche hinterm Haus ist längst nicht mehr schneebestäubt, der Himmel wieder blau – und die Sonne lässt das winterfeste Gewächs im Vordergrund und das Nadelgehölz ringsum grün aufleuchten.

Die Esche, „meine” Esche, steht aber nackt da und wird noch für viele Wochen so sein. Wie überstehen die entlaubten Bäume dieser Art bloß die kalte Jahreszeit? Wenn sie es mir verraten könnten, hätte ich wohl einiges von ihnen zu lernen.

Aber auch als stummes Monument der Winterschläfrigkeit ist Yggdrasils täglicher Anblick für mich mehr als ein unlösbares Rätsel. Umso mehr, als es, das Bäumchen, nun seine Hoffnung auf einen neuen Blattaustrieb richten kann.

Sind Bäume männlich oder weiblich? Ich bin überzeugt, dass „der Baum” ein grammatischer Missgriff der deutschen Sprache ist. Selbstredend müsste es „die Bäumin” heißen, oder gar „die Baum”. Der Kaktus, ja, das mag hingehen.

Bei den spezielleren Namen der einzelnen Baumarten ist die Sprache klüger: die Pappel, die Birke, die Tanne, die Buche, die Fichte, die Zeder, die Eiche, die Kastanie, die Linde, die Ulme, die Eibe, die Erle, die Kiefer – und eben auch die Esche. (Lediglich der Ahorn tanzt aus der Reihe, als bemerkenswerter Sonderfall.)

Weltenesche

Wednesday, 10. December 2008

Ich bin geboren und lebe an einem Ort, der seinen Namen von der Esche (Fraxinus) herleitet. Auf dem langen Weg von Astnithi über Astnide, Astnidum, Astanidum, Asbidi, Asnid, Assinde, Asnida, Assindia, Essendia, Esnede, Essende und Essend entstand im Verlaufe von 1150 Jahren der heutige Stadtname: Essen.

Der Zufall will es, dass hinter dem Haus, in dem ich seit vier Jahren wohne, zwischen anderen Bäumen auch eine Esche wächst [siehe Titelbild]. Von meinem Arbeitsplatz aus, an dem ich dies schreibe, sehe ich sie täglich. Die Beobachtung der langsamen Veränderungen ihres Erscheinungsbildes im Wechsel der Jahreszeiten hat eine beruhigende Wirkung auf mich.

Zweimal im Jahr beschleunigen sich diese Veränderungen: im späten Frühjahr, wenn sie als letzte unter ihren Nachbarn ihr Laub austreibt; und im Herbst, wenn der Blattfall einsetzt. Extreme Wetterverhältnisse wie der Orkan Kyrill, der am 18. und 19. Januar vorigen Jahres in Mitteleuropa große Verwüstungen anrichtete, hat auch „meiner” Esche arg zugesetzt und einige kräftige Äste abgebrochen, deren Stümpfe noch heute an dieses Ereignis erinnern.

Dass der Baum Yggdrasil der nordischen Mythologie, der in seiner Riesenhaftigkeit das gesamte Weltgebäude darstellen soll, ebenfalls eine Esche war, könnte meiner nüchternen Kontemplation bei Betrachtung dieses Baumes noch ein spirituelles Element hinzufügen, wenn ich für dergleichen aufgeschlossen wäre. Immerhin berührt mich aber die symbolische Dreigliederung der Weltenesche, deren Baumkrone, Stamm und Wurzeln Himmel, Erde und Unterwelt darstellen.

Regelmäßig fotografiere ich die Esche hinterm Haus, immer vom gleichen Standort aus. Wenn ich die vielen hundert Fotos per Mausklick über meinen Monitor rauschen lasse, dann ergibt sich daraus eine Art Film, der den Lebenswandel des Baums im Zeitraffer erfahrbar macht. Ein Stummfilm übrigens, was dem Baum gerecht wird, denn die Geräusche, die von ihm ausgehen, das Rauschen der Blätter und das Knarzen der Äste, sind ja nicht eigentlich seine, sondern die des Windes, der sie hervorruft; und zumal der Baum sie selbst ja nicht hören kann.

[This posting is dedicated to Stan Brakhage (1933-2003), ingenious master of independence film.]