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Wortgefechte im Sandkasten

Saturday, 16. April 2011

„Der Vorwurf, meine Doktorarbeit sei ein Plagiat, ist abstrus“, teilte Guttenberg unmittelbar nach Bekanntwerden des Plagiatsverdachts gegen seine Doktorarbeit vor Medienvertretern in Berlin mit. (Spiegel online v. 16. Februar 2011.) Nun bedeutet abstrus im eigentlichen Wortsinn soviel wie „tief verborgen, dunkel, schwer verständlich oder geradezu unverständlich“ (nach Adolf Genius: Neues großes Fremdwörterbuch. Regensburg 1933, S. 9) oder auch „versteckt, verborgen […] (abwertend) absonderlich, töricht […] schwer verständlich, verworren, ohne gedankliche Ordnung“ (nach dem Duden Fremdwörterbuch. Mannheim: Bibliographisches Institut, S. 8). Das Wort passte nicht zur Sache – und der Fehler bei der Wortwahl erscheint nachträglich wie ein erster versteckter Hinweis darauf, dass der strahlende Politstar vielleicht doch ein Problem mit dem Verhältnis von Schein und Sein haben mochte.

Noch am gleichen Tag meldete sich Guttenbergs weltberühmter und über jeden Zweifel erhabener Doktorvater, der brave Professor Peter Häberle aus Bayreuth zu Wort und wies die Vorwürfe gegen seinen Ex-Doktoranden im empörten Brustton lauterster Überzeugung zurück: „Das ist absurd“, sagte er der Münchner Abendzeitung. „Die Arbeit ist kein Plagiat.“ (AZ online v. 16. Februar 2011.) Auch dieses Wort passt nicht so recht in den Zusammenhang, heißt es doch ursprünglich soviel wie „mißtönend“, dann auch „ungereimt, abgeschmackt, einen Widerspruch enthaltend“ (Genius, a. a. O.) bzw. „widersinnig, dem gesunden Menschenverstand entsprechend, sinnwidrig“ (Duden Fremdwörterbuch, a. a. O.). Einzig das vom Duden zuletzt noch angeführte Synonym „abwegig“ könnte passen, wenn Häberle unterstellen will, dass der Beweisführer für einen solchen Vorwurf die Argumente für seine Behauptung nur abseits von Logik, Vernunft und Realität finden könnte.

Neuerdings gibt es deutliche Anzeichen, dass das Gaddafi-Regime im Bürgerkrieg in Libyen Streubomben verwendet. Die libysche Führung bestreitet den Einsatz dieser international geächteten Munition. „Wir tun das nie“, wies Regierungssprecher M[o]ussa Ibrahim in der Hauptstadt Tripolis entsprechende Vorwürfe von Human Rights Watch zurück. Die Berichte seien „surreal“. (sueddeutsche.de v. 16. April 2011.) Dieses Adjektiv kommt bei Genius noch gar nicht vor; das Duden Fremdwörterbuch übersetzt: „traumhaft, unwirklich“ (a. a. O., S. 704). Könnten die Augenzeugen in Misrata den nächtlichen Hagelschlag tausender tödlicher Geschosse in den engen Straßen ihrer Stadt nur geträumt haben?

Interessant ist dabei ja, wie der libysche Regierungssprecher auf solch ein Wort überhaupt kommt. Zufällig stieß ich auf einen Bericht über eine Pressekonferenz des Gaddafi-Regimes Ende März, an der auch M[o]ussa Ibrahim teilgenommen hat. Die Autorin Lourdes Garcia-Navarro zitiert darin ihren Landsmann Don Macintyre, der Zeuge dieser unwirklich anmutenden Veranstaltung wurde: “There is something very surreal about sitting in Tripoli and hearing people talking about things that we actually know to be untrue, but having no access to the outside world […] That is a very surreal experience.” (In Libyan Capital, Reporters Encounter The Surreal; nach npr National Public Radio v. 30. März 2011.)

Vielleicht hat M[o]ussa Ibrahim diesen Radiobericht gehört und zahlt nun mit gleicher Münze heim, wie wir Kinder damals im Sandkasten: „Wer ’s sagt, der isses selber!“