Jetzt mal langsam

Falsch- und Schlechtschreiber haben allerlei Scherznamen auf Lager, um jene lächerlich zu machen, die es genauer nehmen als sie: Pedanten, Kleinigkeitskrämer, Pingel, Erbsenzähler, Federfuchser, Haarspalter, Rechthaber, Schulmeister, Besserwisser, Neunmalkluge, Kritikaster, Silbenstecher und dergleichen mehr. Nun mag zwar Genauigkeit eine Frage des Ermessens sein, nicht hingegen Richtigkeit. Und meist suchen die Schlamperten mit ihren humorigen, augenzwinkernden Verweisen an die Adresse der Richtig- und Gutschreiber bloß ihre lückenhafte Kenntnis der Schreibregeln oder ihre Trägheit zu vertuschen.

Mit Aufkommen der Massenpresse wurden der Dilettantismus und die Flüchtigkeit der Schreiber alltägliche Normalität, an welcher nur noch ein Sonderling wie Karl Kraus dezidiert Anstoß nahm. Und mit der Schaffung einer jedem zugänglichen Publikationsfläche im World Wide Web, deren Geburtsstunde sich demnächst zum zwanzigsten Mal jährt, hat dieser Niedergang der Schreibkultur einen weiteren Schub erfahren. Einige Gründe hierfür sind banal und offensichtlich. So äußern sich hier plötzlich zahllose Menschen ausführlich schriftlich, die seit ihrer Schulzeit offenbar nur noch zum Stift gegriffen haben, um den Lottozettel auszufüllen: nämlich in den Kommentar-Foren der Zeitungen und Zeitschriften, beispielsweise bei Spiegel online. Da traut sich nun jeder, denn er sieht, dass die meisten anderen ja ebenfalls schreiben, wie ihnen die krumme Feder gewachsen ist. Diese gegenseitige Schreibenthemmung hat zu einem unbegrenzten Laissez-faire in allen Fragen der Orthografie, Grammatik, Semantik, Syntax und Interpunktion geführt, von Stil und Anstand ganz zu schweigen! Hinzu kommt, dass das menschliche Auge offenbar auf der Monitorfläche weniger genau sieht als auf dem Papier; und dass die blitzschnelle Publikation per Mausklick dazu verführt, notwendige Korrekturphasen zu überspringen.

Und wie sieht es bei den Blogs aus? Ich darf hier mal aus dem aktuellen Beitrag in einem der drei Dutzend von mir mehr oder weniger regelmäßig inspizierten Weblogs zitieren: „Ach, wenn man auf der Webseite einer Drehbuchautorin sieht, daß sie den Titel ihres eigenen Films nicht richtig schreibt. Gut, aber Webseiten, ich spreche aus Erfahrung, enden eh wie ein während einer Killervirenepidemie frisch untergepflügtes Kraut- und Rübenfeld. Man fängt irgendwie an, vielleicht mit einem Storyboard oder wenigstens einer kleinen Skizze, und am Ende hat man keine Zeit, haut man irgendwas da rein und schaut auch nie wieder drauf. Im Zeitalter des Flüchtigen sind statische Rechtschreibfehler von einst [abgebr.]“ (kid37: Merz/Bow #28; in: Das hermetische Café; Posting v. 21. Juli 2011.)

Da wäre sie also wieder, die ja keineswegs neue Schnelllebigkeit der Massenmedien als Generalabsolution für den Dauertiefstand journalistischer Sorgfalt! Da ja laut Volksmund nichts so alt ist wie die Zeitung von gestern, scheren ihre Macher nicht die Kommafehler in diesem durch die Zeitung von morgen bald überholten Blatt, das bereits übermorgen im Altpapier landet. – Aber wer etwas genauer hinschaut, dem müsste doch gerade hier der entscheidende Unterschied zwischen Printmedien und Onlinemedien auffallen. Zwar rutscht auch mein heutiges Posting Tag für Tag tiefer in den Keller meines Weblogs. Nach einer Woche ist es schon nicht mehr auf der Startseite präsent. Dann findet man es erst wieder, wenn man ganz nach unten scrollt und auf „Ältere Einträge“ klickt. Wer sich bei mir gut auskennt, der ahnt möglicherweise, dass der Artikel unter der Kategorie „Langsamkeit“ abgelegt sein könnte und findet ihn auf diesem systematischen Wege wieder. Ein anderer hat sich vielleicht gemerkt, dass Karl Kraus darin vorkommt, und gibt diesen Namen ins Suchfenster ein, um den Text zu finden. Aber das Versteck dieses wie jedes anderen Beitrags in meinem Blog mag noch so entlegen sein – sie alle sind immerhin noch da und landen nicht im Reißwolf! Sie bleiben auffindbar, abrufbar, lesbar, kopierbar, druckbar und versendbar. Und dies gar von jedem Online-Arbeitsplatz aus, überall auf der Welt!

