Sonntag, 1. Januar 2012

So verschieden die Jahresrückblicke auf 2011 ausfallen mögen und so unterschiedlich die gesetzten Akzente je nach Format und Perspektive sind, so einig sind sich die journalistischen Chronisten doch in einem Punkt: dass das vergangene Jahr durch eine außergewöhnlich hohe Ereignisdichte aus der Reihe fällt. Heribert Prantl bringt es in der SZ so auf den Begriff: „Aus diesem Jahr hätte man drei Jahre machen können; oder vier, oder noch mehr. Das Jahr 2011 war ein Jahr, in dem im März schon so viel passiert war, wie sonst im Dezember noch nicht passiert ist. Es war ein Jahr, in dem die Ereignisse sich überschlugen.“ (Das atemlose Jahr; in: Süddeutsche Zeitung Nr. 302 v. 31. Dez./1. Jan. 2011/12, S. V2/1.) Diese Betrachtungsweise unterstellt allerdings, dass hierbei vernünftige Maßstäbe zur Bewertung der Relevanz von Ereignissen angelegt werden, was offenkundig nicht der Fall ist. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die Naturkatastrophe in Japan mit dem anschließenden Supergau im Atomkraftwerk von Fukushima werden geradezu in einem Atemzug genannt mit dem Rücktritt des deutschen Verteidigungsministers von allen seinen Ämtern. Während die radioaktive Verseuchung der Umwelt im ersten Falle womöglich noch in Jahrtausenden mess- und spürbar sein wird, ist der Name des peinlichen Plagiators vermutlich in zehn Jahren schon nahezu vergessen. Wichtig für die Berichterstattung ist in Wahrheit, was die Zeitung für geeignet hält, den Abonnenten bei der Stange zu halten. Und insofern war das Jahr 2011 vielleicht ein sehr ertragreiches Jahr für die Medien, als es für jeden etwas in petto hatte – und das nahezu pausenlos. Allerdings rührte diese Kontinuität und Lückenlosigkeit des Berichtenswerten wohl auch daher, dass sich etliche Geschehnisse außergewöhnlich lang hinzogen. Die arabischen Aufstände gegen hartnäckig widerstrebende Despoten oder der langwierige Kampf gegen die Kernschmelze in Japan waren (und sind teils noch) ebensolche Dauerbrenner wie die Bemühungen zur Rettung des Euro. In meinen Augen gab es 2011 eigentlich nur ein – dazu noch eher symbolisches – Ereignis von historischer Bedeutung: die Geburt des siebenmilliardsten Menschen. Bezeichnenderweise wurde aber über den Tod einzelner Menschen, wie von Kim Jong Il oder Johannes Heesters, ausführlicher berichtet als über die weiter exponentiell voranschreitende selbstzerstörerische Vermehrung unserer Art.