Muss es da nicht mein Ziel sein, mit größtmöglicher Sorgfalt alle meine Texte so richtig und so gut herzustellen, wie es mir eben möglich ist? Und auch alle älteren Texte laufend zu verbessern, wenn ich nachträglich Fehler oder Schwächen in ihnen entdecke? (A work in infinite and slow progress.)

4 Responses to “Jetzt mal langsam”

  1. zonebattler Says:

    Zustimmung in jeder Hinsicht! In bis dato 2.241 eigenen Blogbeiträgen und ungezählten Kommentaren andernorts habe ich mich stets um gediegenen Schreibstil und Fehlerfreiheit in jeder Hinsicht bemüht. Wie auch anders? Sprachliche Schluderei ist nicht akzeptabel, online schon gar nicht, eben weil alles virtuell Veröffentlichte latent »auf ewig« im Netz zu finden und zu lesen ist, Peinlichkeiten mithin viel langlebiger und ärgerlicher sind als solche auf Zeitungspapier, in welches schon wenige Tage nach dem Erscheinungsdatum als finale Verwendung der Salat eingewickelt wird…

    Das Betrübliche dabei: Es interessiert offenbar kaum noch jemanden, daß oder ob man sich – auch rückwirkend – Mühe gibt (welche ja durchaus mit zeitlichem Aufwand verbunden ist), seine eigenen Einlassungen skrupulös zu entfehlern. Was einem selbst Anlaß zum Schämen gibt, nehmen viele andere überhaupt nicht als relevantes Problem wahr! Ich hatte in den von mir verantworteten Blogs die Möglichkeit zum zeitlich beschränkten Editieren frisch lancierter Kommentare eingerichtet; das war vergebliche Liebesmüh’ und wurde nie genutzt…

    Führt man einen Feldzug gegen die übelsten Auswüchse der Spachverhunzung – wie ich es z.B. hier und da in Sachen »Deppenapostroph« unternommen habe, handelt man sich schnell den Ruf eines Kauzes, Oberlehrers oder Pedanten ein. Kritisiert man höflich bei anderen den (von mir als Zumutung empfundenen) Verzicht auf die Hochstelltaste, soll man sich nicht so anstellen, es gehe ja um den Inhalt der Mitteilung und nicht um die Form!

    Aber nein, es geht da eben nicht um zulässige Unschärfe und entschuldbare Fahrlässigkeit bei minderpriorisierter Kommunikation: Falsch bleibt falsch und wird auch durch beredte Ausreden nicht richtiger. Faulheit bei der schriftlichen Artikulation führt zur Faulheit beim Denken und vice versa. Man mag sich gar nicht ausmalen, wohin das noch führen wird. Andererseits: Wer vom Lottozettel kommt und jetzt krude Sentenzen einhackt, tut mehr als früher. Und lernt vielleicht doch noch irgendas dazu! Das wäre ja immerhin ein Fortschritt, der optimistisch stimmen könnte…

  2. zonebattler Says:

    Ich habe ja befürchtet, daß mir trotz mehrfachen Korrekturlesens ein Fehler unterlaufen könnte: Hiermit reiche ich ein »w« nach, um den vorletzten Satz meines vorhergehenden Kommentares ordnungsgemäß zu komplettieren! 😉

  3. Revierflaneur Says:

    Vielleicht rafft sich ja ein edler Sponsor mal dazu auf, einen jährlich zu vergebenden Preis für Weblogs auszuloben, bei dem neben dem “Content” auch die sprachliche Sorgfalt auf dem Prüfstand steht.

  4. kid37 Says:

    Ich wollte mit dieser Beschreibung aber nicht der sprachlichen Schludrigkeit das entschuldigende Wort reden. Gerade das angeführte Beispiel der Autorin, die ihren eigenen Werktitel nicht richtig zitiert, finde ich wirklich schwierig. Andererseits muß man sehen, daß die meisten Blogautoren – anders als Zeitungsjournalisten – keine Schlußredaktion hinter sich stehen haben.

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